Bel Ami 1986 Eau de Toilette

Profumo
09.08.2010 - 07:44 Uhr
43
Top Rezension
7.5
Haltbarkeit
8
Duft

Zigarrenasche, kalter Rauch und jede Menge Leder

Dass es diesen Duft noch gibt ist eigentlich ein kleines Wunder, denn nähme man die Gesetze des Marktes zum alleinigen Maßstab, so müsste seine Produktion längst eingestellt sein.
Die Erwartungen die vor gut einem viertel Jahrhundert an ‚Bel Ami’ geknüpft waren, hat der Duft allesamt nicht erfüllt – er floppte vom Anbeginn seiner Einführung an, und ich vermute er ist bis heute ein ‚slow-seller’ geblieben. Dass man ihn dennoch im Hause Hermès wertzuschätzen weiß, zeigt allein die Tatsache, dass Bel Ami noch heute in den Regalen zu finden ist – nicht an vorderster Front, eher in der zweiten Reihe, oder ein wenig verschämt am Rande, aber immerhin: Bel Ami ist noch da, was man von einigen seiner Zeitgenossen – man denke nur an Patou pour Homme, an Ebène von Balmain, an Versailles pour Homme von Désprez und andere – leider nicht sagen kann.
Dass dieser Duft also nach wie vor das Portfolio von Hermès schmücken darf, ist aufschlussreich, denn obwohl er ein Flop wie kaum ein zweiter war (gemessen an den Erwartungen die an ihn gestellt wurden), scheint man an der Qualität des Duftes nicht zu zweifeln – zu Recht, wie ich meine.

