New Haarlem 2003

Siebter
20.12.2015 - 14:11 Uhr
45
Top Rezension

Für hier.

Ich glaube, ich sollte zunächst mal klarstellen, dass ich dieses Parfum beinahe umsonst bekommen habe. Als ich New Haarlem vor immerhin fast schon vier Jahren (zum dutzendsten Male) in einer Parfümerie testete, wies mich ein Verkäufer darauf hin, dass der Duft leider nicht mehr vorrätig sei und zudem von Bond No.9 aus dem Programm genommen würde. Statt eine "Stimmt doch gar nicht!"-Diskussion anzuzetteln, schaltete ich blitzschnell und wies ihn eiskalt darauf hin, dass er mir den Tester dann ja veräußern könnte, da dieser hier im Laden keine sinngemäßen Dienste mehr verrichten würde. Er konnte. Das Lustige daran: ich wollte an diesem Tag eigentlich einen Flakon NH zum regulären Preis erwerben (einem Preis, den ich heute nicht mal mehr annähernd aufzubringen bereit wäre, für eigentlich gar kein Parfum), stattdessen tat ich zwei oder drei sehr kleine Scheine in eine Kaffeekasse, für einen gut halbvollen Flakon.

Ich erzähle das, weil ich glaube, dass es einen Unterschied macht. Wenn sich der Verkaufspreis derart deutlich in den Vordergrund drängt wie bei Bond No.9, dann spielt er auch beim Verwenden und Erleben eines Duftes eine Rolle, und das meiner Erfahrung nach nie in positiver Weise. Ich dagegen konnte NH splashen, als wäre es Eau Dynamisante. Theoretisch zumindest. Der Sprühkopf ist knauserig, dennoch nehmen Wucht und Dichte mit jedem Sprühstoß exponentiell zu.

NH zu beschreiben ist eigentlich nicht schwer, aber je mehr man diese klaren Eindrücke zu erklären versucht, desto komplizierter wird es. Ich mache es mir zunächst einfach – was Du zum Vorstellen brauchst, sind Holzbänke, French Toast mit viel Ahornsirup und ein sehr dichter und schwarzer Kaffeeduft. Eine solche Duftmischung kennt jeder zumindest in etwa, die genaue Ausgestaltung ist aber breit gefächert, zumal regionalen Unterschieden unterworfen. Zu internationaler Bekanntheit hat es dahingehend die Kaffeehauskette Starbucks gebracht, „starbucksy“ ist ein praktisches Adjektiv, wenn man eine bestimmte Art von dunklen, süßen vanille- oder amberlastigen Parfums beschreiben will. NH ist ziemlich amerikanisch, aber keineswegs starbucksy; über weite Strecken ist er sehr warm, aber gerade kurz nach dem Aufsprühen schwingt eine metallische, fast blecherne Note im Hintergrund. Der Kaffee ist nicht nur schwarz, sondern bitter und würzig und es dauert ein bisschen, bis diese Kantigkeit sich legt. Anderswo wird die Note als verbrannter Kaffeesatz in einer kalten Thermoskanne beschrieben, ich kann das ziemlich gut nachvollziehen.

NH ist ein ziemlich kaffeelastiger Duft, aber besonders authentisch ist diese Note nicht. Für sich betrachtet besteht sie vor allem aus sehr würzigbitteren, schwarzen Schwaden, wie sie aus einem heißen Espresso aufsteigen. Aber wie gesagt, der etwas harte Auftakt legt sich. Noch vordergründiger ist der Ahornsirup, welcher sich bald um die bittere Schwärze des Kaffees legt. Vanille konnte ich in NH noch nie ausmachen, allerdings rieche ich mit dem Ahornsirup den Vibe von frischen Waffeln mit Puderzucker, Crêpes und Palatschinken.

Keine Frage, NH ist süß. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gourmanddüften werden die süßen Elemente aber extrem stark gekontert – einmal trug ich NH und bat meine Freundin, zu erraten, was ich denn da wohl trüge. Sie tippte auf Annick Goutals Sables, den wir tags zuvor auf Papier getestet hatten und dessen curryfarbene Würze uns sehr gut gefiel. Ich war zunächst ziemlich erstaunt, bestehen zwischen diesen Düften scheinbar doch keinerlei Parallelen, aber bei genauerem Hinriechen wurde mir klar, dass in NH viel Immortelle sein muss (die zentrale Note in Sables). Kontrovers diskutiert wird die Lavendelnote, auch sie ein Kontrast zur wuchtigen Süße, obwohl eher leise und für mich abhängig von der Dosierung manchmal gar nicht direkt wahrnehmbar. Kritisiert wird häufig, dass dieser Lavendel etwas Duschgelhaftes hätte, und zumindest kann ich bestätigen, dass dies kein besonders betörender und schon gar nicht natürlicher Lavendel ist.

