Mairuwa

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Mairuwa vor 13 Tagen 3 2
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Duft
Vetiver Fou d’Absinthe oder: Der Sultan und die Grüne Fee
Als bekennender Vetiver-Liebhaber habe ich diesen Duft allein auf die hymnischen Schilderungen (und andererseits bodenlosen Verrisse) in einigen Rezensionen hin blind gekauft. Und ich habe es nicht einen Moment bereut. Auch jetzt, da ich nunmehr fast ein Jahr mit ihm verbracht habe und in der Zwischenzeit noch so manche anderen großartigen Vetiverdüfte kennenlernen konnte, empfinde ich ihn doch als eine der eindrücklichsten Interpretationen von Vetiver, die ich kenne und als eine sehr originelle dazu, die keinem anderen gleicht, der mir bekannt wäre. Insgesamt ist „Sultan Vetiver“ sehr facettenreich und dicht, wohl nicht zuletzt durch die Verwendung von insgesamt vier verschiedenen Vetiversorten: aus Haiti, Java, Brasilien (!) und dem Bourbon-Vetiver aus Réunion, alle von jeweils ganz eigenem Charakter. Und wie so oft habe ich den Eindruck, dass sich bei Verwendung von verschiedenen Vetiverrohstoffen unterschiedlicher Herkunft deren Komplexität potenziert. Deshalb auch – aber diese Abschweifung nur ganz am Rande – wäre ich seit langem auf den leider sehr schwer erhältlichen „Vetiver Absolute“ von Pure Presence neugierig, der die Verschmelzung verschiedener Vetiver-facetten noch kompromissloser betreibt.

Nicht ganz mein Fall ist eigentlich die leicht süßliche Note, die den Charakter von „Sultan Vetiver“ bestimmt und die wohl auch auf Tonkabohne und Neroli im Herzen, vor allem aber auf den Absinth zurückzuführen ist. Nicht sonderlich vertraut mit Spirituosen musste ich erst einmal probieren, wie die legendäre „grüne Fee“ denn eigentlich schmeckt, beziehungsweise riecht. Absinth enthält ja neben dem Wermut auch Anis und Fenchel, und auf die beiden letzteren, kann ich mir vorstellen, ist die würzige Süßlichkeit zurückzuführen. Dennoch funktioniert das für mich hier hervorragend, weil der potenzierte Vetiver dem genug entgegenzusetzen hat. Und die Leder- und Holznoten in der Basis helfen dabei sicher auch. Letztendlich ist das das Alleinstellungsmerkmal von Sultan Vetiver, das, was ich sonst von keinem Vetiverduft kenne: die gekonnte Verbindung des Vetiver mit der Absinthnote bildet einen wirklich innovativen Akkord, der nicht nur süßlich-würzig ist, sondern zugleich eine betörende Frische hat. Irgendwer hat das assoziativ mit dem olfaktorischen Grundrauschen in einem Blumengeschäft verglichen und auch wenn ich das nicht eins zu eins unterschreiben würde, kann ich die Assoziation doch nachvollziehen. „Sultan Vetiver“ hat etwas von einem Blumenstrauß, ist sehr facettenreich, mit schillernd bunten, ja geradezu edelsteinartig funkelnden Blüten vor einem grünen Grund.

Das allerdings in einer Konzentration und Stärke, die mit einem Blumengeschäft nichts mehr zu tun hat. Als Vergleich (ich weiß allerdings nicht, wie hilfreich das nun ist) kommt mir nur Meerrettich in den Sinn – nicht wegen irgendeiner Ähnlichkeit des Geruchseindrucks, aber wegen der schieren Intensität der Empfindung. Der Geruch geht von der Nase direkt in den Hinterkopf und beim Erstkontakt hat man Angst, dass die Schädeldecke abhebt. Eine Erfahrung, die ich bei einem Parfum (und auch nicht bei einem „extrait de parfum“, mit dem wir es hier zu tun haben) in dieser Form noch nicht gemacht habe. Das meinte ich, als ich in einem ersten, noch vorsichtig verhaltenen Kommentar meinte, dass der Sultan einen mit seiner geballten Wucht erst einmal beinahe erschlagen kann. Hat man sich daran allerdings einmal gewöhnt und beim Dosieren entsprechend darauf eingestellt, schätzt man einfach die in Haltbarkeit und Ausstrahlung gleichermaßen souveräne Performance und muss dem nicht gerade unbescheiden gewählten Namen anerkennend zustimmen. Und man ist im Nachhinein auch mit dem ebenfalls nicht ganz unbescheidenen Preis versöhnt, denn bei der kleinen Dosis, derer es jeweils bedarf, um sich nachhaltig zu beduften, kommt man mit dem Fünfzig-Milliliter-Flakon doch sehr weit. Ich kenne tatsächlich keinen Vetiverduft, der es in der Haltbarkeit mit dem Sultan aufnehmen könnte.

