Jeob

Jeob

Rezensionen
Filtern & sortieren
1 - 5 von 6
Jeob vor 8 Monaten 26 20
8
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft
Von der unerträglichen Leichtigkeit des Seins
Die eigene Sprache vergessend
wieder kriechen lernen.
Ewig augenblicklich sein.
Sich nähren von Haut.
Ein Alles, dein Nichts.

----
Wo fange ich an?
Vielleicht am Anfang, als es noch schien als kämen wir nicht zueinander, dieses Nichts und ich, gehöre ich doch zu jenen, die mit Neroli ausgiebig fremdeln können.
So auch hier.
Was meine Nase anfangs als Anklang von Reinlichkeit wahrnimmt, bekommt jedoch rasch eine Tiefe, die andere teils als 'muffig' beschreiben, meine Nase jedoch als 'Mensch' entziffert. 'Anklänge von erdigen Noten sowie Eichenmoos', sagt mein Intellekt, der Rest von mir wittert die Fährte des kleinen inneren Tierchens, das uns alle bewohnt und welches so oft hungrig oder fliehend die Richtung weist, während es gleichzeitig dem Verstand das beruhigende Gefühl gibt, dieser würde in Wahrheit lenken.

Der Duft weckt für mich Assoziationen die weit entfernt sind vom vergeistigten Homo sapiens und an duftgewordenen Instinkt denken lassen. Sinnlich, intim, eigen, zart animalisch, vergänglich. Er lässt Bilder entstehen, die davon erzählen, den eigenen Körper in seiner Verletzlichkeit und Vergänglichkeit zu bewohnen und sich zu nähren von Nähe.
Er ist hoch sinnlich und gleichzeitig zutiefst melancholisch. Und weil er eine Flut von Bildern anspült die alle von Endlichkeiten erzählen, den kleinen wie den großen, zieht er stärker an meiner Herzstrippe als mir rational geboten scheint.

Ich rieche samtiges Fell, Bibliotheksstaub, einen zarten Ledereindruck sowie von Cologne geküsste Haut, den gestrigen Zigarettenrauch noch als Echo mit sich tragend. Er ist ein scheinbares Leichtgewicht mit immenser, wenn auch im späteren Verlauf leiser Ausdauer und einer Sillage, die gerade in den ersten Stunden leicht zu unterschätzen ist.
Der zart vanillierte Moschus an Amber in der Basis ist keine Sauberwolke, er hat stattdessen etwas sehr menschelndes. Die schönste Art unsauber.

Ich finde es nachvollziehbar, wie sehr dieser Duft polarisiert. Er ist eigen, ein wenig sperrig bei gleichzeitiger Verweigerung von Hauptfarbenmalerei, die es leichter machen würde, ihn einzuordnen. Meine derzeitige Wertung ist die einer Verliebten in der Anfangsphase, mag sein, dass daraus Liebe wird. Die Zeichen stehen jedenfalls gut.

----

"...standhalten, dem Licht, der Freude (wie unser Kind als es sang) im Wissen, dass ich erlösche im Licht über Ginster, Asphalt und Meer, standhalten der Zeit, beziehungsweise Ewigkeit im Augenblick. Ewig sein: gewesen sein.“
Max Frisch, Homo Faber.
20 Antworten
Jeob vor 8 Monaten 21 18
7
Sillage
8
Haltbarkeit
7
Duft
Die vierte Wand
Dankenswerterweise sind die Böden frisch geputzt, die Kostüme hängen nach Waschpulver düftelnd bereit. Als 'ToiToiToi' eines Kollegen steht eine einzelne Rose in einem leeren Zahnputzbecher vorm Spiegel. Bühnenritual: Zähne vorher putzen. Idiotisch, aber beruhigt. Den letzten Schatten unter den Augen weggepudert. Ein hastiger Schluck Kaffee obendrauf. Sollte man nicht, macht nämlich noch nervöser. Egal. Im Zimmerlautsprecher verkündet der Inspizient krackelnd (hoffnungslos da die Lautstärke regulieren zu wollen) dass es nun Zeit wäre.
ToiToiTois werden umarmend gemurmelt. Nur der spanische Kollege wispert "MierdaMierdaMierda" und deutet 3maliges in den Po kneifen an. Könnte man hinterfragen. Tut aber keiner. Gehört so. Im Kreis stehend einmal allen Kolleg:innen in die Augen schauen. So wie Kinder gucken: unverstellt einem Augenpaar begegnen. Ohne verlegenes Lächeln, ohne Ironie, ohne gerunzelte Braue. Hinsehen.
Tiefer Atemzug.
Licht aus.
Licht an.
Akt 1.

