L'Air de Rien 2006

Jeob
02.09.2023 - 05:56 Uhr
26
Top Rezension
8
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft

Von der unerträglichen Leichtigkeit des Seins

Die eigene Sprache vergessend
wieder kriechen lernen.
Ewig augenblicklich sein.
Sich nähren von Haut.
Ein Alles, dein Nichts.

----
Wo fange ich an?
Vielleicht am Anfang, als es noch schien als kämen wir nicht zueinander, dieses Nichts und ich, gehöre ich doch zu jenen, die mit Neroli ausgiebig fremdeln können.
So auch hier.
Was meine Nase anfangs als Anklang von Reinlichkeit wahrnimmt, bekommt jedoch rasch eine Tiefe, die andere teils als 'muffig' beschreiben, meine Nase jedoch als 'Mensch' entziffert. 'Anklänge von erdigen Noten sowie Eichenmoos', sagt mein Intellekt, der Rest von mir wittert die Fährte des kleinen inneren Tierchens, das uns alle bewohnt und welches so oft hungrig oder fliehend die Richtung weist, während es gleichzeitig dem Verstand das beruhigende Gefühl gibt, dieser würde in Wahrheit lenken.

Der Duft weckt für mich Assoziationen die weit entfernt sind vom vergeistigten Homo sapiens und an duftgewordenen Instinkt denken lassen. Sinnlich, intim, eigen, zart animalisch, vergänglich. Er lässt Bilder entstehen, die davon erzählen, den eigenen Körper in seiner Verletzlichkeit und Vergänglichkeit zu bewohnen und sich zu nähren von Nähe.
Er ist hoch sinnlich und gleichzeitig zutiefst melancholisch. Und weil er eine Flut von Bildern anspült die alle von Endlichkeiten erzählen, den kleinen wie den großen, zieht er stärker an meiner Herzstrippe als mir rational geboten scheint.

Ich rieche samtiges Fell, Bibliotheksstaub, einen zarten Ledereindruck sowie von Cologne geküsste Haut, den gestrigen Zigarettenrauch noch als Echo mit sich tragend. Er ist ein scheinbares Leichtgewicht mit immenser, wenn auch im späteren Verlauf leiser Ausdauer und einer Sillage, die gerade in den ersten Stunden leicht zu unterschätzen ist.
Der zart vanillierte Moschus an Amber in der Basis ist keine Sauberwolke, er hat stattdessen etwas sehr menschelndes. Die schönste Art unsauber.

Ich finde es nachvollziehbar, wie sehr dieser Duft polarisiert. Er ist eigen, ein wenig sperrig bei gleichzeitiger Verweigerung von Hauptfarbenmalerei, die es leichter machen würde, ihn einzuordnen. Meine derzeitige Wertung ist die einer Verliebten in der Anfangsphase, mag sein, dass daraus Liebe wird. Die Zeichen stehen jedenfalls gut.

----

"...standhalten, dem Licht, der Freude (wie unser Kind als es sang) im Wissen, dass ich erlösche im Licht über Ginster, Asphalt und Meer, standhalten der Zeit, beziehungsweise Ewigkeit im Augenblick. Ewig sein: gewesen sein.“
Max Frisch, Homo Faber.
20 Antworten