Miniature Art Collection

Sultan Vetiver 2014

Mairuwa
25.04.2024 - 11:43 Uhr
3
Hilfreiche Rezension
7
Preis
8
Flakon
9
Sillage
10
Haltbarkeit
9
Duft

Vetiver Fou d’Absinthe oder: Der Sultan und die Grüne Fee

Als bekennender Vetiver-Liebhaber habe ich diesen Duft allein auf die hymnischen Schilderungen (und andererseits bodenlosen Verrisse) in einigen Rezensionen hin blind gekauft. Und ich habe es nicht einen Moment bereut. Auch jetzt, da ich nunmehr fast ein Jahr mit ihm verbracht habe und in der Zwischenzeit noch so manche anderen großartigen Vetiverdüfte kennenlernen konnte, empfinde ich ihn doch als eine der eindrücklichsten Interpretationen von Vetiver, die ich kenne und als eine sehr originelle dazu, die keinem anderen gleicht, der mir bekannt wäre. Insgesamt ist „Sultan Vetiver“ sehr facettenreich und dicht, wohl nicht zuletzt durch die Verwendung von insgesamt vier verschiedenen Vetiversorten: aus Haiti, Java, Brasilien (!) und dem Bourbon-Vetiver aus Réunion, alle von jeweils ganz eigenem Charakter. Und wie so oft habe ich den Eindruck, dass sich bei Verwendung von verschiedenen Vetiverrohstoffen unterschiedlicher Herkunft deren Komplexität potenziert. Deshalb auch – aber diese Abschweifung nur ganz am Rande – wäre ich seit langem auf den leider sehr schwer erhältlichen „Vetiver Absolute“ von Pure Presence neugierig, der die Verschmelzung verschiedener Vetiver-facetten noch kompromissloser betreibt.

Nicht ganz mein Fall ist eigentlich die leicht süßliche Note, die den Charakter von „Sultan Vetiver“ bestimmt und die wohl auch auf Tonkabohne und Neroli im Herzen, vor allem aber auf den Absinth zurückzuführen ist. Nicht sonderlich vertraut mit Spirituosen musste ich erst einmal probieren, wie die legendäre „grüne Fee“ denn eigentlich schmeckt, beziehungsweise riecht. Absinth enthält ja neben dem Wermut auch Anis und Fenchel, und auf die beiden letzteren, kann ich mir vorstellen, ist die würzige Süßlichkeit zurückzuführen. Dennoch funktioniert das für mich hier hervorragend, weil der potenzierte Vetiver dem genug entgegenzusetzen hat. Und die Leder- und Holznoten in der Basis helfen dabei sicher auch. Letztendlich ist das das Alleinstellungsmerkmal von Sultan Vetiver, das, was ich sonst von keinem Vetiverduft kenne: die gekonnte Verbindung des Vetiver mit der Absinthnote bildet einen wirklich innovativen Akkord, der nicht nur süßlich-würzig ist, sondern zugleich eine betörende Frische hat. Irgendwer hat das assoziativ mit dem olfaktorischen Grundrauschen in einem Blumengeschäft verglichen und auch wenn ich das nicht eins zu eins unterschreiben würde, kann ich die Assoziation doch nachvollziehen. „Sultan Vetiver“ hat etwas von einem Blumenstrauß, ist sehr facettenreich, mit schillernd bunten, ja geradezu edelsteinartig funkelnden Blüten vor einem grünen Grund.

Das allerdings in einer Konzentration und Stärke, die mit einem Blumengeschäft nichts mehr zu tun hat. Als Vergleich (ich weiß allerdings nicht, wie hilfreich das nun ist) kommt mir nur Meerrettich in den Sinn – nicht wegen irgendeiner Ähnlichkeit des Geruchseindrucks, aber wegen der schieren Intensität der Empfindung. Der Geruch geht von der Nase direkt in den Hinterkopf und beim Erstkontakt hat man Angst, dass die Schädeldecke abhebt. Eine Erfahrung, die ich bei einem Parfum (und auch nicht bei einem „extrait de parfum“, mit dem wir es hier zu tun haben) in dieser Form noch nicht gemacht habe. Das meinte ich, als ich in einem ersten, noch vorsichtig verhaltenen Kommentar meinte, dass der Sultan einen mit seiner geballten Wucht erst einmal beinahe erschlagen kann. Hat man sich daran allerdings einmal gewöhnt und beim Dosieren entsprechend darauf eingestellt, schätzt man einfach die in Haltbarkeit und Ausstrahlung gleichermaßen souveräne Performance und muss dem nicht gerade unbescheiden gewählten Namen anerkennend zustimmen. Und man ist im Nachhinein auch mit dem ebenfalls nicht ganz unbescheidenen Preis versöhnt, denn bei der kleinen Dosis, derer es jeweils bedarf, um sich nachhaltig zu beduften, kommt man mit dem Fünfzig-Milliliter-Flakon doch sehr weit. Ich kenne tatsächlich keinen Vetiverduft, der es in der Haltbarkeit mit dem Sultan aufnehmen könnte.

