The Mariner's Rhyme 2024

Yatagan
16.04.2024 - 14:04 Uhr
48
Top Rezension
9
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft

Ich, Geisterfahrer

Zunächst einmal vorweg: Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich hier als Geisterfahrer unterwegs sein dürfte: wieder mal auf der falschen Spur. Das hat vielleicht auch ein wenig mit der Erwartungshaltung vieler Liebhaber:innen der Düfte von Francesca Bianchi zu tun: die meisten Kreationen sind harzig, animalisch, würzig und ledrig, einige pudrig, aber bisher eher nicht aquatisch oder artifiziell synthetisch. Das ändert The Mariner's Rhyme grundlegend. Der neue FB könnte von Christophe Laudamiel stammen, der gerne provoziert, laute und grelle, innovative und kantig synthetische Düfte komponiert. Ich empfehle seine Kompositionen nachdrücklich für unvoreingenommene Tests.

The Mariner's Rhyme ist für mich zunächst ein pudriger, trockener Irisduft und setzt damit gleich zu Anfang einen Kontrapunkt zur kurz darauf folgenden aquatischen Synthetik-Sirene, die sich (auch hier wieder ein offenbar bewusst gesetzter Kontrast) aus klassischen Aldehyden und postmodernen ozonischen Noten zusammensetzt. Gesteigert wird dieser eigenwillig schrille Ton durch die hersperidischen konsequent sauren Akzente aus Bergamotte und Grapefruit. Dazu ein Klecks Orangenblüte. Den o.a. Weihrauch darf man sich nicht sakral vorstellen, sondern eher sehr hell, prickelnd, fast diffus und damit schließt sich der Kreis zur trockenen Iris am Beginn der Duftentwicklung.

Entscheidend für die Akzeptanz scheint mir hier, ähnlich wie bei den oben erwähnten Düften von Laudamiel, die zurückhaltende Dosierung. Ich habe heute morgen einen winzigen Sprühstoß auf meinen Handrücken aufgetragen und der Duft hat mich den ganzen Tag begleitet: die Haltbarkeit und Projektion ist entgegen der meisten bisherigen Wertungen enorm.

Führt man meine oben geschilderten Eindrücke zusammen, so ergibt sich tatsächlich ein sehr artifizieller Eindruck von Kunststoff, Sonnencreme, und gechlortem Wasser (Ergreifends Assoziation vom Gummiboot kann ich gut nachvollziehen - und kognitiv auch die daraus resultierende Ablehnung, werde aber selbst affektiv vom Duft erreicht).

Wer Düfte im Stile von The Zoo, Humięcki & Graef oder Comme des Garçons schätzt, sollte einen Versuch wagen und dann meinen Eindruck gerne trotzdem korrigieren. Ich überlebe hier schon lange genug als Geisterfahrer.
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