Unum

_Quando_rapita_in_estasi_ 2019

Anarlan
06.12.2022 - 18:10 Uhr
35
Top Rezension
8
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft

Der Papstschneider, schwelende Maiglöckchen und die Callas

Dem künstlerischen Universum von Filippo Sorcinelli einen Besuch abzustatten erfordert ein Nachtsichtgerät und die Bereitschaft, sich durch die Wurmlöcher künstlerischer Eigenheiten in Regionen seiner Kreativität beamen zu lassen, die auf den ersten Blick miteinander so viel zu tun haben wie das schwarze Loch im Zentrum der Milchstrasse mit den Strohsternen am Weihnachtsbaum.

A propos schwarz: Wirft man einen Blick auf seinen Insta-Account, blickt dort ein meistens wenig, und wenn, dann düster bekleideter Typ mit beindruckend körperumfassenden Abstrakt-Tattoos grummelig am Kameraauge vorbei in die unendlichen Weiten seiner schicken Bohème-Bude und verbreitet dabei darke Nischen-Sexyness.

Daneben produziert er Parfums (meistens in brutalistischen schwarzen XXL-Flakons, dazu gleich noch mehr) und Kunstinstallationen, die das Dungeon-Motiv auf, nun ja, wenig fröhliche und eher exorzistische Weise fortführen.

Ob man diese Art der kreativen Kompensation benötigt, wenn man ansonsten hauptamtlich mit seiner Firma „L.A.V.S.“ die liturgische Papst- und Kardinals-Gewandschneiderei des Vatikans bedient und zuvor in der vatikanischen Musikakademie Kirchenorgel studiert hat (er orgelt ganz famos, auch das kann man auf Insta bewundern), sei dahingestellt.

Mir als Ex-Katholik mit in’s zarte Kinderseelchen linientreu eingimpftem Katechismus und frühem Meßdienerdasein kommt das nicht so ganz weit her geholt vor. Dies jedoch ist ein weites, unwirtliches Feld und soll hier nicht weiter beackert werden.

Es kommt allerdings noch doller, beziehungsweise düsterer.

„Lucia di Lammermoor“ ist eine mystisch-tragische Oper in drei Akten des italienischen Komponisten Gaetano Donizetti, die als eine der Meilensteine der romantischen italienischen Oper gilt. Die Romeo und Julia-mässig traurige Story ist flott erzählt:

Eine adelige Maid, Lucia, ungeschickterweise verliebt in den Spross einer verfeindeten Adelsfamilie, erliegt den Intrigen ihrer Verwandschaft, als die Sache auffliegt. Es endet in Wahnsinn und dem Tod etlicher Protagonisten, zuvörderst besagter Lucia. War klar.

Eine wunderschöne Belcanto-Arie aus dieser Oper, weltberühmt geworden durch die Interpretation von Maria Callas, lautet „Quando rapito in estasi“, zu deutsch: „Wenn er von Ekstase ergriffen“, die Lucia singt, als ihre Zofe ihr nahelegt, ihrem geliebten Edgardo zu entsagen und die Sache auf sich beruhen zu lassen. Was sie natürlich nicht tut.

Dass die Figur der im tödlichen Wahnsinn endenden Lucia und ihre opernhafte Verkörperung durch Maria Callas für den gleichnamigen Duft von Filippo Sorcinelli Pate stand, ist spätestens dann klar, wenn man sich den Flakon ansieht: Das glorios glitzernde Cape der Protagonistin Lucia schmiegt sich in stilisierter Form wie ein Theatervorhang um den eigentlichem Flakon, den eine Plakette ziert, welche ein bisschen an das feinziselierte Namenschild an der Künstlergarderobe erinnern mag, auf dem möglicherweise „Signora Maria Callas“ gestanden haben könnte.

Wirft man all diese Aspekte künstlerischer Beflügelung in einen Topf, kommen dabei beachtliche Nischendüfte heraus. Sorcinellis „Unum“ war mein allererster Weihrauchnischenduft, den ich je in der Nase hatte. Dies ist übrigens eines der ganz wenigen Dinge, die ich mit dem Papst gemeinsam habe. Die frisch fabrizierten päpstlichen Glitzeroutfits aus Filippos Gewandschneiderei werden vor ihrem Weg in die Gemächer des Vatikans stets mit just diesem Duft „imprägniert“. Der Papst duftet also nach astreiner Nische. Wer hätte das gedacht?