Nicht ganz nebensächlich: auch hier riecht das Auge mit, und das mit Genuss. Das türkische Nischenlabel Nishane hat sich in den letzten gut zehn Jahren mit einer ganzen Reihe innovativer und hochwertiger Düfte einen Namen gemacht und setzt dabei nicht nur auf die Qualität der durchweg hoch konzentrierten Inhaltstoffe, sondern auch auf herausragendes Design. So auch im Fall von „Sultan Vetiver“. Der Flakon in schwarz und Gold ist hier zwar im Vergleich zu manchen anderen Vertretern des Hauses vergleichsweise schlicht gehalten, aber die kleinen Details machen den Reiz aus: etwa die schwere, goldene Verschlusskappe mit Magnet oder der kleine berittene Bogenschütze, der auf der Rückseite der Metallplakette durch die goldgelbe Flüssigkeit schimmert. Und passend dazu, dass die Duftkreationen von Nishane oft als Brückenschlag zwischen westlicher und orientalischer Kultur eingeordnet werden, prangt auf der Seite des Kartonschubers, in dem „Sultan Vetiver“ daherkommt, eine Versammlung comic-artig gezeichneter Figuren, die vielleicht am ehesten als liebevoll selbstironischer Verweis auf die Vielfältigkeit und Diversität der türkischen Kultur und Gesellschaft zu verstehen ist, für die Modernität ebenso kennzeichnend ist, wie Traditionsbewusstsein. Da geben sich ein bärtiger Turbanträger und eine Ärztin die Hand, ein Koch und Feuerwehrleute, ein Tennisspieler in langen wallenden Gewändern, ein grüner Froschmann mit Tauchermaske, traditionelle und moderne Musikerinnen, ein Journalist mit Kamerateam und eine traditionell gewandete Astronautin mit Raumfahrerhelm! Zu dieser Feier des Kosmopolitismus passt auch, dass Nishane, anstatt das ikonische „Paris“ als Herkunftsverweis auf dem Flakon fast jeden westlichen Parfums mit einem selbstbewussten „Istanbul“ zu kontern, fiktive Herkunftsverweise anführt, die eher auf den Kulturraum der verwendeten Noten oder die hypothetische Stilheimat der Komposition verweist – auch dies eine leise Ironie, die ich sehr zu schätzen weiß. Bei „Wulóng Chá“ etwa ist es Shanghai, bei „Pasión Choco“ Bogotá und bei „Mūsīqá Oud“ Riyad. Beim „Sultan Vetiver“ ist es, ebenso stimmig, Mumbai.

Insgesamt eine unbedingte Testempfehlung an jeden Vetiverfan und jeden, der allgemein außergewöhnlichen Dufterlebnissen gegenüber aufgeschlossen ist. Und auch die Absinthtrinker-Fraktion sollte sich hier angesprochen fühlen: Künstler, Bohème und alle, die gerne in zeitgemäßer und nicht halluzinogenener Weise eine Art olfaktorischer fin-de-siècle Dekadenz zelebrieren wollen. Gleichzeitig bin ich mir durchaus bewusst, dass sich hier die Geister scheiden und viele sich auch abgestoßen oder schlicht überfordert fühlen dürften. Denen sei noch einmal nahegelegt: die Dosis macht das Gift, und Sparsamkeit mag hier der Schlüssel zum Genuss sein.