Die vierte Wand ist im Theater eine, die keine ist: das Publikum. Von der Bühne aus gesehen. Und aus der Warte dessen, also des Publikums, hatte ich anfangs versucht, den Duft zu ergründen und konnte ihn nur schwerlich in Verbindung bringen mit den der Öffentlichkeit zugänglichen Bereichen eines Theaters. Jedes Theater riecht anders, zugegeben, aber keins roch so. Bis zum Zeitpunkt des Kippens meiner Wahrnehmung war dieser Geruch, der zwischen synthetischem Weichspüler, Minimal-Rose und Kaffee spaziert, mir unlieb. Besonders die Kaffeenote, die seltsam herausragt aus diesem sonst fluffigblümeligen Gespinst war mir zuwider.
Und dann kam der Puder und meine Assoziationen oder eher meine mangelnde Fähigkeit zu assoziieren kippte samt vierter Wand hintenüber und zwar bühnenwärts.
Und so landeten wir in den oft schrabbeligen wenn auch (meist) gut geputzten Hinterräumen des Theaters, die im Vergleich zu den der Öffentlichkeit zugänglichen häufig aussehen wie ein Funktionalbau aus DDR-Zeiten. Nur in den kleinen Nischentheatern sieht beides meist vergleichbar aus. Gleichschrabbelig oder gleichminimalistisch nett.

Die Garderobe also.
Theaterschminke, gewaschene Kostüme, der Kaffee, die Rose. Nebenher etwas leicht Künstlich-Metallisches. Die Hinterbühne, wo Kabel, Scheinwerfer und allerlei technischer Krimskrams in organisiertem Chaos ihr Dasein fristen. Und plötzlich ist mir dieser Duft, den ich eigentlich nicht mag, ganz nah.

Er stammt wahrnehmbar aus derselben Familie wie "Odeur 71 | Comme des Garçons" oder "Odeur 53 | Comme des Garçons". Einer Reihe von Düften also, die einst als Antiparfüme konzipiert waren und deren größter Skandal heute ist wie unglaublich tragbar Toasterbrand und Kopfsalat sind. Künstlich, streckenweise industriell klinisch, eine Welt zwischen Glühbirnen, Druckern und besagten Toastern (sowie immer auch Waschpulver) abbildend. Und trotzdem zumeist absolut ausführfähig. An der richtigen Person vielleicht sogar fabelhaft.

Dieser hier wird nicht mein Duft. Ein bisschen zu sauber ist er mir bei Lichte betrachtet, sowohl für mich als auch fürs Theater. Es fehlt etwas deutlicher Menschelndes, zur Not auch ein bisschen frischer Schweiß. Allerdings zielt das am Konzept der Odeur-Reihe vorbei.
Nichtsdestotrotz. Was einen so nachhaltig entnervt, verwirrt und auf Reisen schickt, scheint einiges richtig zu machen.
18 Antworten
Jeob vor 10 Monaten 17 14
10
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
10
Duft
Von der Kunst Welten zu flüstern
“This is the way the world ends
Not with a bang but a whimper.”

Diese letzten Zeilen aus T.S. Eliots “The Hollow Men“ waren was ich assoziierte, als ich vor einigen Tagen zum ersten Mal Lyn Harris‘ White Smoke begegnete.
Ich stolperte, sehr früh am Morgen, der Sinnhaftigkeit dieser Assoziation hinterher, die Nase an den Handrücken gedrückt, in der anderen Hand eine Tasse Kaffee balancierend. Zu dramatisch schien sie mir um näherer Inspektion standzuhalten. Mag sein, dass sie einfach Sinnbild ist für die kleine seismische Verschiebung im Inneren, die dieser leise aber mächtige Duft in mir ausgelöst hat. Im Fall von White Smoke mag der letzte Satz vielleicht lauten:
„not with a bang but a mighty whisper“. Das Weltende streichen wir.

