Apicius
27.10.2013 - 20:45 Uhr
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Top Rezension
9Duft 5Haltbarkeit 5Sillage 7.5Flakon

Ein grünes Juwel

Nach einigen Jahren der Beschäftigung mit Parfums freue ich mich immer mehr an der kleinen Form. Davon ist auch mein Erleben von 1872 for Men bestimmt, welches als leichtes, grünes Fougère vielleicht ein wenig im Schatten der scheinbar schwereren Düfte dieser Serie steht.

Ich erinnere mich noch, wie ich dieses Juwel kennen lernte - ganz am Beginn meiner Entdeckungen in der Welt der schönen Düfte. Es war in München, beim Oberpollinger. Ich stand irgendwo oben und schaute in aller Ruhe über eine Brüstung ins Basement hinunter, während ich diesen leichten und doch fremdartigen Duft genoss.

1872 erschien mir damals zu Unrecht als eine Eau de Cologne Variante, wenngleich mit einer besonderen, schwer zu beschreibenden grünen Ausprägung: ein Anfängerfehler, der mir den Zugang letztlich verbaute. Obwohl ich diese ganz spezielle Frische sehr mochte, konnte ich mich nicht aufraffen, den stolzen Preis für ein scheinbar so dünnes Wässerchen zu investieren. Eine vermutlich kräftigere Parfumöl-Variante, die es damals von 1872 gab, schlug mit knappen 1000 € zu Buche.

Was es letztlich ist, das diesen Duft ausmacht, kann ich auch heute nur schwer benennen. Alles ist leicht, grün, krautig, mild und mit floralen Anklängen. In dem leicht zitrischen Kopf ist neben der Mandarine eine ausgesprochen gut integrierte Ananas wahrnehmbar – eine wie ich finde sehr schwierige Note. Denn die beißende Schärfe, die eine frisch aufgeschnittene Ananas auf Gaumen und Zahnfleisch hinterlassen kann, ist auch der so benannten Duftnote zu eigen. Wo sie verwendet wird, zerstört sie leicht jeden Anflug von Eleganz. Jedoch – in 1872 kann man erleben, wie diese Note deutlich abgemildert eine hochinteressante Alternative zur üblichen Zitrusfrische einbringt. Ich kenne keinen anderen Herrenduft, in der sie so behutsam und doch noch spürbar eingesetzt wurde.

Ratlos lässt mich das Herz des Duftes zurück. Was ist das alles? Eine milde, elegante, grün-florale Krautigkeit manifestiert sich. Sie zaubert ein Lächeln auf jedes Gesicht und ist so schön, dass einem das Herz aufgeht. Ein paar Zentimeter scheint man mit einem Gefühl von Leichtigkeit über dem Boden zu schweben. Wenn irgendeine der verwendeten Duftnoten hierfür prägend sein sollte, dann kenne ich sie nicht. Nur soviel – ein Vergleichsduft, der ähnlich riecht, ist mir nicht bekannt. Allenfalls konzeptionell verwandtes kann ich benennen: das grün-florale, nach Waldmeister duftende Fougère Knize Two.

Es macht den Reiz dieser Art Fougères aus, dass sie eine Leichtigkeit vorspielen, die sich dann beim Tragen als Illusion erweist. Noten, die wir zunächst als zart empfinden, können mit der Zeit eine ausgesprochene Wucht und Opulenz entfalten – so bei Knize, und so auch hier. Für diese Eigenschaft wäre Understatement nicht das richtige Wort, denn es bleibt ja eben nicht beim Eindruck eines bloßen Wässerchens.

Tatsächlich dürfte sich die Erfahrung von Opulenz und Substanz bei einem flotten Test in der Parfümabteilung eines Kaufhauses nur schwer einstellen – vor allem dann, wenn man die Nase wie üblich vielem anderen parallel aussetzt. In einer solchen Kaufsituation kann 1872 seine Qualitäten kaum angemessen darstellen, und ich vermute, dass es aus diesem Grund in der Käufergunst das Nachsehen hat – etwa genau so, wie Knize Two im Schatten des viel bekannteren Knize Ten steht. Wer trotzdem zu diesen Düften durchdringt, darf sich über etwas besonderes freuen: einen Duft nicht nur passiv zu konsumieren, sondern sich einen eigenen Zugang erarbeitet zu haben.

Es ist Ansichtssache, ob man 1872 als Parfum oder doch als Eau de Toilette ansehen möchte. Die Herznote hält bei normaler Applikation an die 5 Stunden durch. Die darauf folgende Basis spielt um einige Dezibel leiser auf. Sie bewahrt die grün gefärbten Schwingungen und lässt sich ansonsten als eventuell harzig beschreiben. Weit entfernt von den beliebigen Amber- und Moschusbasen des Massenmarkts teilt sie ihre Besonderheit gerade noch mit, jedoch ist sie nicht mehr recht fassbar. Es fällt daher schwer, in dieser Phase der Duftentwicklung noch eine weitere Aussage zu sehen.

Ein wesentlicher Grund, 1872 aus den Augen zu verlieren, war für mich der sehr hohe Preis, der für diesen Duft verlangt wurde und immer noch wird. Doch vor kurzem fand ich heraus, dass Clive Christian mittlerweile verschiedene Packungsgrößen anbietet. Die kleinste Menge von 30 ml ist für knapp unter 200 € zu haben – und mehr als 30 ml davon braucht man nicht. Denn solch grün-floraler Opulenz ist nun einmal zu eigen, dass man sich daran auch satt riechen kann. Viel zu anspruchsvoll ist 1872, um als Alltagsduft zu taugen.

Wer sich auf 1872 ernsthaft einlassen möchte, dem empfehle ich besondere Sorgfalt beim Testen – vielleicht einmal ausschließlich diesen Duft auf die Haut lassen, und sich sodann viel Zeit gönnen.
7 Antworten
TasteExploreTasteExplore vor 7 Jahren
Auch wenn Dein bemerkenswerter und tief detaillierter Kommentar bereits über 5 Jahre alt ist, hat er nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Wie auch ... 1872 ist zeitlos und wird die erfahrene (und anspruchsvolle) Nase noch in vielen Jahren erfreuen ... genau wie Deine Kommentare. Danke dafür.
UnterholzUnterholz vor 10 Jahren
Toller fundierter Kommentar! Hat mich jetzt mehr als neugierig gemacht, obwohl die Schmerzgrenze für ein Parfum schon arg strapaziert würde...
RosenrotRosenrot vor 12 Jahren
Ja, finde ich auch, ist ein sehr feiner, unvergleichbarer Duft, den ich auch für einigeFrauen tragbar finde.
DuftstickDuftstick vor 12 Jahren
Toller Kommi. Auszeichnung!
PaloneraPalonera vor 12 Jahren
Lächeln, aufgehendes Herz, Schweben - das klingt fast nach einem verliebten Apicius. Was muß das für ein Duft sein, der derartiges fertig bringt...?! Ein offenkundig sehr besonderer - leider aber auch sehr kostspieliger...
GingerGinger vor 12 Jahren
wiedermal eine ausgesprochen anschauliche Beschreibung! danke.
Jpg153Jpg153 vor 12 Jahren
Der Beschreibung nach wirklich sehr interessant, aber bei dem Preis...bei aller Liebe nicht!