„Sultan Vetiver“ hat wahrlich nicht seinesgleichen. Das schreibe ich hier ganz demonstrativ und durchaus im Bewusstsein der Überheblichkeit einer solchen Aussage, denn welch geringen Ausschnitt aus den unermesslichen Gründen der Duftkunst kenne ich kleines Licht schon? Und so spricht aus dem Satz in Wahrheit die Hoffnung, dass ein Leser mich doch auf Vergleichbares hinweisen möge!
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Mairuwa vor 1 Monat 26 6
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Duft
„Heil Dir, Sykomore der Nut, Mutter des Osiris!“
„Sycomore“ hat für Vetiver-Liebhaber den Status einer Art Heiligen Grals – und für Chanel-Aficionados ohnehin. Lange war ich auf der Suche nach einer Gelegenheit, ihn zu testen. In der kleinen Parfümerie nebenan ist er nicht im Sortiment, und nur auf Geraune und Schwärmerei hin mal eben 200 bis 300 Euro für einen Blindkauf hinblättern, das wäre mir dann doch nicht ganz geheuer. Doch leider pflegt Chanel nun mal diesen Hang zum Exklusiven und hat „Sycomore“ auch in einer gleichnamigen Reihe auf den Markt gebracht. „Les Exclusifs de Chanel“ widmen sich jeweils einem Kapitel oder einem Element aus dem Leben der Mode- und Stil-Ikone. So finden sich hier Düfte wie „31 Rue de Cambon“ – benannt nach der Adresse von Chanels Atelier und Wohnung in Paris, „Bel Respiro“ – nach ihrer gleichnamigen Frühlingsresidenz im Grünen, „Boy“ – benannt nach Chanels Gefährten Arthur „Boy“ Chapel, oder „1932“ –nach dem Jahr in dem Chanel gemeinsam mit Paul Iribe eine exklusive Schmuckkollektion kreierte. Ein ganzes Universum geheimer Botschaften für Adepten also.

Bei „Sycomore“ nun findet diese Selbstreferenzialität gewissermaßen auf einer Meta-Ebene statt, die ganz im Kosmos der Düfte bleibt. Hier hat man im Namen eine Anleihe bei einem alten Parfum des Hauses Chanel gemacht, 1930 nach Mademoiselles Vorstellungen kreiert und umgesetzt von keinem geringeren als Ernest Beaux, dem Schöpfer des legendären „No.5“.

Mit dem historischen Duft freilich hat die Neuinterpretation allenfalls indirekt zu tun. Jener wird als sehr geradliniger und edler, holzig-blumiger Duft beschrieben, damals wie vieles in Chanels Stil für Frauen mit deutlichen Anleihen aus eher männlicher Domäne – hier eben die holzigen Noten. Allerdings stand bei diesem ersten „Sycomore“ ein Zeder-Tabak Akkord im Mittelpunkt und nicht, wie bei der Neuschöpfung, Vetiver. Dennoch wirkte das damals sicher sehr androgyn – „unisex“ avant la lettre. Auch der Name „Sycomore“ verweist dabei auf Holz, und zwar vermutlich nicht auf den Bergahorn (im Französischen Èrable Sycomore), sondern auf die in der Levante und weiten Teilen Afrikas beheimatete Maulbeerfeige (Ficus Sycomorus). Der mächtige Baum galt den alten Ägyptern als heilig: die Himmelsgöttin Nut symbolisierend, ist er als Namensgeber eines Heiligen Grals durchaus würdig.

Hölzer stehen thematisch auch bei der von Jacques Polge und Christopher Sheldrake kreierten und erstmals 2008 als Eau de Toilette aufgelegten Neuinterpretation von „Sycomore“ im Mittelpunkt, hier jedoch wie gesagt mit Vetiver umgesetzt. Mir selbst liegt zum Testen die EdP-Version von 2016 vor, die ich nun endlich als Probe erstehen konnte (vielen Dank an Jolene!). Viele meinen, sie reiche nicht an die Vorgängerversion heran. Das kann ich nicht beurteilen, aber phantastisch ist sie in jedem Fall.

