L'Homme Idéal Extrême 2020

Chnokfir
31.12.2020 - 08:58 Uhr
13
4
Preis
8
Flakon
4
Sillage
3
Haltbarkeit
3
Duft

Weder extrem noch ideal

Mit Geschenken ist es ja immer so eine Sache, den rechten Geschmack des Beschenkten zu treffen. Doch bislang ist es meiner Schwiegermutter stets recht gut gelungen, mir nach Sichtung meiner übersichtlichen Parfum-Sammlung ein neues Schätzchen hinzu zu fügen. Auch dieses Christfest war für sie wieder ein Ritt auf der Rasierklinge.

Guerlain war und ist für mich nach wie vor ein Benchmark, was das Design der Parfumflakons anbetrifft. Auch wenn ich es ihnen kaum nachsehen mag, die individuellen alten Flakons von Klassikern wie "L'Instant" oder "Vetiver" gegen die neuen Flakons mit ihren uniformen Gestaltungsmerkmalen eingetauscht zu haben. Egal, den eleganten silbernen Karton mit Bauchbinde und sauber zentrierten Typenschild und den klaren Lettern erkennt man von weitem als Guerlain. Ebenso den massiven, leicht facettierten Vierkant mit dem soliden, roten Knöpke. Der perfekte Sprühknopf entlässt einen feinen Nebel von der rötlichen Flüssigkeit, die man glatt mit einem leckeren Cognac oder Whisky verwechseln könnte. So, wie dieser Duft dasteht, einfach nur ideal. Sowas kann man sich auch getrost statt einer Vase oder einem anderen Deko-Objekt allein auf den Couchtisch oder in die Vitrine packen.

Sobald man die Flasche entkorkt, respektive den Knöpke abnimmt, weiss man, was einen erwartet: Eine fruchtig-herbe Süsse macht sich breit. Mit dem Aufsprühen verstärkt sich dieser Eindruck dann auch rapide, allerdings für mich nicht zum Vorteil. Eine süsse Wolke umschliesst einen und raubt einem fast den Atem. Viel Mandel, viel Zimt, viel Heliotrop, noch mehr Patchouli, von allem in der Konzentration zu viel, zu wuchtig, zu raumgreifend. Wären da nicht noch ein paar herbe Noten von Holz oder Leder, rituelle Waschungen wären angesagt. Glücklicherweise hat dieser Auftakt an mir nur eine Halbwertszeit von eine halben Stunde, nach einer ganzen Stunde haben sich Mandel und Patchouli komplett verflüchtigt. Jetzt kann man es auch wieder wagen, denn Handrücken zur Nase zu führen und zu verorten, was denn der Duft noch so mit sich bringt. Und da ist sie wieder, diese Kindheitserinnerung an die ledernen Tabaksbeutel meiner Vaters, in denen er seinen Pfeifentabak mit Kirsch-, Pfirsich-, Pflaumen- oder Whisky-Aroma aufbewahrt hat. Wundervolle fruchtige Noten von wilder Kirsche und vollreifen Pflaumen kombiniert mit weichem Leder und trockenen Hölzern, umhüllt mit einem aromatischen, hellen Tabakblatt. Daran könnte man sich wahrlich gewöhnen, sich traumhaft darin verlieren, doch leider ziehen sich diese Akkorde sehr schnell immer weiter in die Haut zurück. Nach knappen sechs Stunden muss man die Nase tief in die Haut graben, um noch die letzten Moleküle erahnen zu können. Leider.

Die Antrittsakkorde isoliert betrachtet würde ich blind auf einen süssen, nicht eben reizvollen Damenduft tippen. Die Duftbasis hingegen ist von der Komposition her ein geradezu klassischer Herrenduft, den man gut und gerne in eine Zeit von vor 50, 60, 70 Jahren verorten könnte. Leider ist dieser Duft nicht mehr auch nur ansatzweise so voluminöse ausgebaut wie damals. Von der zu jener Zeit typischen, raumgreifenden Silage und der sprichwörtlich tagelangen Haltbarkeit ist überhaupt nichts mehr übrig geblieben. Leider.

Meine Schwiegermutter musste anerkennen, dass der Duft an mir nicht zur Geltung kommt. Mag daran liegen, dass der Duft in meiner durch Heizungsluft ausgetrocknete Winterhaut geradezu versickert. Mal im Frühjahr erneut testen. Bis dahin finde ich allenthalben den Auftakt extrem, ideal ist der Duft für mich aber bei weitem nicht.
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