Eau de Rhubarbe Écarlate 2016

Josefka
20.07.2022 - 12:34 Uhr
21
Top Rezension
9
Preis
10
Flakon
7
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft

Da zieht's dir alles zusammen

Als großer Fan von Hermès hatte ich doch mit den Kompositionen der aktuellen Hausparfümeurin Christine Nagel lange Zeit Schwierigkeiten. Da war zwar gleich zu Beginn unserer (sehr einseitigen) Bekanntschaft meine Begegnung mit Galop, diesem tollen Lederduft mit der sehr ausgefallenen Quittennote, den ich sofort in mein Herz schloss. Ab Eau de Citron Noir allerdings entfremdete ich mich etwas von Mme Nagel - irgendetwas war mir hier viel zu synthetisch, abgestanden und fast zuwider, die Hermessencen Agar Ebène und Cèdre Sambac gaben mir nichts, den Vetiver-Flanker von Terre fand ich überflüssig (und ich sage das als Vetiver-Aficionada!) und auch mit H24 fremdele ich noch. (Über das Eau Givrée von Terre sage ich vielleicht an anderer Stelle noch was, das mag ich nämlich.)

Eau de Rhubarbe Écarlate ist eine andere Geschichte. Hermès hat ja mit den Eau de Colognes eine sehr schöne Reihe, die jeder für sich sehr gut funktionieren. Die Note von Rhabarber im Parfum mag ich sowieso (bitte sagt mir Bescheid, wenn es irgendwo erschwinglich die Signature von Aedes de Venustas gibt), aber ganz besonders gut funktioniert dieser Rhabarber im Sommer.
Er hat sowohl eine Wärme, die durch seine Würzigkeit entsteht, aber er kühlt auch sehr schön herunter, finde ich. Das wunderschöne rote Glas von Eau de Rhubarbe Écarlate zeigt es an, dass hier auch die Kombination von Rhabarber mit Rose eine Rolle spielt, also eine Blütigkeit zusammen mit dieser sehr distinguiert sauren Pflanze, die auch sehr sauer rüberkommt.

Auf der Haut ist das wirklich ein fotorealistischer Strunk des grünen bis rötlichen Gemüses, den man gerade in der Mitte zerbrochen hat und dessen harte äußere Haut in kleinen Limahl-Spitzen in die Luft steht. Als Kind habe ich Rhabarber oft roh gegessen, was so sauer war, dass ich aus Reflex meine Augen schließen musste wie beim Niesen, und tatsächlich läuft einem in dieser Phase des Duftes das Wasser im Mund zusammen.

Nach einer Weile wird der Duft süßer und erinnert mich ein bisschen daran, wie ich als Kind Rhabarberkompott gegessen habe, bei dem der Rhabarber mit Vanillesoße übergossen bzw. überzuckert war. Diese Gerichte gab es natürlich im Sommer, weshalb ich den auch immer mit diesem Duft assoziiere.

In der Basis erscheint der Moschus ganz deutlich, aber das dauert ein paar Stunden, und bis dahin hat man sehr, seeehr lange eine wirklich tolle Frische. Das alles funktioniert wunderbar an einem heißen Abend.

Für meinen Geschmack ist Mme Nagel mit diesem Duft eine kleine Sensation gelungen, die viel mehr Aufmerksamkeit verdient.

Nachtrag: Auch wenn ich nicht so viel auf Haltbarkeit gebe, sei es gesagt - fast 24 Stunden später kann ich trotz sich auf normalem westeuropäischem Niveau bewegender Körperhygiene noch immer den Duft, und zwar wieder das Opening, auf meinem Arm wahrnehmen, wenn ich meine Nase reingrabe. Und das ist für ein Eau de... doch schon ziemlich gut.
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