Odeur du Théâtre du Châtelet - Acte I 2019

Jeob
24.08.2023 - 06:11 Uhr
21
Top Rezension
7
Sillage
8
Haltbarkeit
7
Duft

Die vierte Wand

Dankenswerterweise sind die Böden frisch geputzt, die Kostüme hängen nach Waschpulver düftelnd bereit. Als 'ToiToiToi' eines Kollegen steht eine einzelne Rose in einem leeren Zahnputzbecher vorm Spiegel. Bühnenritual: Zähne vorher putzen. Idiotisch, aber beruhigt. Den letzten Schatten unter den Augen weggepudert. Ein hastiger Schluck Kaffee obendrauf. Sollte man nicht, macht nämlich noch nervöser. Egal. Im Zimmerlautsprecher verkündet der Inspizient krackelnd (hoffnungslos da die Lautstärke regulieren zu wollen) dass es nun Zeit wäre.
ToiToiTois werden umarmend gemurmelt. Nur der spanische Kollege wispert "MierdaMierdaMierda" und deutet 3maliges in den Po kneifen an. Könnte man hinterfragen. Tut aber keiner. Gehört so. Im Kreis stehend einmal allen Kolleg:innen in die Augen schauen. So wie Kinder gucken: unverstellt einem Augenpaar begegnen. Ohne verlegenes Lächeln, ohne Ironie, ohne gerunzelte Braue. Hinsehen.
Tiefer Atemzug.
Licht aus.
Licht an.
Akt 1.

Die vierte Wand ist im Theater eine, die keine ist: das Publikum. Von der Bühne aus gesehen. Und aus der Warte dessen, also des Publikums, hatte ich anfangs versucht, den Duft zu ergründen und konnte ihn nur schwerlich in Verbindung bringen mit den der Öffentlichkeit zugänglichen Bereichen eines Theaters. Jedes Theater riecht anders, zugegeben, aber keins roch so. Bis zum Zeitpunkt des Kippens meiner Wahrnehmung war dieser Geruch, der zwischen synthetischem Weichspüler, Minimal-Rose und Kaffee spaziert, mir unlieb. Besonders die Kaffeenote, die seltsam herausragt aus diesem sonst fluffigblümeligen Gespinst war mir zuwider.
Und dann kam der Puder und meine Assoziationen oder eher meine mangelnde Fähigkeit zu assoziieren kippte samt vierter Wand hintenüber und zwar bühnenwärts.
Und so landeten wir in den oft schrabbeligen wenn auch (meist) gut geputzten Hinterräumen des Theaters, die im Vergleich zu den der Öffentlichkeit zugänglichen häufig aussehen wie ein Funktionalbau aus DDR-Zeiten. Nur in den kleinen Nischentheatern sieht beides meist vergleichbar aus. Gleichschrabbelig oder gleichminimalistisch nett.

Die Garderobe also.
Theaterschminke, gewaschene Kostüme, der Kaffee, die Rose. Nebenher etwas leicht Künstlich-Metallisches. Die Hinterbühne, wo Kabel, Scheinwerfer und allerlei technischer Krimskrams in organisiertem Chaos ihr Dasein fristen. Und plötzlich ist mir dieser Duft, den ich eigentlich nicht mag, ganz nah.

Er stammt wahrnehmbar aus derselben Familie wie Odeur 71 oder Odeur 53. Einer Reihe von Düften also, die einst als Antiparfüme konzipiert waren und deren größter Skandal heute ist wie unglaublich tragbar Toasterbrand und Kopfsalat sind. Künstlich, streckenweise industriell klinisch, eine Welt zwischen Glühbirnen, Druckern und besagten Toastern (sowie immer auch Waschpulver) abbildend. Und trotzdem zumeist absolut ausführfähig. An der richtigen Person vielleicht sogar fabelhaft.

Dieser hier wird nicht mein Duft. Ein bisschen zu sauber ist er mir bei Lichte betrachtet, sowohl für mich als auch fürs Theater. Es fehlt etwas deutlicher Menschelndes, zur Not auch ein bisschen frischer Schweiß. Allerdings zielt das am Konzept der Odeur-Reihe vorbei.
Nichtsdestotrotz. Was einen so nachhaltig entnervt, verwirrt und auf Reisen schickt, scheint einiges richtig zu machen.
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