Mitsouko 1919 Extrait

Violett
17.03.2024 - 16:30 Uhr
25
Top Rezension
6
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft

Verbunden mit Wandervögeln

Ich schwöre ,das war ihr Duft.
Strenger geflochtener Dutt.
Das braune Pelzkäppchen musste stets schräg auf dem Kopf ihrer Hoheit sitzen, wenn sie mit ihrem Rolli ausgefahren wurde. Der Duft hing in ihrem Mantel, den weißen Blusen, den Stoffhosen. Ja, sogar In ihrem atemberaubenden Schmuck.Das Collier aus hellsilbernen, filigranen Blüten. Zum Niederknien schön. Und dann erst das besonders extravagante mit den vielen großen, geschwärzten Spinnen, die zwischen Gold schimmernden Bernsteinen krabbelten. Sowas zu tragen, dazu gehört Mut.
Das hat sie früher getragen.
Ihr langes, weißgraues Haar,so wunderschön, wenn es ihr einmal offen in hundert kleinen Wellen üppig über den Rücken hing.
"Du bist genau so hübsch wie deine Großmutter", sagten sie zu mir. Ja, das war natürlich genau das, was ein junges Mädchen hören wollte. So schön zu sein, wie eine 80 Jährige. Vielleicht gefiel den doofen Onkels und Tanten auch einfach, wie mir bei diesem Kompliment die Kinnlade runterklappte. Ich fühlte mich dann stets unsäglich alt - mindestens so alt wie sie.
Die Melancholie, die hatten wir damals dann immerhin gemeinsam.
Sie war in den 1920ern bei den Wandervögeln, einer naturverbundenen Jugendbewegung ,die aus den Zwängen des bürgerlichen Lebens ausbrechen wollte, getrieben vom Wunsch nach Freiheit und Natürlichkeit. So eine Art früher Hippie warst du also, Großmutter?
Sie liebte es, den Kindern aus der Nachbarschaft auf der Straße vor dem Haus Märchen zu erzählen.
Sie war grausam. Nichts und niemand konnte ihren Erwartungen je gerecht werden.
Zwei Ehemänner, zwei Kriege, 6 Kinder... So viel hat sie erlebt. So wenig war von ihr übrig, als sie bei uns lebte. Ihr Desinteresse uns Kindern gegenüber,grenzenlos. Niemand baute die Brücke. Wir lernten uns nicht mehr kennen.
Sie bleibt mir unbekannt, ein Geheimnis.
Mitsouko ist ein melancholischer Duft. Den Trost liefert er aber gleich mit. Die gute Freundin, Mutter, Großmutter, die dich in den Arm nimmt, das Leben kennt. Mit all seinen Höhen und Tiefen.
Naturverbunden riecht Mitsouko.Vor allem würzig und moosig, zart und weich. Apart.
Die dezente Pfirsichnote verleiht ihm eine leichte Süße und Freundlichkeit. Blüten ordnen sich leise-bunt und cremig dem Duftgeschehen unter.
Grüne, verschwommene Gärten am Waldrand, in der Abenddämmerung, doziert meine Nase.
Erinnerungen an Vergangenes..
Aber auch Eleganz, Weltgewandtheit, sogar eine gewisse Feierlichkeit wohnt dem Duft inne.
Mitsouko, wo warst du nicht schon überall dabei. Bei zahllosen Theatervorstellungen, in Kreissählen, auf Beerdigungen, bei geselligen Runden, ernsten Gesprächen, einsamen Spaziergängen...Ja, sogar beim Filmdreh mit Charlie Chaplin...
Wenn es hart auf hart kommt, wenn es ernst wird, oder wenn ich mich einfach nur mit der Vergangenheit und der Natur verbunden fühlen will,
auch mit der Generation unserer Großmütter, die so anders gelebt haben, als wir, so viel Spannendes,Erstaunliches erzählen konnten, oder hätten können und am Ende Menschen und Frauen waren, wie wir...
Wenn ich mich also verbunden fühlen will, dann muss es Mitsouko sein.
Mit Mitsouko bin ich erwachsen, Kind der Natur und trotzdem zuhause im städtischen Leben, beschützt von guten Geistern der Vergangenheit.
Mitsouko, das "Kind des Lichtes" ist Duftkunst,
Duftmagie, wie man sie nicht oft findet.
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