Oft wird „Sycomore“ (vor allem die 2008er Version) mit Nathalie Lorsons Klassiker „Encre Noire“ von 2006 verglichen. Das ist nicht ganz abwegig, weil sie beide auf einem markanten Akkord von Vetiver und Zypresse aufbauen, der den Duft jeweils bestimmt und trägt. Und auch bei der 2016er Version kann ich beim Gegentesten mit „Encre Noire“ eine gewisse Verwandtschaft nicht von der Hand weisen. Dennoch führt der Vergleich zumindest dann sicherlich in die Irre, wenn er übertrieben dargestellt wird und die beiden Düfte, wie zuweilen zu lesen, als geradezu austauschbare „Duftzwillinge“ betitelt werden. Das sind sie sicher nicht, sondern beide für sich eigenständige Meisterwerke, die abgesehen von ihrem zentralen Akkord völlig unterschiedlich strukturiert sind und einem je ganz eigenen Konzept und unterschiedlichen Absichten folgen.

Wo „Encre Noire“ schroff und kühl daherkommt, ist „Sycomore“ abgerundet und deutlich wärmer. Wo „Encre Noire“ ganz auf Zypresse in Kombination mit gleich mehreren Vetiver-Varianten und dem etwas stechenden Vetiverylacetat setzt, ist der zentrale Akkord bei „Sycomore“ um Wacholder ergänzt, was ihn weniger spitz und dafür würziger wirken lässt. Der rosa Pfeffer tut dazu sein Übriges. Zudem hat der Chanel-Duft mit Sandelholz einen sanfteren und wärmeren Gegenpol in der Basis als es das Cashmeran bei „Encre Noire“ zu leisten vermag, und auch das zunächst kontraintuitive Veilchen sowie ein sanfter Schleier von Chanel Aldehyden schaffen eine weichere Frische, während eine Tabaknote etwas süßlich-rauchiges beisteuert und die Komposition sehr schön ausbalanciert. Ohne Frage ein ganz großer Wurf im Kreise der Vetiverdüfte!

Welcher nun gelungener ist? – schwer zu sagen. Der Originalitätswert von „Encre Noire“ ist vermutlich größer. Er hat das markantere Alleinstellungsmerkmal. „Sycomore“ setzt das Vetiver-Zypressen-Thema als sehr edlen und gediegenen Wohlfühlduft um, der den Träger eher umschmeichelt, statt ihn zu fordern. Natürlich hat das nicht die Radikalität und Kompromisslosigkeit von „Encre Noire“. „Sycomore“ ist sicher das konventionellere Parfum, aber das ist ja auch wahrhaftig nichts Schlechtes. Es ist sicher vielseitiger tragbar und spricht eine breitere Schicht an, ohne dabei jemals im Geringsten gefällig zu sein.

Lalique hat bekanntlich einige Jahre später eine „à l’Extreme“ Version von „Encre Noire“ auf den Markt gebracht. Diese geht in gewisser Weise einen ähnlichen Weg und macht den Duft mit Sandelholz und in diesem Fall Iris weicher, setzt aber gleichzeitig auf Harze von Weihrauch bis Elemi, was zu einer phantastisch dunklen, rauchigen Melange führt – für mich vielleicht immer noch die Apotheose des Vetiver-Zypressenakkords.