Geblendet vom sagenhaften Erfolg von Chanels Antaeus, sah man sich bei Hermès zu Beginn der achziger Jahre genötigt ein eigenes Leder-Chypre für den Herren zu konzipieren, denn wer wenn nicht Hermès wurde mit den feinsten Lederwaren assoziiert – Chanel jedenfalls mit Sicherheit nicht. Es gab zwar schon das legendäre Eau d´Hermès, komponiert vom großen Edmond Roudnitska, und ein Lederduft der Extraklasse – doch für die hedonistischen achziger Jahre und deren Sucht nach kräftigen, ja fast krawalligen Düften war dieses feine ‚Eau’ dann doch zu feingliedrig, zu dezent, zu sehr ‚old world’. ‚Caléche’ und ‚Equipage’, die ruhmreichen Nachfolger, beide von Guy Robert geschaffen, trafen den Geschmack der Zeit und waren allseits anerkannte Meisterwerke. Doch nachdem es mit der Einführung der berühmten aromatischen Fougères wie Paco Rabanne pour Homme und Azzaro pour Homme, sowie der großen Leder-Chypres Van Cleef & Arpels pour Homme und Antaeus sozusagen zum Big-Bang auf dem Markt der maskulinen Düfte kam, war auch Hermès aufgefordert sich mit einem neuen Duft zu positionieren. Man heuerte Jean-Louis Sieuzac an, den Erschaffer von Opium, Yves-Saint Laurents großem Welterfolg, in der –nicht unbegründeten – Hoffnung, dass diesem ein zweites Mal ein derart großer Wurf gelänge. Doch es kam anders, aber vor allem kam der neue, nach einer Novelle Guy de Maupassants ‚Bel Ami’ genannte Duft, um einige Jahre zu spät. Als er 1986 lanciert wurde hatten die vorher genannten Düfte den Zenit ihres Erfolges schon überschritten und einige andere Düfte waren in ihren Windschatten mehr oder weniger erfolgreich mitgesegelt. Aber die Genres (Leder-Chypre & aromatisches Fougère) hatten sich am erhitzten Markt doch ein wenig erschöpft. Das ebenfalls 1986 lancierte Zino markierte dann den halbwegs erfolgreichen Versuch dem Marktgeschehen einen neuen Weg zu weisen, in Richtung reichhaltig-orientalisch – mit einigem zeitlichen Abstand folgten Egoïste und Heritage. Die eigentliche Revolution, bzw. Neuorientierung des Marktes fand aber schon zwei Jahre später, nämlich 1988 mit der Einführung von Davidoffs Cool Water statt. Die Geburtstunde von Bel Ami konnte also unglücklicher kaum sein – ein viel zu später Nachkömmling, als alle Welt schon auf die nächste Sensation wartete, die auch prompt wenig später mit besagtem Cool Water kam.
Wäre Bel Ami aber zehn Jahre früher, und somit vor Antaeus, auf den Markt gekommen, es zehrte heute vielleicht noch von seinem einstmalig durchschlagenden Erfolg. So aber ist dieser ihm versagt geblieben und kaum dass es das Licht der Welt erblickt hatte, rollte eine neue Modewelle durch die Lande und ließ Bel Ami trotz jugendlichem Alter verdammt alt aussehen.
Nun, wie gesagt, verdient hat Bel Ami das nicht, denn ich denke man kann es mit Fug und Recht zu den überzeugendsten Leder-Chypres rechnen. Dabei ist es eigen, sehr eigen sogar, und alle die immer wieder behaupten der Duft sei eine Kopie von Antaeus sollten sich mal die Nase putzen: wer diese beiden Düfte nicht zu unterscheiden vermag, der sollte den Versuch Düfte unterscheiden zu wollen lieber gleich sein lassen, denn verschiedener können – zugegeben: artverwandte – Düfte kaum sein. Antaeus: süß, animalisch, holzig versus Bel Ami: herb, ledrig, rauchig.
Wer Bel Ami aufsprüht, dem steigt zunächst einmal ein sehr komplexes, eher krautig-herbes, als frisch-zitroniges Aroma in die Nase. Fast gleichzeitig aber öffnet sich der gesamte Bel Ami-Kosmos mit seiner atemberaubenden Tiefe, bis ganz hinunter zu den Abgründen von herber Vanille und Asche. Doch zunächst dominieren Koriander, Salbei und Basilikum und vor allem: Leder, Leder und noch mal Leder. In der Kopfnote, im Herzen und in der Basis: Leder. Zu Beginn krautig akzentuiert, anschließend floraler, mit leicht verschämten Blüten-Akkorden die kaum zu isolieren sind, und schließlich mit rauchigem Styrax, Vetiver, unsüßer Vanille und Eichenmoos. Alles in allem ein herbes, wenn man möchte: ein männliches Aroma - vom Anfang bis zum Ende. Was nicht heißen soll, dass nicht auch Frauen diesen Duft tragen könnten, denn die wenigen süßeren Komponenten kommen auf weiblicher Haut besser zur Geltung. Und wenn ich sage: männlich, so meine ich nicht die mit animalischen Essenzen bis an die Grenze des Erträglichen beladenen Ultra-maskulinen Düfte wie Jules, Yatagan, Azzaro p.H. oder Kouros. Nein, ich meine eher die trocken-herben Kreationen wie Balafre von Lancôme oder das alte Monsieur Rochas. Gerade mit letzterem verbindet Bel Ami zwar nicht die kräftige Fougère-Struktur, wohl aber diese seltsam rauchige Basis, die viel eher nach kalter Zigarrenasche riecht, als nach frisch entzündetem, aromatischem Pfeifentabak. Vermutlich werden jetzt manche, bei alleiniger Erwähnung kalter Zigarrenasche, schaudern – zu Recht! Denn diese Phase der Duftentwicklung ist wirklich gewöhnungsbedürftig, und der Geruch von Zigarrenasche unseren heutigen Nasen obendrein kaum mehr präsent. Ich kann mich aber noch gut daran erinnern, wie ich früher des Abends, wenn mein Großvater zu Bett gegangen war, dessen marmornen Aschenbecher mit den Resten einer gerauchten Virginia-Zigarre wegräumte. Meist mochte ich diesen Geruch nicht, aber manchmal war er mir gar nicht so unangenehm, und hin und wieder roch ich sogar noch einmal dran und erfreute mich an meinem Schaudern.
Hermès nannte diesen Duft früher einmal ihren ‚bedroom-scent’.... Nun, die Zeiten haben sich wahrlich geändert: trüge ein junger Mann von Heute diesen Duft, und legte sich zu seiner Liebsten ins Bettchen – sie schickte ihn vermutlich erst einmal unter die Dusche. Für heutige, im Zeitalter der ozonisch-maritimen Kreationen trainierten Nasen ist dieser Duft in der Tat eine Zumutung. Und wer zeigt schon heute noch stolz sein Brusthaar und duftet obendrein gerne nach kaltem Rauch? Zugegeben: ich habe manchmal eine solche Tendenz. Hin und wieder habe ich all das Metrosexuelle, all das Uneindeutige, Verschwommene einfach satt. Dann brauche ich eben das Eindeutige, das Klare, will sagen: Bel Ami! (Hermès spricht in einem Beipackzettel den es früher zu Bel Ami gab sogar von ‚unendlicher Männlichkeit’)
Recht schnell aber bin ich in der Regel von diesen Ausflügen kuriert.....

Zu erwähnen bleibt noch, dass das alte Bel Ami, in den ursprünglichen, Cocktail-Shakern ähnlichen Flakons, etwas anderer Natur war: der Auftakt war deutlich zitroniger, der ganze Duft insgesamt dissonanter – was ihn allerdings noch reizvoller machte. Irgendwann – warum auch immer – wurde der Duft reformuliert, die Dissonanzen sind weitgehend verschwunden und Bel Ami duftet heute nicht nur harmonischer, sondern vor allem krautiger. Geblieben ist eine sehr komplexe, reichhaltige und langlebige Komposition, deren einzelne Noten extrem gut verblendet sind.

Ein großer und ein schwieriger Duft. In erster Linie aber ein unzeitgemäßer, von herb maskulinem Reiz – man muss ihm nur erliegen können!
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