Oro 1920 2013

ElfeLotta
22.10.2023 - 05:56 Uhr
5
Hilfreiche Rezension
8
Haltbarkeit
7.5
Duft

Lederjagd mit verbundenen Augen

In meiner Notiz zu diesem Duft stand lange Zeit "--> Als potentiell besonders guten Lederduft testen". Von einer lieben Parfuma bekam ich mal ein Pröbchen, welches zunächst in meinem Kästchen für Blindtests landete. (Machen wir uns nichts vor: Ich bin durchaus suggestibel, weshalb ich mir diesen Trick zugelegt habe, um vielen Düften erst einmal die Chance zu geben, mir frei von Bildern, Namen und Erwartungen zu begegnen.)

Ich griff also an einem Herbsttag bei fast 20 Grad und regnerisch-windigem Wetter in das Blindtest-Kästchen, sprühte mit schielendem Auge um bloß keinen Namen zu erhaschen auf meinen Unterarm - und freute mich, dass ich offenbar einen Duft erwischt hatte, der durchaus zu dem heutigen Tag passen könnte.

Schöne, leicht kühle Harznoten lassen mich gleich an Weihrauch denken. Da ist kurz etwas Fruchtiges in der Eröffnung, eher süß als säuerlich, eher „flach“ als „voluminös“… Eine kühle Birne? Unreife Banane? Geschmacksschwache Himbeere? Papaya??
Mit der Zeit wird das Harz ein kleines bisschen wärmer. Bei den typisch opulenten Ambernoten bin ich noch lange nicht [Spoiler: auch bis zum Schluss nicht], aber es ist auch nicht mehr so kühl und kurz vor stechend wie zu Beginn. Es hält sich wunderbar dazwischen in einer ganz schmalen Balance. Mmh, da habe ich wohl einfach einen richtig schönen, unaufgeregten Weihrauchduft erwischt.
1,5 h rum und ich frage mich, ob da Vanille im Spiel ist... Hin und wieder gibt es noch dezente Fruchtanflüge. Insgesamt bleibt es aber beim Harz.

Dann schaue ich nach... Scrolle zu den Duftnoten...
Und reiße die Augen auf.
Ok, die verschiedenen Harze sind definitiv bei mir angekommen, aber -
Ich sehe meine Notiz... "--> Als potentiell besonders guten Lederduft testen"
Wie bitte was? Leder? Darum sollte es hier eigentlich gehen?
Ich schnüffle und schnüffle, drücke irgendwann panisch die Nase gegen meinen Arm, fürchte bereits akute olfaktorische Dysfunktion meines Riechorgans... Ich kriege kein Leder.
Schließlich laufe ich los und halte mir alles unter die Nase, was ich auf die Schnelle an Leder finden kann: Gürtel, Tasche, Jacke, Hut, Schuhe, Handschuhe, Rucksack, Portmonee - alles riecht unterschiedlich, manches sehr intensiv ledrig, anderes kaum wahrnehmbar. Nichts scheint vergleichbar mit Oro 1920.

Puh, also, wenn ich hier Leder denken SOLL, dann kommt mir am ehesten frisch eingewachstes Außenleder etwas spröde gewordener Wanderschuhe in den Sinn. [Schau an: da ist sogar Bienenwachs als Basisnote aufgeführt.] Aber auch das ist irgendwie weit hergeholt.
Aber ruhig Blut. Wir sind hier ja noch nicht am Ende der Fahnenstange…
Je länger die Haut Zeit hatte, das Ganze ein bisschen anzuwärmen, umso eher klappt das mit der Lederassoziation: Ein Ledersessel, dessen kühle Oberfläche es mir nicht so recht gestatten will, in die Entspannung zu sinken, die seine Form mir vielleicht anbieten würde. Oder der Geruch einer Lederschürze, der vom kühlen Wind während unbestimmter Waldarbeiten zwischen leicht harzigen Stämmen hin und wieder zu mir herüber geweht wird.
Wenn ich die Wärme so richtig aufdrehe – sprich: mich mit dem besprühten Arm eine Weile neben die Heizung setze – taucht plötzlich eine fast schon animalische Note auf. Da bin ich mit der Nase mal im Fell, mal auf verschwitzter Haut – und schließlich kommt die Vanille so richtig durch.
Bei all dem, was ich da so assoziiere und entdecke: Die harzigen Noten bleiben in meiner Nase omnipräsent.

Nun gut, Leder ist ja nichts, dessen Geruch destilliert und einem Parfüm als Ingredienz hinzugefügt wird. Und die Palette von Ledergerüchen "in natura" ist auch eher gigantisch. Auf meiner Suche nach Ingredienzen, die üblicherweise zur Erstellung eines Lederakkords verwendet werden, finde ich v.a. Wacholder(-teeröl), Birke(-nteer), Moschus, Styrax, Myrte, Labdanum, Bibergeil und Zibet. Daneben verschiedenste Synthetik.
Ich habe keine Ahnung, was für dieses Parfüm letztlich verwendet wurde, aber wenn man mir direkt die Liste dieser typischen Ingredienzen anstatt der Lederassoziation vorgelegt hätte, ich hätte vermutlich einfach zustimmend genickt.

Fazit nach mehreren Testläufen:
Für mich bleibt dieser Duft deutlich mehr in der harzigen als in der ledrigen Ecke, mit einer sehr schönen Balance zwischen Kühle und Wärme. Ich nehme Leder wahr, aber das Bild aufrecht zu halten erfordert tatsächlich eher kognitive Anstrengung. Wenn ich Leder möchte, das direkt "da" ist, brauche ich wohl etwas anderes.
Unabhängig davon ist Oro 1920 ein absolut interessanter Duft, der mir unterwegs eine Menge Unterhaltung geboten hat und für den ich sicherlich passende Tage und Stimmungen finden würde, um ihn zu tragen.

Vielen Dank fürs Lesen und vielen Dank an Bejot für die Testmöglichkeit! :)
6 Antworten