Boss Sport 1987 Eau de Toilette

TheHavoc
05.01.2023 - 14:40 Uhr
16
Hilfreiche Rezension
10
Preis
8
Flakon
8
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft

Take your Place in the Driver's Seat

Crans-Montana, Schweiz, Osterferien 1982. Ich bin unfassbare 12 Jahre alt, und von guten Bekannten meiner Eltern zu einem 3-wöchigen Skiurlaub eingeladen worden. Ob ich Lust hätte, Ski fahren zu lernen werde ich gefragt ? Klar, logisch, was für ne Frage. Dieser Urlaub sollte etliche Grundsteine für mein späteres Leben legen, Sportbegeisterung, Begeisterung für geile Musik, und letztendlich meine Leidenschaft für Parfums.
Mit dem Auto fuhren wir von Düsseldorf mit 4 Personen los: Doris (irgendwas in den 40ern), Ute (18), David (4) und ich. Ich hatte zugesagt, nach der Skischule auf David aufzupassen, was ich gerne tat, da wir uns genial verstanden, und David locker auf dem geistigen Stand eines 7-8 Jährigen war. Wir fuhren ab Kufstein mit dem Autozug bis ich glaube Sion, von da an dann weiter nach Crans-Montana zum Appartementhaus. Die ganze Fahrt über hörten wir Kassette rauf und runter die Hits der späten 70er und frühen 80er von David Bowie, Blondie, Sniff'n the Tears, Rod Steward, Kiss und anderen. Affengeile Musik, dynamisch, komplex und mitreissend und schon einen Vorgeschmack auf diesen absoluten Überurlaub gebend, die ersten Synthieklänge waren da in dem ein oder anderen Song schon mit eingebaut und kündigten damit auch die stark synthielastige Musik der 80er an.
Wir kamen am frühen Abend an, trugen das Gepäck hoch und packten aus. Am nächsten Tag wurden David und ich auf die Skischulen verteilt (er war mit 4 schon Fortgeschrittener...), und ich stand das erstemal gefesselt und geknebelt in Skischuhen (eigentlich Stiefel) auf Skiern. Daß ich jemals einen solchen Enthusiasmus für eine Sportart hätte entwickeln können hätte ich mir nich träumen lassen, und doch kam es so. Nach Liftschluss fanden sich dann alle nach und nach wieder im Appartment ein - und hier passierte es. Doris trug nach dem Duschen ein Parfum auf, das wie für sie gemacht schien: sie war mittelgross, so einssiebzig irgendwas, schlank, supersportlich, lange glatte, pechschwarze Haare wie eine Asiatin, hohe Wangenknochen und leicht "katzenhafte" grüne Augen, Mann würde sagen ein verruchtes Rasseweib, schlicht und ergreifend bildschön, ein Maneater, ein Vamp. Ihr Duft liess mich nicht los, und im Bad fand ich die Ursache: Magie Noire von Lancome. Jeden Tag durfte ich das Zeug riechen, und es haute mich jedesmal um. So ging die erste Woche rum, das Skifahren lernte ich schnell, und in der zweiten Woche wechselte meine Skischulklasse vom Idiotenhügel im Tal auf den Cry d'er und Bella Lui. Doris reiste nach der ersten Woche ab, und Ute übernahm ihren Part alles zu organisieren und für uns zu sorgen. Ob Doris das Parfum mitnahm weiss ich nicht mehr, aber mich sollte der Duftflash ein zweites Mal kurz darauf treffen...
Jeden Morgen fuhren wir, in voller Skimontur, vollgestopft mit Haferschleim und Unmengen Ovomaltine (geiles Zeug), mit dem Aufzug in den Skikeller, und durch die Flure des Appartmenthauses wehte ganztags stets der charakteristische Geruch von Skiwachs, der im Skikeller natürlich am stärksten war. Eines Tages betrat ich nun den Skikeller - und lief vor eine Wand, da ich den unfassbarsten wahnsinnig frisch-grün-krautig männlichen Überduft, den man nur ersinnen kann, in die Nase bekam. Ich weiss noch genau, wie mich der Duft so dermassen aus der Bahn warf, daß ich mehrere Anläufe brauchte um die Skistiefel anzuziehen, meine Skier und Skistöcke rauszusuchen und auch sonst ziemlich neben mir stand. Ich lief das Appartmenthaus ab und schnüffelte vor jeder Wohnungstür (kein Witz), aber ich konnte die Quelle nicht ausfindig machen. Wäre das der Fall gewesen, ich hätte da eiskalt angeklopft. Einige Tage lang nahm ich den Duft in den Fluren und im Skikeller noch wahr, irgendwann dann nicht mehr. Der Träger war wohl abgereist und ich war zutiefst enttäuscht.
1988, