Les Exclusifs de Chanel

Sycomore 2016 Eau de Parfum

Version von 2016
Mairuwa
29.03.2024 - 03:39 Uhr
26
Top Rezension
6
Preis
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft

„Heil Dir, Sykomore der Nut, Mutter des Osiris!“

„Sycomore“ hat für Vetiver-Liebhaber den Status einer Art Heiligen Grals – und für Chanel-Aficionados ohnehin. Lange war ich auf der Suche nach einer Gelegenheit, ihn zu testen. In der kleinen Parfümerie nebenan ist er nicht im Sortiment, und nur auf Geraune und Schwärmerei hin mal eben 200 bis 300 Euro für einen Blindkauf hinblättern, das wäre mir dann doch nicht ganz geheuer. Doch leider pflegt Chanel nun mal diesen Hang zum Exklusiven und hat „Sycomore“ auch in einer gleichnamigen Reihe auf den Markt gebracht. „Les Exclusifs de Chanel“ widmen sich jeweils einem Kapitel oder einem Element aus dem Leben der Mode- und Stil-Ikone. So finden sich hier Düfte wie „31 Rue de Cambon“ – benannt nach der Adresse von Chanels Atelier und Wohnung in Paris, „Bel Respiro“ – nach ihrer gleichnamigen Frühlingsresidenz im Grünen, „Boy“ – benannt nach Chanels Gefährten Arthur „Boy“ Chapel, oder „1932“ –nach dem Jahr in dem Chanel gemeinsam mit Paul Iribe eine exklusive Schmuckkollektion kreierte. Ein ganzes Universum geheimer Botschaften für Adepten also.

Bei „Sycomore“ nun findet diese Selbstreferenzialität gewissermaßen auf einer Meta-Ebene statt, die ganz im Kosmos der Düfte bleibt. Hier hat man im Namen eine Anleihe bei einem alten Parfum des Hauses Chanel gemacht, 1930 nach Mademoiselles Vorstellungen kreiert und umgesetzt von keinem geringeren als Ernest Beaux, dem Schöpfer des legendären „No.5“.

Mit dem historischen Duft freilich hat die Neuinterpretation allenfalls indirekt zu tun. Jener wird als sehr geradliniger und edler, holzig-blumiger Duft beschrieben, damals wie vieles in Chanels Stil für Frauen mit deutlichen Anleihen aus eher männlicher Domäne – hier eben die holzigen Noten. Allerdings stand bei diesem ersten „Sycomore“ ein Zeder-Tabak Akkord im Mittelpunkt und nicht, wie bei der Neuschöpfung, Vetiver. Dennoch wirkte das damals sicher sehr androgyn – „unisex“ avant la lettre. Auch der Name „Sycomore“ verweist dabei auf Holz, und zwar vermutlich nicht auf den Bergahorn (im Französischen Èrable Sycomore), sondern auf die in der Levante und weiten Teilen Afrikas beheimatete Maulbeerfeige (Ficus Sycomorus). Der mächtige Baum galt den alten Ägyptern als heilig: die Himmelsgöttin Nut symbolisierend, ist er als Namensgeber eines Heiligen Grals durchaus würdig.

Hölzer stehen thematisch auch bei der von Jacques Polge und Christopher Sheldrake kreierten und erstmals 2008 als Eau de Toilette aufgelegten Neuinterpretation von „Sycomore“ im Mittelpunkt, hier jedoch wie gesagt mit Vetiver umgesetzt. Mir selbst liegt zum Testen die EdP-Version von 2016 vor, die ich nun endlich als Probe erstehen konnte (vielen Dank an Jolene!). Viele meinen, sie reiche nicht an die Vorgängerversion heran. Das kann ich nicht beurteilen, aber phantastisch ist sie in jedem Fall.

