L'Heure Bleue 1912 Eau de Toilette

Matvey
18.04.2018 - 19:15 Uhr
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Top Rezension

Ein Stirnrunzeln und ein kindliches Aufatmen

L'Heure Bleue ist für mich ein persönlicher, ja fast ein intimer Duft mit einer besonderen Wirkung. Kommentare voller persönlicher Assoziationen sind ja so eine Sache. Sie tragen nicht unbedingt zur Aufklärung bei, wie denn ein Duft nun exakt riecht. L'Heure Bleue ist kein monothematischer Duft, und die Aufzählung von Duftnoten würde meinem Eindruck nicht gerecht. Ich kann nur Weniges gegenständlich benennen: Ja, Nelke ist eine Assoziation, die ich mit dem Geruch habe. Und die Tage habe ich auf der Arbeit mit Beta-Ionon hantiert und finde mich hier sachte daran erinnert. Es würde ja sogar zur Zeit der Duftentstehung passen, in der mit synthetischen Duftstoffen sehr kreativ gearbeitet wurde. Aber das mag auch Illusion sein, weil das für mich so schlüssig klingt. Spannend ist vielleicht noch, dass ich weder den Duft von Nelke noch von Beta-Ionon allein sehr angenehm finde. Meine erste Reaktion auf den Duft ist jedoch sofortiges Wohlbefinden - gefolgt von einem Gefühl der Widerspenstigkeit. Und das will ich versuchen zu erklären.

Es beginnt mit einer diffusen Erinnerung, die mitverantwortlich für das ruhige, klare Gefühl ist, das ich beim Riechen von L'Heure Bleue empfinde. Es hat zu Beginn etwas cremiges. Ich rede nicht von Sahne und Vanillesüße, sondern von richtiger Creme, vielleicht für die Hände, vielleicht sogar Nivea. Wenn ich so darüber nachdenke, ist Nivea fast der beste Vergleich, den ich finden könnte, aber wahrscheinlich dann wieder falsch. Ich fühle mich von dem Duft in mein kindliches Ich zurückversetzt, das von seiner Mutter beruhigend mit einer wohlriechenden Salbe eingecremt wird. Keine Melancholie, nichts Verruchtes, und weit entfernt von jeder Dämmerung - es ist ein Duft der Geborgenheit. Ein Aufatmen.

Das geborgene Gefühl wird mit der Zeit jedoch durchbrochen von einer widerspenstigen Note. Es scheint mir, als würde das Erwachsensein plötzlich gegen die kindliche Fantasie pochen. Lass diese Note Nelke oder was auch immer sein: es kommt etwas Reifes hinzu. Hah!: Es "entwickelt" sich. Die mollige Wärme kühlt ab, ergänzt um schroffe Ecken. Nein, es ist nichts Stechendes, nichts Beißendes. Meine Freunde und Familie nennen das, was da hinzukommt, einfach nur altbacken. Im Kontext meiner Duftbeschreibung fügt sich dieses Wort zwar erstaunlich nahtlos ein, aber für meine Wahrnehmung wäre es zu negativ. Was ich empfinde, ist ein heller, etwas distanzierter Ton mit abgeschliffener Schärfe. Es ist schön, lässt mich aber stirnrunzelnd zurück. Und ein bisschen fühlt es sich an wie der Wechsel von der feinen Creme zu einem Stück Kernseife.

Nach mehreren Stunden findet der Duft wieder eine ruhige Rundheit und strahlt mehr und mehr Wärme aus. Aber aus meiner Duftwahrnehmung ergibt sich, dass ich L'Heure Bleue zwar gerne, aber selten trage. Es ist ein Duft für indifferente Stimmungen, wenn ich meine eigenen Gefühle so schwer beschreiben kann wie den Duft selbst. Definitiv kein Parfum, das ich für sehr soziale Gelegenheiten auflege. Die meisten Menschen finden es sowieso gewöhnungsbedürftig an mir, vielleicht aber gerade wegen der Stimmung, die ich damit verbinde. An kühlen, trockenen und hellen Tagen kommt es am besten zur Geltung, womöglich im Herbst, und ich nehme immer nur einen einzigen Spritzer. Davon habe ich noch gar nicht gesprochen: an Kraft und Durchhaltevermögen mangelt es selbst dem EdT nicht. Hoch dosiert und auf Dauer wäre es gar penentrant. So kann ich es nicht immer riechen. Hin und wieder brauche ich es aber geradezu, und manchmal kann ich mich besser mit einem Duft ausdrücken, als mit tausend Worten.

Abschließend noch ein schönes Erlebnis, das ich mit L'Heure Bleue auch verbinde:
Als ich den Duft vor gut anderthalb Jahren erwarb, sprach mich in der Parfumerie prompt ein Mann begeistert an: "Ein junger Mann, der für sich selbst L'Heure Bleue kauft?!" - Was folgte, war die beste Tour durch eine Parfumerie, die ich je erlebt habe. Es stellte sich nämlich heraus, dass der besagte Mann selber Inhaber einer anderen Parfumerie und an diesem Tag nur zu Gast war. Und er erlebte offenbar selten, dass dieser Duft, den er persönlich vergötterte, von Männern getragen wird. Und dann auch noch von jungen. Daraus hat er (richtigerweise!) geschlossen, dass ich ein Parfumnarr bin, und hat mir seine ganz persönlichen Lieblinge inklusive dahinterliegender Geschichte gezeigt.
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