Mairuwa
Sehr hilfreiche Rezension
6
A la Recherche des Senteurs Perdues – Betrix Country Revisited
Es handelt sich hier um einen der ersten Düfte, mit denen ich mich ausführlicher auseinandergesetzt habe, nämlich bereits in meiner Kindheit. Zwar war das nur in Form einer Duftprobe, die meine Eltern vermutlich, irgendwann zu Beginn der 80er Jahre, in irgendeiner Parfümerie geschenkt bekommen haben, kein Interesse daran hatten und sie stillschweigend an mich „zum Spielen“ weitergaben. Allerdings waren Duftproben damals oft noch vergleichsweise opulent, ein 5ml Schüttflakon mit Schraubdeckel im grün-goldenen Karton. Alles durchaus stilvoll und heute eine begehrte Vintage-Sammlerminiatur. Gespielt habe ich denn auch nicht mit dem Fläschchen, sondern es sorgfältig in meiner Schatzkiste verwahrt und bei Gelegenheit andächtig daran gerochen. So war es einer der Grundsteine für die erste Phase meiner Parfumleidenschaft. Ich lernte, dass Wohlgerüche in Flaschen ein geeignetes Transportmittel für ausgedehnte Phantasiereisen sein können – etwas, das ja bis heute in der Parfümerie ganz zentral ist.
„Country“ - der Name ist Programm und umreißt sehr gut, wohin die Reise geht: Satt moosig-holzig und würzig-grün kommt er daher, ein Parade-Waldduft. Startet er noch mit einer angenehmen, leicht krautigen Frische, so weicht diese schnell einer tiefen, würzigen Wärme. Die Harznoten und die leichte Ledernote in der Basis sind durchgehend deutlich erkennbar. Ein komplexer Duft alter Schule mit einigen Komponenten, die heute leider - nicht zuletzt wegen neuen Vorschriften - kaum noch Verwendung finden. Wenn ausgesprochene Walddüfte (anders als Holzdüfte) heute trotz vorherrschenden grünen Lifestyles nicht unbedingt Konjunktur haben, so mag das ja nicht zuletzt daran liegen, dass es schwierig geworden ist, echtes Eichenmoos einzusetzen – was ja nun mal in jeden richtigen Wald gehört. Hier jedenfalls kann man sicher sein, dass man das Original im Flakon hat und entsprechend kann man den Selbsttest auf Unverträglichkeit machen. Ich persönlich liebe Eichenmoos und konnte noch nie irgendwelche Probleme feststellen.
Entsprechend dieser alten Qualität ist auch die Haltbarkeit im Vergleich zu manchem neueren Duft überragend. Das Eau de Cologne hat eine Haltbarkeit, mit der es heute kaum ein Eau de Toilette aufnehmen kann.
Natürlich wurde der Duft längst eingestellt und würde der breiten Masse heute vermutlich etwas altmodisch erscheinen. Meiner Meinung nach aber völlig zu Unrecht. Am ehesten noch dürfte das daran liegen, dass es ihn eben nur als Vintage und in entsprechender Aufmachung gibt. Nicht, dass diese geschmacklos wäre, im Gegenteil, aber nach heutigen Maßstäben eben doch etwas aus der Zeit gefallen, ganz einfach deshalb, weil sie eben auch nie modernisiert wurde, wie das bei vielen anderen Düften der Fall war, die sich über die Jahre besser auf dem Markt gehalten haben. Und der äußere Eindruck prägt die Wahrnehmung eben doch mit. Ein Gedankenexperiment: wie wäre es, „Country“ in eine schicke moderne Flasche abzufüllen und in ein zeitgenössisches Sortiment einzureihen? Ich bin sicher, er würde seine Liebhaber finden.
„Country“ war zu seiner Zeit nun wirklich nicht besonders exklusiv. Eher in den unteren Regalreihen angesiedelt oder sogar in Drogerien erhältlich. Und selbst heute ist er für einen Vintage eigentlich noch recht erschwinglich, geht bei Auktionen zuweilen für deutlich unter 1€ pro Milliliter weg. Für seine Qualität ist das nicht übertrieben, da zahlt man heute für manchen schwachbrüstigen Trendduft mehr.
Ein paar Jahre später, auch noch in den achtziger Jahren - habe ich Aramis Devin kennengelernt und fand ihn auf Anhieb sehr ähnlich. Da letzterer immer noch erhältlich ist, wurde er über die Jahre für mich zu so etwas wie einem Betrix-Surrogat, auch wenn ich ihm damit sicher nicht ganz gerecht werde: Immerhin ist „Devin“ schon 1977 und damit drei Jahre vor „Country“ erschienen. Vermutlich wäre so auch in der Tat umgekehrt eher der Betrix-Duft als eine Art Ersatz-“Devin“ zu betrachten, zumindest als „Devin“-inspiriert. Dafür spricht, dass Aramis offensichtlich mit „Devin“ den Gattungsbegriff „Country Eau de Cologne“ eingeführt hat, um gezielt eine Schicht von urban sozialisierten Amerikanern anzusprechen, die zu dieser Zeit vermehrt entweder tatsächlich oder mithilfe von duftgelenkten Phantasiereisen (siehe oben) dem zunehmend gewaltgeprägten städtischen Raum entfliehen wollten – „Devin“ als Vehikel eines olfaktorischen Eskapismus also (siehe dazu die erhellende Rezension von Axiomatic), und "Country" als seine deutsche Neuinterpretation. Einen weiteren möglichen Hinweis auf eine solche Entlehnung könnte das Flakondesign der beiden Düfte liefern. Zwar ist die Silhouette eher klassisch, aber vor allem die ähnliche Form der Verschlusskappe ist nicht von der Hand zu weisen.
Sei’s drum – „Devin“ mag originärer sein und auch die Marktkategorie geprägt haben. Qualitativ steht „Country“ ihm um nichts nach, ist sicher keine billige Kopie sondern ein eigenständiger Duft, der in die gleiche Richtung geht, mir persönlich aber sogar noch etwas besser gefällt, weil er etwas frischer ist, der Wald gleichsam noch etwas lichter.
Dank eines komplexen Tausches hier im Forum konnte ich nun nach Jahrzehnten noch einmal eine Abfüllung von Country ergattern und meinen alten Flakon wieder füllen. Er hat nun wieder seinen Platz in meiner Schatzkiste und von Zeit zu Zeit kann ich ihn wieder genießen. Mein Dank dafür an Parfumo, aber besonders an Minigolf!