Aber auch Chanel ist seit 2022 schon wieder einen Schritt weiter und hat „Sycomore“ als Extrait de Parfum aufgelegt. Oder ist es ein Schritt zurück? Denn einerseits wird der Duft hier noch exklusiver – man kann wählen zwischen der Standardversion zu knapp 300 Euro für 15ml und einer limitierten Auflage von 20 nummerierten Exemplaren im Kristallflakon und handgefertigten, klappaltarähnlichen Schrein, die preislich eher im fünfstelligen Bereich angesiedelt sein soll. In dieser Version dürfte er ähnlich schwer zu finden sein, wie der Originalduft von 1930 und entzieht sich damit weitgehend ins Reich der Legende. Andererseits soll der Duft sich in der Überarbeitung von Olivier Polge auch olfaktorisch wieder mehr der ursprünglichen Kreation von Ernest Beaux annähern – mit Iris, Zedernholz und Vanille. Ob er das wirklich tut oder ob es sich dabei um reines Marketing handelt, mag dahingestellt bleiben. Ob das „Sycomore“ noch einmal wirklich verbessern kann, ebenso.
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Mairuwa vor 3 Monaten 6 3
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Duft
A la Recherche des Senteurs Perdues – Betrix Country Revisited
Es handelt sich hier um einen der ersten Düfte, mit denen ich mich ausführlicher auseinandergesetzt habe, nämlich bereits in meiner Kindheit. Zwar war das nur in Form einer Duftprobe, die meine Eltern vermutlich, irgendwann zu Beginn der 80er Jahre, in irgendeiner Parfümerie geschenkt bekommen haben, kein Interesse daran hatten und sie stillschweigend an mich „zum Spielen“ weitergaben. Allerdings waren Duftproben damals oft noch vergleichsweise opulent, ein 5ml Schüttflakon mit Schraubdeckel im grün-goldenen Karton. Alles durchaus stilvoll und heute eine begehrte Vintage-Sammlerminiatur. Gespielt habe ich denn auch nicht mit dem Fläschchen, sondern es sorgfältig in meiner Schatzkiste verwahrt und bei Gelegenheit andächtig daran gerochen. So war es einer der Grundsteine für die erste Phase meiner Parfumleidenschaft. Ich lernte, dass Wohlgerüche in Flaschen ein geeignetes Transportmittel für ausgedehnte Phantasiereisen sein können – etwas, das ja bis heute in der Parfümerie ganz zentral ist.

„Country“ - der Name ist Programm und umreißt sehr gut, wohin die Reise geht: Satt moosig-holzig und würzig-grün kommt er daher, ein Parade-Waldduft. Startet er noch mit einer angenehmen, leicht krautigen Frische, so weicht diese schnell einer tiefen, würzigen Wärme. Die Harznoten und die leichte Ledernote in der Basis sind durchgehend deutlich erkennbar. Ein komplexer Duft alter Schule mit einigen Komponenten, die heute leider - nicht zuletzt wegen neuen Vorschriften - kaum noch Verwendung finden. Wenn ausgesprochene Walddüfte (anders als Holzdüfte) heute trotz vorherrschenden grünen Lifestyles nicht unbedingt Konjunktur haben, so mag das ja nicht zuletzt daran liegen, dass es schwierig geworden ist, echtes Eichenmoos einzusetzen – was ja nun mal in jeden richtigen Wald gehört. Hier jedenfalls kann man sicher sein, dass man das Original im Flakon hat und entsprechend kann man den Selbsttest auf Unverträglichkeit machen. Ich persönlich liebe Eichenmoos und konnte noch nie irgendwelche Probleme feststellen.

Entsprechend dieser alten Qualität ist auch die Haltbarkeit im Vergleich zu manchem neueren Duft überragend. Das Eau de Cologne hat eine Haltbarkeit, mit der es heute kaum ein Eau de Toilette aufnehmen kann.

Natürlich wurde der Duft längst eingestellt und würde der breiten Masse heute vermutlich etwas altmodisch erscheinen. Meiner Meinung nach aber völlig zu Unrecht. Am ehesten noch dürfte das daran liegen, dass es ihn eben nur als Vintage und in entsprechender Aufmachung gibt. Nicht, dass diese geschmacklos wäre, im Gegenteil, aber nach heutigen Maßstäben eben doch etwas aus der Zeit gefallen, ganz einfach deshalb, weil sie eben auch nie modernisiert wurde, wie das bei vielen anderen Düften der Fall war, die sich über die Jahre besser auf dem Markt gehalten haben. Und der äußere Eindruck prägt die Wahrnehmung eben doch mit. Ein Gedankenexperiment: wie wäre es, „Country“ in eine schicke moderne Flasche abzufüllen und in ein zeitgenössisches Sortiment einzureihen? Ich bin sicher, er würde seine Liebhaber finden.