White Smoke verläuft in fein austarierten Stadien. Besonders im ersten Drittel sind Weihrauch und Kamille deutlich auszumachen, eine Kombination von Noten, die mich schon bei "Series 3: Incense - Avignon | Comme des Garçons" verzaubert hat. Doch während Avignon die ersten Stunden in angestrengter Ehrfurcht verharren lässt, bevor er dank Kamille so etwas wie stillen Trost spendet, ist White Smoke zugewandter, wärmer und gleichsam wesentlich dynamischer. Ohnehin erzeugen die Düfte, die ich bisher von Perfumer H gerochen habe, in mir ein Bild von Bewegung.

Im Fall von White Smoke entsprechen die ersten Minuten mit ihm dem Bild einer stillen Explosion. Ich sehe - so als fehlte dem Film der Ton - eine geräuschlose Entladung, rieche eine Hauch Schießpulver und dann einen sich in Zeitlupe auf mich zubewegenden Rauch: zarte, fast zärtliche Rauchschlieren, die nicht als Fläche wandern, sondern sich filigran ihren Weg durch den Raum bahnen bis sie umhüllen, vereinnahmen.
Am Ende dieser Zeitlupensequenz entsteht ein fast sakraler Raum.
Einer, in dem ich unbesehen niederknien würde.
Später, sich fast unmerklich dazu schleichend und gleichzeitig den Duftcharakter maßgeblich ändernd kommt die Wärme der Harze, des Ambers dazu, die sehr subtile Pudrigkeit der Iris und - fast versteckt unter allem und doch die perfekte Tonart treffend - das sanfte Schnurren des Ouds, einen Hauch Animalik verleihend.

Ich beginne zu glauben, Lyn Harris könnte ein Ei auf einer Rasierklinge tanzen lassen. So gekonnt schafft sie es Balance zu kreieren, die manchmal (wie im Fall von "Dust | Perfumer H" ) aus größtmöglicher Spannung zwischen gegensätzlichen Polen besteht, manchmal aus der perfekten Choreografie des immer in Bewegung scheinenden Zusammenspiels von Noten.
Nichts an White Smoke ist laut, nichts brennt oder qualmt, nichts driftet ab in ambriert-holzig-vanillierten olfaktorischen Wohlfühlsalat. Stattdessen gleicht er einem introspektiven Kunstwerk, dem ich hoffe, noch sehr viel öfter beim Flüstern zuhören zu dürfen.

14 Antworten
Jeob vor 10 Monaten 15 12
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
Vom vorwärts wundern
Ein Anklang feuchten Betons oder Steins, zögerlich durchbrochen von Natur. Als wüchse eine zweite Haut über Stein, atmend, sich stetig ausdehnend. Ein seidiger, transparent-feinbitterer Schleier, getränkt vom Grün der Stängel, dem Duft der Blüten und Hölzer.
Geruch als Textur, sich ständig wandelnd.
--

Ich gehöre bei Düften zu den sich zögerlich Verliebenden. Mag sein, dass sich beim ersten Riechen eine Verzauberung einstellt, eine, die dann befühlt und erprobt werden will. Ich trage ihn mit mir spazieren, lasse ihn mit mir schwitzen, frieren, zur Post gehen und existenzielle Lebenskrisen bewältigen. Ich übertreibe, aber nur bedingt. Die Zeremonie gleicht eher einem vorsichtigen Zusammenwachsen als einem spontanen Kniefall.
Miracula hingegen gehört zu den Düften, die meine romantische Zögerlichkeit aushebeln, obwohl er - zumindest in mancher Hinsicht - nicht in mein übliches olfaktorisches Forstgebiet fällt.
--

Das Wunder beginnt mineralisch, kühl. Es eröffnet angenehm herb, ein wenig abweisend, mehr menschgemachte Fläche als Natur. Dann, in kleinen Verschiebungen tritt Organisches hervor, entwickelt sich dieser Duft zu einer nie ganz greifbaren und von mir so noch nicht gerochenen Tuberose. Zu grün erscheint sie mir, zu wenig der Kaugummi-Anspielungen sind enthalten.

Tatsächlich blümelt es hier erstaunlich wenig, die Balance der Noten erschafft stattdessen etwas, das sich mir eher als Textur erschließt statt als Zusammenspiel klar benennbarer Komponenten. Miracula gleitet von Kühle langsam in die Wärme, so nahtlos, so inkrementell, dass es schwer wäre, den Verlauf in klare Stadien zu trennen.

