L'Edition Imperiale 2006

Meggi
01.10.2017 - 14:50 Uhr
29
Top Rezension
7.5
Flakon
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
9
Duft

Späte Reise

Puh, tat das weh! Sein Rücken schmerzte höllisch und er konnte sich kaum rühren. Er schlug die Augen auf und musste einen Moment lang überlegen, wo er war. Doch als sein Blick auf die geschmacklose Stickerei an der Wand fiel, war sofort alles da: Die kleine Pension und das muffige Zweibett-Zimmer im ersten Stock.

Welch‘ eine großartige Reise! Ein Hirn-Furz auf höchstem Niveau! Mit über siebzig Jahren die Frankreich-Tour nachzuholen, die sie in ihrer gemeinsamen Studienzeit nicht mehr geschafft hatten. Und zwar ausschließlich per Studenten-Geldbeutel-gerechtem Reisen und Logieren. Wie damals. So hatten sie es abgemacht und so waren sie in dieser kleinen Pension gestrandet. Sie hatten das knuddelige Häuschen irgendwo an der Bahnstrecke von Strasbourg nach Colmar an einem Bahnhof vom Zug aus gesehen und waren kurzerhand einfach ausgestiegen. Ein Volltreffer: Einrichtung und Möbel – sowie zweifellos die Matratzen – aus den Fünfzigern. Die durchgelegene Matte war ein ganz heißer Kandidat auf den Titel der bislang schwersten Bewährungsprobe.

Die Konkurrenz war allerdings stark. Bis gestern Abend hatte das erste Schultern der Rucksäcke vorne gelegen. Aber dann…. Gern hätten Sie das Essen mit jenem außerordentlich edlen Courvoisier abgeschlossen, von dem sie im winzigen Bar-Schränkchen im Speiseraum eine leicht verstaubte Flasche voller Fingerabdrücke erspäht hatten. Sie hatten sich verschwörerisch angeblickt…und waren standhaft geblieben. Nein, keine Chance, zu teuer. Es war bei der kleinen, geteilten Karaffe örtlichen Weins geblieben.

Der Gedanke an den verkniffenen Courvoisier des Vorabends erinnerte ihn unweigerlich an seinen Lieblingsduft. L'Edition Imperiale aus gleichem Hause, den er nach der Morgentoilette ebenfalls vermissen würde. Die milde Frucht zum Auftakt, mehr Ahnung als Tatsache, die fordernde Würze, durch den typischen Korbblütler-Geruch der Ringelblume unerbittlich ins Herbe, beinahe Adstringierende gezogen. Er musste dabei stets an Calendula-Salbe denken, die seine Tochter den Enkeln im Winter ständig ins Gesicht schmierte.

Eine floral verblendete, rauchig-kratzige, charaktervolle Tee-Note bildete den Übergang zu einem Kern von Leder und Veilchen. Die beiden einander verwandten Aromen verschmolzen elegant zu sacht blumig gehaltenem Leder. Sehr edel. Der Calendula-Geruch begleitete freilich fast den gesamten Duftverlauf. Vielleicht ein augenzwinkernder Hinweis auf die Kernkompetenz des Anbieters. Denn mit etwas Abstand von der Haut ließ sich mit ein wenig Phantasie eine Parallele zum adstringierend-bitteren Part eines Cognacs ziehen.

Tja, und einen solchen würde es auch heute Abend nicht geben. Aber trotz derartiger unbedeutender Unannehmlichkeiten war die Sache bisher doch ein Riesenspaß! Ihre Frauen hatten gefrotzelt, sie wären im Nullkommanix entweder per Taxi wieder zurück oder in einem gehobenen Hotel einquartiert. Niemals! Sie würden durchhalten.

Und jetzt leise aus dem Bett und rasch als erster ab ins Bad. Immerhin forderte das Alter auf dem Örtchen inzwischen seinen Tribut. Uuuuuh, wie das knirschte und knackte… Vooooorsichtig strecken… So herrlich hatte ihn sein Rücken noch nie geschmerzt!

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Eine Inspiration für die Idee zweier fröhlicher ‚alter Knacker‘ – Yehudi Menuhin (r.) und Stephane Grappelli: https://d1rde5anzutevo.cloudfront.net/catalog-25/GrapelliMenuhinPhoto147.jpg. Auch akustisch zu empfehlen, die beiden: www.youtube.com/watch?v=dzIEaNRoj3k oder www.youtube.com/watch?v=bLCMmmtcljY oder, oder, oder....

Ich bedanke mich bei Ergoproxy für die Probe.
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