Nun also endlich zur tragische Maid, die im Wahnsinn vergehen muss beziehungsweise ihrer duftenenden Entsprechung.

Q.R.I.E. (klingt wie „Kyrie!“) startet mit verkohlten Maiglöckchen, womit klar wäre, was der romantisch ambitionierten Maid (siehe: Maiglöckchen) am Ende blüht (siehe: Schutt und Asche). Das finde ich ziemlich schlimm. Sowohl als Eröffnungsbild als auch als Duftkopfnoten-Komposition. Maiglöckchen haben es eh schwer bei mir (das ist eine andere Geschichte), und generell haben sie es sowieso schwer, da sie sich als Duft weder enfleurieren, destillieren, auspressen, durchmangeln oder sonstwie dazu bewegen lassen, ihre duftende Seele den Teufeln der Parfümindustrie herzugeben, sondern in der Regel synthetisch nachgeahmt werden. Dazu gesellt sich eine irgendwie fettig-schmuddelige Verqualmtheit, die angeblich von Weihrauch und Zeder herrührt. Zeder? Am ehesten Sugi-Zeder, die als absichtlich verkohltes Fassadenholz ursprünglich in Japan Verwendung fand. Der hiesige Weihrauch hat absolut nichts, aber auch gar nichts Klerikales, hierfür lege ich meine zum Atheismus konvertierten Hände ins Fegefeuer. Es riecht schwarz und verqualmt. Mit Maiglöckchen. Amen. Ich meinte natürlich: Basta!

Hat man diesen wahrlich wahnsinnstriefenden ersten Akt der Oper überstanden, kommt eine kurze Pause, in der sich die Protagonisten kurz sammeln und im Orchester ein paar Läufe und Akkorde geprobt werden. Während man im Foyer Champagner schlürft, kommt eine Note zum Vorschein, der ich die „Schmuddeligkeit“ des ersten Duft-Aktes anlaste: Pfirsisch. Der gehört nun wahrlich nicht in Edelprickel, und ich neige dazu, der Duftnote „Pfirsisch“ in Kombination mit Qualm auch in Parfüms ihre Daseinsberechtigung abzusprechen, und hier ist der Qualmpfirsisch meines Erachtens Erzeuger einer matten, fruchtigen, etwas ölig-fettigen Dumpfheit, wenn auch nur sehr verhalten. Vanille hilft hier auch nicht wirklich. Wenn das so weitergeht, wird aus mir kein Opernfreund.

Das alles wäre nun wirklich nicht mein Ding geworden, wäre da nicht diese mir unerklärliche, quasi sakramentale Wandlung des Duftes im finalen Akt. Ist das Lucias Wahnsinn, der mir ebenfalls die Sinne blendet? Oder doch Filippos dunkle Kunst aus seinem Duft-Dungeon, die mein olfaktorisches Hirn verhext? Habe ich den zweiten Akt, vom Qualm sediert, vom Schampus beduselt, verschlafen?!?

Wie auch immer, der Duft wendet sich basiswärts in eine völlig andere Richtung und präsentiert sich in einer fast cleanen, leicht seifigen, lichten, fougèresken, klaren, grünen, würzigen, samtigen, trockenen, gereinigten, geläuterten (mehr Adjektive fallen mir nicht mehr ein) Koniferenharzigkeit, die ich ganz famos finde und zu der die nun wundersamerweise aufgehellten, luftigen Rauchschwaden, die gelegentlich hindurchziehen, ganz hervorragend passen.

Ja. Ich habe den zweiten Teil der Oper verschlafen. Das hier ist eindeutig Filippos künstlerische Ausdeutung im von ihm dazu komponierten letzten Akt der Oper: Lucia, ihrer irdischen Qualen ledig, zieht ein in’s olfaktorische Himmelreich. Ende gut, alles gut. Vorhang, tosender Applaus. Es regnet maiglöckchenlose und pfirsischfreie Blumensträuße für die Diva.

Hallelujah, äh, da capo!
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