„Country“ war zu seiner Zeit nun wirklich nicht besonders exklusiv. Eher in den unteren Regalreihen angesiedelt oder sogar in Drogerien erhältlich. Und selbst heute ist er für einen Vintage eigentlich noch recht erschwinglich, geht bei Auktionen zuweilen für deutlich unter 1€ pro Milliliter weg. Für seine Qualität ist das nicht übertrieben, da zahlt man heute für manchen schwachbrüstigen Trendduft mehr.

Ein paar Jahre später, auch noch in den achtziger Jahren - habe ich Aramis Devin kennengelernt und fand ihn auf Anhieb sehr ähnlich. Da letzterer immer noch erhältlich ist, wurde er über die Jahre für mich zu so etwas wie einem Betrix-Surrogat, auch wenn ich ihm damit sicher nicht ganz gerecht werde: Immerhin ist „Devin“ schon 1977 und damit drei Jahre vor „Country“ erschienen. Vermutlich wäre so auch in der Tat umgekehrt eher der Betrix-Duft als eine Art Ersatz-“Devin“ zu betrachten, zumindest als „Devin“-inspiriert. Dafür spricht, dass Aramis offensichtlich mit „Devin“ den Gattungsbegriff „Country Eau de Cologne“ eingeführt hat, um gezielt eine Schicht von urban sozialisierten Amerikanern anzusprechen, die zu dieser Zeit vermehrt entweder tatsächlich oder mithilfe von duftgelenkten Phantasiereisen (siehe oben) dem zunehmend gewaltgeprägten städtischen Raum entfliehen wollten – „Devin“ als Vehikel eines olfaktorischen Eskapismus also (siehe dazu die erhellende Rezension von Axiomatic), und "Country" als seine deutsche Neuinterpretation. Einen weiteren möglichen Hinweis auf eine solche Entlehnung könnte das Flakondesign der beiden Düfte liefern. Zwar ist die Silhouette eher klassisch, aber vor allem die ähnliche Form der Verschlusskappe ist nicht von der Hand zu weisen.

Sei’s drum – „Devin“ mag originärer sein und auch die Marktkategorie geprägt haben. Qualitativ steht „Country“ ihm um nichts nach, ist sicher keine billige Kopie sondern ein eigenständiger Duft, der in die gleiche Richtung geht, mir persönlich aber sogar noch etwas besser gefällt, weil er etwas frischer ist, der Wald gleichsam noch etwas lichter.

Dank eines komplexen Tausches hier im Forum konnte ich nun nach Jahrzehnten noch einmal eine Abfüllung von Country ergattern und meinen alten Flakon wieder füllen. Er hat nun wieder seinen Platz in meiner Schatzkiste und von Zeit zu Zeit kann ich ihn wieder genießen. Mein Dank dafür an Parfumo, aber besonders an Minigolf!
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Mairuwa vor 3 Monaten 7 5
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8.5
Duft
Infernalisch oder sakral? What’s in a name?
„La Couche Du Diable“ – was für ein Name! Serge Lutens hat ja bei seinen Werken ein Faible für solche bildhaften und manches Mal mehrdeutigen Namen. Sein „Fille en Aiguilles“ zum Beispiel, bei dem einerseits die Kiefernnadeln angesprochen werden, andererseits ein Mädchen mit besonders hochhackigen Stöckelschuhen (Bleistift- oder Pfennigabsatz würde man im Deutschen wohl am ehesten sagen) und außerdem noch ein Wortspiel mit „de fil en aiguille“, was so viel wie „nach und nach“ bedeutet.

Hier nun wird also kein geringerer als der Gottseibeiuns bemüht. „La Couche du Diable“ könnte man, was vermutlich naheliegend ist, als das Nachtlager oder die Schlafstätte des Teufels übersetzen. Eine andere Übersetzung, die, gerade was diabolisch-infernalische Geruchsassoziationen betrifft, noch schöner anmutet, wäre freilich die Windel des Teufels. Solche Wortspielereien und Mehrdeutigkeiten sind natürlich gerade auf dem Gebiet etwas ausgefallenerer olfaktorischer Kreationen sehr produktiv, denn sie regen aufs Herrlichste die Phantasie an.

