Lawrence 2015

Yatagan
14.04.2020 - 08:22 Uhr
43
Top Rezension
8
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft

Lord auf Speed

Unkommentierte Düfte No. 147

Ich bin anglophil. Wissen viele. Ich habe ein Faible für englische Düfte. Wissen viele. Ich trage gerne Tweed-Sakkos. Wissen viele. Deshalb bin ich irgendwann auch über Deco London gestolpert. Lothar Ruff, Eigentümer von The English Scent und zuverlässiger Stilberater für britische Rasur- und Duftkultur (english-scent.de) hatte die irgendwann im Angebot und kurze Zeit später war ich Abonnent des kunstsinnigen, artifiziell und informativ gestalteten Deco-Newsletters, den ich ebenso empfehle wie Lothar Ruffs Angebot. Trotz meines Interesses für die Deco-Düfte wurde aus einem Kauf nichts, denn die Düfte schwanken zwischen herzzerreißend traditionell und nervenzerrend exzentrisch und sind damit eigentlich ein typisches Beispiel für angelsächsischen Spleen, fallen aber im Kontext der traditionellen Hoflieferanten wie D.R. Harris, Floris oder Trumper (Letzterer ohne Warrant) etwas aus dem Rahmen.

Für einen ersten Kommentar ausgewählt habe ich Lawrence, der auch gut einem Punk in den 80ern am Piccadilly Circus gestanden hätte, gleichwohl aber auch very british ist.
In einen traditionellen englischen Herrenduft (die Engländer hatten es früher sowieso nicht so mit Damendüften) gehört Bergamotte und Lavendel sowie Sandelholz und Vetiver als koloniale Reminiszenzen. Ist hier schon mal alles drin. Passt soweit. Dazu kommt bei Lawrence dann aber noch die schwarze Johannisbeere / Cassis, die hier bei einigen als animalisch (urinös: böses Wort) verschrien ist und ich kann das sogar ein bisschen verstehen. In einer entsprechend hohen Dosierung lärmt und keift das kleine Obst wie ein Lord auf Speed. Dennoch tauchen die schwarzen Kügelchen auch in einigen traditionellen englischen Düften auf, so z.B. in Geo F. Trumper Eurcis, den ja angeblich James Bond getragen haben soll (schrieb Ian Fleming) und der war schließlich eine britische Stilikone.
Eucris ist übrigens auch gewöhnungsbedürftig, aber großartig. Das als Tipp am Rande.

Eigentlich müsste man gar nicht viel mehr zu Lawrence sagen, denn diese konservative, sandelholzölgeschwängerte, bergamottegesättigte, lavendelsanfte, kräutergewürzte, floralhelle Aura wie aus einem holzgetäfelten und seidentapetenbespannten Hinterzimmer des Buckingham Palace mit offener Tür zum Garten, die hier auf intensive schwarze Johannisbeeren trifft, die die Queen etwas zu lange In der Sonne stehen ließ, lebt von diesem Kontrast, den man sich wahrscheinlich ganz gut vorstellen kann.

Es gibt sehr wenige Anlässe, zu denen man diesen Duft tragen kann. Vielleicht bei einem Empfang bei der englischen Königin, bei dem man ein wenig auffallen und gegen das aristokratische Zeremoniell protestieren möchte, oder vielleicht bei einem Konzert von Iggy Pop, das konservativen Snobismus mit altersweiser Punkattitude kongenial verbindet. Für solche Augenblicke wäre der Duft aber so perfekt geeignet, dass ich wirklich ernsthaft über eine Anschaffung nachdenken würde, wenn ich nicht schon Maitre Parfumeur et Gantiers Centaure besäße, der so ähnlich ist, dass er zwar kein Zwilling, aber ein etwas schnöseliger Verwandter aus der französischen Provinz sein könnte.
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