Meggi
13.12.2015 - 12:36 Uhr
20
Top Rezension
7.5
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
8
Duft

Was nach dem Gang zum Amtsgericht bleibt…

Duftverläufe sind ja nicht eben selten weit weniger abenteuerlich oder speziell als das Trara der Schöpfer (oder der Marketing-Strategen) drumherum oder was z. B. unsereinem an unterschiedlichen Assoziationen in den Sinn kommen kann. Eine betriebswirtschaftliche Interpretation zu einem Duftverlauf – das (kurze) Leben eines Startups – fehlt da womöglich noch. Na denn mal los.

Der „aktive“ Verlauf von Éros ist nämlich kurz und heftig. Und fraglos mitreißend. Bergamotte. Mit Honig. Heiße Zitrone gegen Erkältung vielleicht (Jung-Unternehmer können sich keine Erkältungen leisten). Nur nicht dermaßen sauer. Sondern schmackhafter, aromabetonter.

Aber auch Süßkram. Ich fühle mich an die Gummiglibber-„Pfirsiche“ von Haribo erinnert. Außerdem eine spitze Fruchtbonbon-Note, wie von diesen Campino-„Frucht“-Bonbons mit dem halben Loch drin. Na ja, spätabends im Büro oder halt im Atelier braucht man gelegentlich einen Schluck rasch verfeuerbarer Kohlenhydrate. Viel zu tun: Wer als Selbstständiger ein Geschäft in Gang setzt, arbeitet bekanntlich selbst und ständig.

Doch nach ein paar Minuten dominiert abgedimmte, herbe Zitrusfrucht. Nun ist es eine eindeutige, bittere Orangen-Note. Mit viel Fingerspitzengefühl wurde die Tagetes behandelt. Einer der schlimmsten Garten-Stinker überhaupt, hier freilich behutsam bitterkeits-unterstützend eingesetzt. Sie soll niemanden verschrecken oder zum Aufgeben bringen, vielmehr sorgt sie – huch? – eher für ein Gefühl von Campari. Diszipliniertes Feiern muss man auch beherrschen, gerade, wenn man Teil des gesellschaftlichen Lebens sein will. Für Stil-Emporkömmlinge artet – zumindest stelle ich mir das so vor – eine Party nebst sorgfältiger Planung des eigenen Erscheinungsbildes leicht mal in Arbeit aus. Ein Luxusproblem für Mitglieder der Hautevolée, indes nicht für einen jungen Dänen namens Jensen, der ganz von vorne anfängt.

Und der gute Mann hatte es zweifelsohne zu einer gewissen Prominenz gebracht. Bester Beweis dafür ist die bloße Tatsache, dass ich den Namen schon mal gehört hatte. Das will in dem Kontext was heißen.

Nach einer halben Stunde nimmt der Duft eine Art Nachspeisen-Charakter an. Mancherlei Obst lässt die Phantasie zu, mal dieses, mal jenes, die Ideen dürfen stetig sprudeln; sicherlich ist ein solcher Fluss für einen Designer unverzichtbar. Der kann sich im Gegensatz zum etablierten Künstler keine endlosen Schaffenspausen leisten.

Was haben wir denn? Kiwi kommt mir in den Sinn. Pfirsich – diesmal nicht aus der Retorte. Banane ist mehr eine ferne Ahnung, irgendwas Cremiges aus der Richtung. Dosen-Mandarine. Et cetera. Tja, der Phantasie bei den Cocktails sind keine Grenzen gesetzt. Dazu tatsächlich eine leichte Alkoholnote. Ich glaube, dass zu diesem stechenden Eindruck unverändert die Tagetes beiträgt. Obstsalat mit einer süßen, vanille-betonten Creme ist bald darauf mein Gedanke.

Nach zwei Stunden legt sich eine Wachs-Note angehenden Ambers über den Duft, als solle er nun abgebremst werden. Eine weitere Stunde später haben wir bereits eine vergleichsweise unsüße Amber-Vanille-Basis erreicht. Ein Rest von Zitrusfrucht wirkt Wunder – die unverdrossene Bitterorange. In Stunde fünf sind wir in einer sanften, ruhigen Amber-Basis angelangt, floral umspielt. Immer noch ein Hauch leichter Bitterkeit. Aber vor allem Ruhe.

Um einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, geht man zum zuständigen Amtsgericht. Das war in den dunklen Jahren bei uns in der Firma fast ein geflügeltes Wort: „Tja, dann müssen wir eben zum Amtsgericht…“. Mussten wir zum Glück nicht, es war allerdings verdammt, verdammt nah dran. Da lernt man was als Betriebswirt - Schönwetter können alle. Das nur nebenbei.

Die Zeit des Bangens und Lavierens in der Krise ist fürchterlich. Ich kann mir daher gut vorstellen, dass – ist der überwindungsbedürftige Schritt erst einmal getan – eine Insolvenz der eigenen Firma durchaus befreiend wirken kann, jedenfalls, sofern man sich persönlich nichts hat zuschulden kommen lassen und nicht privater Ruin folgt: Endlich Ruhe, alle haben Klarheit und die Zeichen können vielleicht sogar auf Neubeginn stehen. Schließlich sind die Ideen doch alle noch da, nunmehr ergänzt um unbezahlbare Erfahrungen.

Leuten wie Bent Angelo Jensen, die es ohne Netz und doppelten Boden einfach wagen, gebührt unser Respekt.

Vielen Dank an Ergreifend für die Probe!

http://www.zeit.de/2015/27/herr-von-eden-bent-jensen-anzuege?google_editors_picks=true
11 Antworten