1889 - Moulin Rouge 2010

Profuma
01.11.2023 - 09:05 Uhr
7
Hilfreiche Rezension
7
Preis
6
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft

Lipstick, Powder and Paint...

"Lipstick, Powder and Paint..."
So trällerte schon Shakin' Stevens im Jahr 1985 und genau dieser Songtitel kam mir beim Aufsprühen von 1889 - Moulin Rouge in den Sinn.
Vor allem bei "Lipstick" bleibe ich hängen, so kräftig ist diese Note aus allen anderen herauszuschnuppern.
Und so geht es mir wie vielen anderen: ich setze meine Story dort an, wo ich eben diesen "Lipstick"- Duft am ehesten wahrzunehmen glaube.
Und so seien mir etwelche und natürlich gänzlich unbeabsichtigte Ähnlichkeiten oder mögliche ganze Übereinstimmungen in der Wortwahl verziehen.

Wer die folgende Geschichte umgehen will, der möge zur Kurzeinschätzung scrollen.

Die Tür fällt hinter Candice LaRose zu.
Kurz lehnt sie sich noch gegen das glatte Holz, das sie von der hungrigen Meute an der Bühne und ihrer Garderobe trennt und atmet tief und lange aus.
Mit einem kleinen Ruck setzt sie sich in Gang und geht langsam zu ihrem Schminktisch.
Der pinke Samtsessel davor fängt ihren elfengleichen, einst vom Ballett geformten Körper auf.
Ihr Blick geht über Tiegel, Pinsel und Flakons hoch zum Spiegel und sie betrachtet sich lange, bis sie zu sich selbst sagt: "Du wirst langsam alt, Mädchen."

Die Shows zehren an den Kräften. Das Publikum verlangt viel.
Schwäche zeigen ist keine Option. Zu schnell wird man zum sinkenden Stern, wenn man der Meute den verletzlichen Menschen hinter der Fassade zeigt.
Die funkelnde, strahlend schöne und begehrenswerte Candice wollen sie sehen und sie wollen sie auch bekommen, egal wie sie sich dabei fühlt.

Seit vielen Jahren absolviert sie dieses Programm. Doch immer mehr löst das Partyleben nach der Show ein völlig anderes Ritual ab.
Flucht zur Garderobe, in den Sessel fallen, ein Gläschen Absinth eingiessen, ein Schlückchen davon nippen und dann die abgegebenen Blumensträusse auf Kärtchen von Verehrern durchsuchen.

Meist sind es immer dieselben Absender und die Blumenwahl verrät sie oft schon ohne Karte. Doch auch Neue kommen dazu, so wie an diesem Abend.
Ein ungewöhnlich arrangierter üppiger Strauss aus rosa Rosen und blauvioletten Irisblüten war bisher noch nie dabei.
Der Duft der davon ausgeht ist intensiv und einnehmend und vermischt sich mit der Absinthwolke im Raum.
Zu gerne wüsste Candice wer ihr den hat zukommen lassen, doch das beigesteckte Kärtchen ist leer, bis auf ein Fragezeichen.

Es klopft fünfmal in besonderer Abfolge.
Candice weiss genau wer das ist und ihr Blick wird hell und sanft.

Sally, die Putzfrau kommt wie jeden Abend an dem Candice einen Auftritt hat.
Keine der Damen stört sich an der Anwesenheit der anderen. Im Gegenteil. Sie sind über die Jahre gute Freundinnen, sogar enge Vertraute geworden.
Es wird über jeden Abend und jeden Auftritt gesprochen, über das Publikum und die ganz besonderen Gäste, die das Etablissement beehren.
Natürlich ist auch der ungewöhnliche Strauss ein Thema.
Zu gern wüssten die Damen, wer der Absender ist und in Candice rührt sich ein Gefühl, das sie schon so lange nicht mehr zugelassen hat. Ein Aufflackern von Hoffnung und Sehnsucht. Stecken womöglich ernste Absichten hinter dieser ungewöhnlichen Blumenpracht?
Warum sonst würden so aussagekräftige Blüten miteinander vermischt, wenn nicht eine Botschaft dahinter wäre?
Ihr kleines Herz fängt mit diesen Gedanken an schneller zu schlagen.

Candice lebt allein in einer kleinen Dachwohnung und im Schatten der Stadt. Schon immer hat sie sich die Verehrer auf Distanz gehalten, keinem ihr wahres Ich gezeigt. Zu gross ist ihre Angst, dass man ihr zartes Herz bricht.
Die kurzen Bekanntschaften haben ihr ohnehin schon gezeigt, wie ihre Verehrer sie sehen. Und keiner von ihnen will die wahre Candice. Und keiner würde sie auf der Strasse wahrnehmen, wenn sie als sie selbst unterwegs ist, ungeschminkt, in den weiten Kleidern, den tief gezogenen Mützen oder Hüten und den flachen Schuhen.
Sie geht im Getriebe der Stadt unter, wie ein einzelner Pixel in der Auflösung eines riesengrossen Bildes.
Sie wird nur gesehen, wenn sie in Glitzerkleidchen und High Heels im Rampenlicht der Bühne steht und dem Publikum das gibt wofür es bezahlt.

Während sich Candice abschminkt, schafft Sally Ordnung unter den Kleidern, die beim Kostümwechsel hastig irgendwohin geschmissen worden sind. Die Schuhe werden paarweise unter die wieder in Reihenfolge drapierten Dresses gestellt und anschliessend legt sie noch die Heimgehsachen von Candice bereit.
Eine Jeans, eine Bluse, ein Schal, ein paar zertretene Ballerinas und ein grauer Mantel werden die Begleitung auf dem Weg nach Hause sein.

Etwas später, Sally ist bereits gegangen, greift Candice noch nach ihrer kleinen Handtasche.
Unter dem offenen Mantel ist eine Wölbung zu erkennen.
Sie hat einen ganz besonderen Blumenstrauss darin verborgen, den sie fast zärtlich an sich drückt.
An der Tür zieht sie den Schal noch hoch ins Gesicht und legt den Mantel vorsichtig an den Strauss.
Dann löscht sie das Licht und geht durch den Seitenausgang hinaus in die Nacht.

Kaum hörbar huschen die Sohlen der Schühchen über das Kopfsteinplaster. Der zierliche Schatten wird beinahe unmittelbar von der Dunkelheit der Gassen und der dort wartenden Vergessenheit verschlungen.

Morgen Abend jedoch wird die Frau wieder zu Candice LaRose, dem strahlenden Objekt der Begierde und dem Stern am kleinen leuchtenden Showhimmel des Varietés.
Und am selben Abend wird sie auch wieder zum einsamsten Herzen der Stadt.

Kurzeinschätzung:

Schon am Sprühkopf kann ich die Lippenstiftnote ausmachen, ohne ihn überhaupt zu tätigen.
Kurz gedrückt und sie reitet die Luft um mein Gesicht, als wäre sie auf der Flucht!
Ganz klar sind für mich auch reife Pflaume und der Absinth auszumachen. Die Rosen sind die Hecke, die die Lippenstiftnote etwas auflaufen und abbremsen lassen.
Ein herrliches Gespann wird aus all den Noten, das ich so noch nie erschnuppert habe.
Von meiner Haut, die ich ebenso mit dem Duft versehe, steigt eine wohlige Wärme hoch, die diese Noten sogar noch weicher und gleichzeitig tiefer macht.
Ich finde den Duft erwachsen und reif, gleichzeitig elegant und leicht melancholisch, irgendwie schmuseweich und erotisch, aber dabei sehr wertig und immer perfekt austariert.
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