Und wie soll nun diese Ansage in punkto Duft mit Inhalt gefüllt werden? Die angegebenen Duftnoten sind derart reduziert, dass man noch einmal so neugierig wird: Nur Oud und Zistrose sind hier gelistet – aber was heißt das schon? Ganz so minimalistisch ist das Ganze dann wohl doch nicht, was hier aufgeführt ist, scheinen mir allenfalls Eckpunkte zu sein, wenn auch deutlich vernehmbare.

Entsprechend gewarnt (beziehungsweise mit entsprechend vorfreudiger Erwartungshaltung), benetze ich endlich mein Handgelenk mit einem Sprühstoß dieses dunklen Gebräus. Zunächst einmal erscheint mir der Duft alles andere als diabolisch. Wer hier Schwefel riecht, dessen Geruchsvermögen hat sich vermutlich vom Namen einnehmen lassen und trägt diese entsprechenden Assoziationen in die Wahrnehmung hinein. Sicher, der Auftakt ist sehr wuchtig, überfallartig, geradezu atemberaubend. Dies aber nicht aufgrund eines irgendwie unangenehm gearteten Duftcharakters, sondern vor allem wegen seiner schieren Stärke (selbst von der Stofflichkeit her, das Parfum wirkt ölig schwer, beinahe harzig). In dieser Auftaktphase ist der Duft von raumgreifender Präsenz.

Dunkel und warm ist „La Couche Du Diable“, ja, aber das reicht für mich nicht für Höllenassoziationen. Im Gegenteil, auch das Oud, das sonst leicht anstrengend sein kann, finde ich hier sehr fein austariert und harmonisch. Ich rieche warme, rauchige, dunkle Würzigkeit. Gewürznelke meine ich an einem Punkt dezidiert ausmachen zu können. Und Harze. Wenn auch nicht gelistet: ich rieche Weihrauch. Und: ja, ich würde, ohne im Geringsten blasphemisch sein zu wollen, so weit gehen, zu sagen, dass dieser Duft auch einem Mann Gottes gut stehen würde und in einer Kirche nicht unangenehm auffallen würde, ganz bestimmt nicht ausgetrieben werden müsste.

Nach dem überwältigenden Auftakt wird er schnell sanft, bleibt aber lange sehr präsent.
Eigenwillig, alles andere als gefällig, aber durchaus in der Lage zu gefallen.
Das Fazit? Nun, der Teufel ist schließlich auch für die Verführung zur Sünde zuständig. Eine mögliche Deutung des Namens wäre auch dahingehend, dass das mit diesem Duft ganz gut gelingen mag. Ich würde es jedenfalls riskieren – wenn das die Hölle sein sollte, dann mag sie mir nicht schlecht gefallen.

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Mairuwa vor 4 Monaten 4 2
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Duft
Die Atlaszypresse aus dem Rif-Gebirge
Es scheint, als enttäusche die „Cuir Nomades“-Reihe von Memo nicht wenige Lederfans, weil das Leder hier nicht immer so eindeutig im Mittelpunkt steht, wie der Name das vielleicht zunächst suggerieren mag. In der Sache schließe ich mich diesem Standpunkt auch durchaus an, sehe das aber gar nicht so sehr als Manko. Ein Lederduft, der zu geradeaus nach Leder riecht, kann mich manchmal erschlagen und ich fühle mich leicht überfordert. Bei den Cuir Nomades Düften, die ich bisher testen konnte, ist das Leder fast immer zumindest dezent spürbar, oder auch deutlicher erkennbar, ohne aber jemals zu wuchtig und stark zu erscheinen. Das weiß ich sehr zu schätzen und finde die Reihe daher sehr interessant. Es scheint, als trete ein Ledergrundakkord in allen Düften auf, der jeweils in Kombination mit anderen Noten unterschiedlich interpretiert wird und so verschiedene Themen aufgreift.