Nicht ganz nebensächlich: auch hier riecht das Auge mit, und das mit Genuss. Das türkische Nischenlabel Nishane hat sich in den letzten gut zehn Jahren mit einer ganzen Reihe innovativer und hochwertiger Düfte einen Namen gemacht und setzt dabei nicht nur auf die Qualität der durchweg hoch konzentrierten Inhaltstoffe, sondern auch auf herausragendes Design. So auch im Fall von „Sultan Vetiver“. Der Flakon in schwarz und Gold ist hier zwar im Vergleich zu manchen anderen Vertretern des Hauses vergleichsweise schlicht gehalten, aber die kleinen Details machen den Reiz aus: etwa die schwere, goldene Verschlusskappe mit Magnet oder der kleine berittene Bogenschütze, der auf der Rückseite der Metallplakette durch die goldgelbe Flüssigkeit schimmert. Und passend dazu, dass die Duftkreationen von Nishane oft als Brückenschlag zwischen westlicher und orientalischer Kultur eingeordnet werden, prangt auf der Seite des Kartonschubers, in dem „Sultan Vetiver“ daherkommt, eine Versammlung comic-artig gezeichneter Figuren, die vielleicht am ehesten als liebevoll selbstironischer Verweis auf die Vielfältigkeit und Diversität der türkischen Kultur und Gesellschaft zu verstehen ist, für die Modernität ebenso kennzeichnend ist, wie Traditionsbewusstsein. Da geben sich ein bärtiger Turbanträger und eine Ärztin die Hand, ein Koch und Feuerwehrleute, ein Tennisspieler in langen wallenden Gewändern, ein grüner Froschmann mit Tauchermaske, traditionelle und moderne Musikerinnen, ein Journalist mit Kamerateam und eine traditionell gewandete Astronautin mit Raumfahrerhelm! Zu dieser Feier des Kosmopolitismus passt auch, dass Nishane, anstatt das ikonische „Paris“ als Herkunftsverweis auf dem Flakon fast jeden westlichen Parfums mit einem selbstbewussten „Istanbul“ zu kontern, fiktive Herkunftsverweise anführt, die eher auf den Kulturraum der verwendeten Noten oder die hypothetische Stilheimat der Komposition verweist – auch dies eine leise Ironie, die ich sehr zu schätzen weiß. Bei „Wulóng Chá“ etwa ist es Shanghai, bei „Pasión Choco“ Bogotá und bei „Mūsīqá Oud“ Riyad. Beim „Sultan Vetiver“ ist es, ebenso stimmig, Mumbai.

Insgesamt eine unbedingte Testempfehlung an jeden Vetiverfan und jeden, der allgemein außergewöhnlichen Dufterlebnissen gegenüber aufgeschlossen ist. Und auch die Absinthtrinker-Fraktion sollte sich hier angesprochen fühlen: Künstler, Bohème und alle, die gerne in zeitgemäßer und nicht halluzinogenener Weise eine Art olfaktorischer fin-de-siècle Dekadenz zelebrieren wollen. Gleichzeitig bin ich mir durchaus bewusst, dass sich hier die Geister scheiden und viele sich auch abgestoßen oder schlicht überfordert fühlen dürften. Denen sei noch einmal nahegelegt: die Dosis macht das Gift, und Sparsamkeit mag hier der Schlüssel zum Genuss sein.

„Sultan Vetiver“ hat wahrlich nicht seinesgleichen. Das schreibe ich hier ganz demonstrativ und durchaus im Bewusstsein der Überheblichkeit einer solchen Aussage, denn welch geringen Ausschnitt aus den unermesslichen Gründen der Duftkunst kenne ich kleines Licht schon? Und so spricht aus dem Satz in Wahrheit die Hoffnung, dass ein Leser mich doch auf Vergleichbares hinweisen möge!
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