Und so taumele ich - mich vorwärts wundernd - durch diesen Duft. Ich, erklärte Gegnerin (oder doch zumindest Skeptikerin) blümelnder Düfte, haltlos im Bann einer Tuberose.

Die holzigen Nuancen des Ausgangs haben einen cremigen Einschlag und so vermutet meine - nicht sonderlich in Rohmaterialien versierte Nase - Anteile von Sandelholz in der Basis. Wenn es so ist (erfahrenere Nasen dürfen gern widersprechen) so ist es weder eine der unangenehmeren synthetischen Varianten noch ein kokoslastiger Vertreter seiner Art.
Die subtile Cremigkeit die entsteht, erinnert an seidiges Textil, nichts verkleistert den Gaumen oder biegt forciert ins Kuschelige ab. Mag sein, dass der cremige Eindruck auch einfach der Tuberose selbst geschuldet ist.

Das Wundern währt, selbst bei sehr zögerlichem Auftrag (die Probe ist klein, die Angst ihn schnell zu leeren groß) gute 8 Stunden. Die Sillage ist für mich noch unbestimmbar, aber ich vermute sie liegt im Mittelfeld. Dass er preislich im Luxussegment angesiedelt ist, gehört zu den Schweinereien des Schicksals. Ich nehme es hin und hoffe geduldig auf unerwarteten Geldsegen.

Ich danke Bigalchen1, ohne die ich diesen, hier eher selten zu findenden Duft, wahrscheinlich nicht kennengelernt hätte.
12 Antworten
Jeob vor 12 Monaten 18 8
Einblick in eine sperrige Romanze
Kennt ihr das? Düfte die euch irgendwie in ihren Bann schlagen, selbst wenn ihr noch nicht entschieden seid, ob ihr sie eigentlich mögt? L’eau papier ist so einer.
Schaue ich in meine Notizen, die ich beim ersten Schnüffeln angelegt habe, steht da folgendes:

„Rasierwasserauftakt. Dann Waschpulver. Eine Ahnung von hellen Hölzern und Reis im Hintergrund. Und Ja: Sesam."

Enthusiastische Duftliebe klingt anders. Wäre ich Werbetexterin, ich wäre arbeitslos.

Und trotzdem, trotzdem, trotzdem: der Duft will mir nicht aus dem Kopf. Also wieder her mit der Probe und erneut ein Hauttest. Jap. Immer noch Rasierwasser, vor Waschpulver. Genau genommen ist der Duft in dieser Phase so gleißend weiß, das er fast blendet.
Dann erst folgt für meine Wahrnehmung der Rest und wenn ich ganz ehrlich bin: nebst einer Mimose die ich nun auch wahrnehme, ist der Haupteindruck der mit bleibt Molekulares. Ambroxan mit aller Wahrscheinlichkeit, vielleicht Iso E Super. Nun habe ich eine seltsame Liebe zu Ambroxan ( "Molecule 02 | Escentric Molecules" ) entwickelt und vielleicht ist das eine Erklärung für diese eigenartige Anziehungskiste. Aber nicht die einzige. Denn irgendwie mag ich die Reibung die er erzeugt. Er ist irgendwie kratzig auf spannende Weise.

Er ist nicht ganz Papier und erzeugt doch in mir das Bild einer weißen Fläche, die darauf wartet dass sie beschrieben wird. Er ist nicht kuschelig, nicht weich, nicht lieblich (auch wenn er eine leichte Süße im DD entwickelt)
Irgendwie ist er, als würde ich ein Fragezeichen auf der Hand durch die Gegend tragen, eine Aufforderung mich ständig mit diesem vermaledeiten Duft auseinanderzusetzen.

Während ich also noch weiter mit mir ringe ob ich dieser seltsam sperrigen Romanze weiter nachgehe oder endgültig das Weite suche, habe ich zumindest folgende Worte der Weisheit zu teilen: Kauft den nicht blind. Kauft ihn nicht, wenn ihr einen anschmiegsamen Duft sucht. Und: Menschen die Synthetik hassen, werden um diesen Duft wahrscheinlich einen großen Bogen machen wollen.
8 Antworten
1 - 5 von 6