NH ist ein sehr szenischer und authentisch erscheinender Duft, aber kein photorealistischer. Typisch ist, dass ich z.B. den Kaffee näher zu ergründen versuche und am Ende bei der Immortelle lande. Bis auf den Ahornsirup werden alle wesentlichen Elemente nur in Teilaspekten zitiert. Würden diese Elemente jeweils voll ausgespielt werden, käme vielleicht ein gefälligerer Duft heraus, allerdings wäre er auch disneyesker. Zudem würde dies zu Lasten der interessanten Kontraste gehen. Obwohl dieser Duft eindeutig dunkel ist, sind alle Elemente stark voneinander abgesetzt, weshalb z.B. der Kaffee nie süß wirkt und die Crêpes nie bitter.

Kurz sei in diesem Zusammenhang auf Rochas Man eingegangen, der zum Vergleichen interessant ist, weil Maurice Roucel mit ihm vier Jahre vor der Veröffentlichung von NH das gleiche Thema mit in etwa denselben Zutaten umsetzte. Rochas Man ist deutlich idealisierter und damit einerseits weniger schroff, andererseits auch weniger authentisch. Allerdings auch deutlich tragbarer, da er die Stimmung nicht so nachhaltig festlegt wie NH. Streckenweise sind sich beide wirklich ziemlich ähnlich, aber Rochas Man ist süßer, der Lavendel viel weicher eingewoben, der Kaffee leise und milchig, die Vanille deutlicher bei insgesamt zurückgenommener Performance (dazu außerdem etwas Himbeere). Welchen Duft man besser findet, ist eh Geschmackssache, so oder so ist der ja eher selten mögliche Vergleich von zwei ziemlich unterschiedlichen Varianten desselben Themas aber sehr interessant.

Maurice Roucel ist ein sehr szenisch, bisweilen plakativ komponierender Parfümeur, der aus guten Rohstoffen fantastische Sachen macht, aber es geht ihm nicht um die Rohstoffe oder deren Qualität, sondern um Bilder und Szenen. NH ist kein ausschließlich schöner Duft, aber er ist bildhaft. Mit abstrakten Andeutungen wird hier eine Stimmung erschaffen, die mir sehr echt erscheint; der Duft eines echten Kaffeehauses, gleich welcher Art, setzt sich durchaus nicht nur aus frischgemahlenen Kaffee, Torte und Pfannkuchen in ihren jeweils idealen Ausprägungen zusammen, sondern z.B. aus dem Zigarettenrauch aus der Raucherecke oder dem nassen Mantel vom Mann am Nebentisch. Nur mal so als Beispiel. Was nicht heißt, dass das unangenehm riechen müsste. Wenn man in einem Kaffeehaus sitzt, rümpft man ja auch nicht jedes Mal die Nase, wenn von der Bedienung ein kleiner Hauch vom vielleicht eher preiswerten Lavendelduschgel herüberweht. Es gehört halt dazu.

Trotz seiner scheinbaren Disharmonien ist NH ein Duft mit einer unverkennbaren Wohlfühlatmo, warm, getoastet und amberfarben. Außerdem ist er sehr laut, es ist nicht möglich, ihn so zu dosieren, dass er die Stimmung um einen herum nicht einfärbt und Reaktionen oder zumindest eine eingehende Zurkenntnisnahme provoziert. Das macht ihn zu einem interessanten Werkzeug. Letztlich ist jeder Duft ein Statement, NH allerdings suggeriert nicht nur irgendeine Haltung oder Stimmung, er setzt sie gleichzeitig um. Jeder versteht, welche Art von Stimmung der Träger meint: laid back, locker, sich mit offenen Sinnen der Sinnlichkeit hingebend. Wer NH bei einem Vorstellungsgespräch trägt, braucht sich nicht wundern (wobei, kommt natürlich auf den Job an). Dabei ist NH keineswegs ein einlullender oder romantischer Duft, er trägt sehr viel Großstadthektik und Neonlicht in sich, die Hektik einer Fußgängerzone in strömendem Regen, deren Gewusel und Geblinke man sich durch die Glasscheibe seines Lieblingscafés anschaut.
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