Salander
09.06.2019 - 14:21 Uhr
69
Top Rezension
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft

"Ich möchte ein Parfum für Frauen, das wie eine Frau riecht!" - Coco Chanel

Als Karl Lagerfeld „der Große“ in die Einfahrt des Kosmetik-Hauptquartiers abbog, hatte er schon die fixe Idee im Kopf. Die Renovierung der New Yorker Boutique in der 57. Straße stand vor der Finalisierung, die Wiedereröffnung rückte immer näher. Zudem hat er gerade seine Métiers-d’art-Kollektion ins Metropolitan Museum verlegt. Diese Ereignisse sollte man doch neben der aktuellen Modekollektion auch mit einem neuen Parfüm feiern. Der Duft könnte 1957 heißen. Damals bekam doch Coco den Mode Oscar, den „Neiman Marcus Award for Distinguished Service in the Field of Fashion“ in Amerika verliehen. Es war das Jahr ihres Comebacks nach dem Krieg und in Übersee war sie danach noch lange Zeit sehr erfolgreich. Das wäre doch eine schöne Huldigung an Gabriele Chanel und an die Amerikaner. Oliver (Polge) wird sicher einverstanden sein. Und ihm fällt bestimmt auch etwas Großartiges ein, wie er seine Vorstellung mit einem Duft verbinden würde.

So oder so ähnlich wurde das 17. Parfüm der Serie „Les Exclusives“ von Chanel geboren.

Und jetzt, bevor ich an dieser Stelle mit der Parfümbeschreibung fortfahre, möchte ich gerne einen kurzen Umweg nehmen.

Im vergangenen Jahr wurde mit Parfüm weltweit ca. 40 Milliarden Dollar umgesetzt. Marken, Manufakturen, Maisons und Hersteller soweit das Auge reicht. Der Versuch, alle Neuerscheinungen zeitnah zu testen lässt erahnen, wie sinnlos sich Sisyphos bemüht haben musste, seine Aufgabe zu erfüllen.

Irgendwann, als ich das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in die Hand nahm, ging mir ein Lichtlein auf. Früher oder später werden die gleichen Themen in allen Zeitungen besprochen, lediglich mit einem anderen Schwerpunkt und meist nach der eigenen politischen Überzeugung differenziert dargestellt. Das was für diverse Magazine und Fachblätter gilt, bestimmt auch die Duftlandschaft. Trends werden auf dem ganzen Markt nach und nach von verschiedenen Herstellern aufgegriffen und unterschiedlich interpretiert. Heute laufe ich nicht mehr jeder Marke hinterher. Etat Libre d'Orange kann mir schon lange gestohlen bleiben. Wenn jemand Spaß daran hat, seine olfaktorischen Geisterbahnrunden zu fahren und gleichzeitig seine Synapsen zu teeren, kann er das gerne tun. Ich warte solange draußen.

Dagegen mag ich die meisten Kreationen von Guerlain und Chanel sehr. Meine Erwartungen werden von den beiden Traditionshäusern überproportional häufig erfüllt. Unter der Leitung von Thierry Wasser oder Olivier Polge ersinnt man keine "toxischen" Verbindungen, sondern Gedichte aus Molekülen, eine Duftaura, die die Trägerin umschmeichelt. Für mich sind die schönsten olfaktorischen Begegnungen weiblich, cremig, pudrig, floral und rein. 1957 ist in meinen Augen ein Volltreffer.

In der ersten Linie findet man hier einen Moschusduft, der in feiner Manier das tut, was er am besten kann, nach Sauberkeit, Reinlichkeit und Sinnlichkeit duften. Oliver Polge selber beschreibt 1957 wie folgt: „Seine Essenz, seine Basis ist weißer Moschus aus acht Varianten, kommt erst auf der Haut zu voller Blüte“.

Ich möchte ehrlich sein, bei einem Blindtest hätte ich eindeutig auch nur festhalten können, dass es sich hier um einen ätherischen femininen Moschusduft handelt. Daneben ist mir lediglich die Ähnlichkeit mit zwei anderen festen Größen aufgefallen. Die Duftrichtung, die Cacharel mit Noa erfolgreich gemacht und White Suede mit Leder veredelt hat, variiert der Parfümeur mit sanften Tönen von Jacques Polges Beige.

Oliver Polge hat mit 1957 einen wunderbaren Understatement-Duft in der Tradition seines Vaters und nach Coco Chanels Leitsatz geschaffen: "Ich möchte ein Parfum für Frauen, das wie eine Frau riecht!" Hand aufs Herz, wollen wir das nicht alle?

(Quelle: WELT - „Nicht Paris, sondern Amerika feierte Coco Chanel damals“)
25 Antworten