Oft wird „Sycomore“ (vor allem die 2008er Version) mit Nathalie Lorsons Klassiker „Encre Noire“ von 2006 verglichen. Das ist nicht ganz abwegig, weil sie beide auf einem markanten Akkord von Vetiver und Zypresse aufbauen, der den Duft jeweils bestimmt und trägt. Und auch bei der 2016er Version kann ich beim Gegentesten mit „Encre Noire“ eine gewisse Verwandtschaft nicht von der Hand weisen. Dennoch führt der Vergleich zumindest dann sicherlich in die Irre, wenn er übertrieben dargestellt wird und die beiden Düfte, wie zuweilen zu lesen, als geradezu austauschbare „Duftzwillinge“ betitelt werden. Das sind sie sicher nicht, sondern beide für sich eigenständige Meisterwerke, die abgesehen von ihrem zentralen Akkord völlig unterschiedlich strukturiert sind und einem je ganz eigenen Konzept und unterschiedlichen Absichten folgen.

Wo „Encre Noire“ schroff und kühl daherkommt, ist „Sycomore“ abgerundet und deutlich wärmer. Wo „Encre Noire“ ganz auf Zypresse in Kombination mit gleich mehreren Vetiver-Varianten und dem etwas stechenden Vetiverylacetat setzt, ist der zentrale Akkord bei „Sycomore“ um Wacholder ergänzt, was ihn weniger spitz und dafür würziger wirken lässt. Der rosa Pfeffer tut dazu sein Übriges. Zudem hat der Chanel-Duft mit Sandelholz einen sanfteren und wärmeren Gegenpol in der Basis als es das Cashmeran bei „Encre Noire“ zu leisten vermag, und auch das zunächst kontraintuitive Veilchen sowie ein sanfter Schleier von Chanel Aldehyden schaffen eine weichere Frische, während eine Tabaknote etwas süßlich-rauchiges beisteuert und die Komposition sehr schön ausbalanciert. Ohne Frage ein ganz großer Wurf im Kreise der Vetiverdüfte!

Welcher nun gelungener ist? – schwer zu sagen. Der Originalitätswert von „Encre Noire“ ist vermutlich größer. Er hat das markantere Alleinstellungsmerkmal. „Sycomore“ setzt das Vetiver-Zypressen-Thema als sehr edlen und gediegenen Wohlfühlduft um, der den Träger eher umschmeichelt, statt ihn zu fordern. Natürlich hat das nicht die Radikalität und Kompromisslosigkeit von „Encre Noire“. „Sycomore“ ist sicher das konventionellere Parfum, aber das ist ja auch wahrhaftig nichts Schlechtes. Es ist sicher vielseitiger tragbar und spricht eine breitere Schicht an, ohne dabei jemals im Geringsten gefällig zu sein.

Lalique hat bekanntlich einige Jahre später eine „à l’Extreme“ Version von „Encre Noire“ auf den Markt gebracht. Diese geht in gewisser Weise einen ähnlichen Weg und macht den Duft mit Sandelholz und in diesem Fall Iris weicher, setzt aber gleichzeitig auf Harze von Weihrauch bis Elemi, was zu einer phantastisch dunklen, rauchigen Melange führt – für mich vielleicht immer noch die Apotheose des Vetiver-Zypressenakkords.

Aber auch Chanel ist seit 2022 schon wieder einen Schritt weiter und hat „Sycomore“ als Extrait de Parfum aufgelegt. Oder ist es ein Schritt zurück? Denn einerseits wird der Duft hier noch exklusiver – man kann wählen zwischen der Standardversion zu knapp 300 Euro für 15ml und einer limitierten Auflage von 20 nummerierten Exemplaren im Kristallflakon und handgefertigten, klappaltarähnlichen Schrein, die preislich eher im fünfstelligen Bereich angesiedelt sein soll. In dieser Version dürfte er ähnlich schwer zu finden sein, wie der Originalduft von 1930 und entzieht sich damit weitgehend ins Reich der Legende. Andererseits soll der Duft sich in der Überarbeitung von Olivier Polge auch olfaktorisch wieder mehr der ursprünglichen Kreation von Ernest Beaux annähern – mit Iris, Zedernholz und Vanille. Ob er das wirklich tut oder ob es sich dabei um reines Marketing handelt, mag dahingestellt bleiben. Ob das „Sycomore“ noch einmal wirklich verbessern kann, ebenso.
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