Dass diese Themen geografisch definiert sind, bleibt zu einem gewissen Grad natürlich immer willkürlich und dürfte in erste Linie ein Marketingansatz sein. Das mag zuweilen zu Kontroversen über die Stimmigkeit der Duftassoziationen führen. So wurde bezüglich des „Moroccan Leather“ verschiedentlich bemängelt, dass sein stark von der Zypressennote bestimmter Duft nicht Marokko, sondern vielmehr die Toskana evoziere und der Name daher fehlgeleitet sei. Zwar stellen sich auch bei mir als erste Assoziation nicht unbedingt Bilder von Marokko ein, allerdings finde ich auch das zunächst einmal eher interessant als störend. Allzu plakativ Duftstereotype zu bedienen, die allgemein mit bestimmten Ländern oder Regionen assoziiert werden, wäre nicht unbedingt meine Vorstellung von Düften, die geografische Inspirationen umzusetzen versuchen. Was gäbe es da noch zu entdecken?

Und bei genauerem Hinsehen lässt sich hier einiges entdecken. Zunächst einmal, dass es immerhin auch in Marokko eine endemische Zypressenart, nämlich die Atlaszypresse gibt, so dass diese Note schon einmal so unpassend gar nicht ist. Wollen wir den Erklärungen des Herstellers folgen, so liegt die Inspiration für den Duft auch weniger in der Wüste, als in den mit kühlem Indigoblau getünchten Altstadtgassen des Städtchens Chefchaouen im Rif-Gebirge. Und das scheint mir eine schlüssige Deutung für einen eher kühl-würzigen und wenig wüstenhaften Duft zu sein.

Aber zurück zum Duft selbst!

Einigen auch eher kritischen Mitforisten schließe ich mich an, wenn es um eine gewisse Ähnlichkeit zwischen „Moroccan Leather“ und seinem älteren Bruder „Irish Leather“ geht. Interessant erscheint mir dabei allerdings die Frage, worauf diese zurückzuführen ist. Zwar gibt es eine gewisse Schnittmenge der Duftnoten, aber die dürfte hier nicht ausschlaggebend sein. Tonka und Iris haben sie beide, doch sind das nicht unbedingt die bestimmenden Noten. Vielmehr scheint mir beim „Moroccan Leather“ durch die Zypresse ein ähnlich frisch-grün würziger Effekt erzielt zu werden, wie es beim „Irish Leather“ durch den Wacholder geschieht. Und dieses sind jeweils die Noten, die über einen nicht unerheblichen Teil des Duftverlaufs eine tragende Rolle spielen.

Bei aller vordergründigen Ähnlichkeit unterscheiden sich die beiden Düfte aber dennoch auch deutlich. So ist vor allem beim Auftakt im „Moroccan Leather“ deutlich eine schöne Mandarine vernehmbar, während diese leicht fruchtige Zitrusfrische dem „Irish Leather“ fehlt. Dort steht sofort der würzig-grüne Wacholder im Mittelpunkt. Auch die sanfte Pudrigkeit der Iris, obwohl auch im „Irish Leather“ vorhanden, kommt hier viel stärker zum Tragen und macht - auch mit der Unterstützung von Ylang-Ylang und Orangenblüte - den Duft im Ganzen etwas lieblicher und weniger kantig.

Mit der Zeit kommt dann die warm-weiche Basis mit Moschus und Tonka stärker durch, dessen leichte Süße allerdings durch den Vetiver in der Balance gehalten wird. Die Ledernote schwingt die ganze Zeit mit, ist aber nie dominant oder aufdringlich.

Insgesamt meines Erachtens ein sehr schöner Duft – sanft ledrig aber eben nicht auf monothematische Weise. Dass er innerhalb der Reihe seines Hauses neben einigen harten Konkurrenten zu bestehen hat, macht ihn als Duft objektiv nicht schlechter, sondern spricht für die durchgängig hohe Qualität der Marke. In Haltbarkeit und Ausstrahlung steht er anderen „Cuirs Nomades“ Düften auch um nichts nach. Unisex ist er ebenso auf jeden Fall. Der Flakon mit den maurischen Musterelementen und der Adlersilhouette ist wie immer bei Memo sehr stilvoll. Ob Duft und Flakon zusammen und darüber hinaus auch noch zu dem Namen passen, das muss letztendlich jeder für sich entscheiden und sollte letztendlich auch zweitrangig sein.


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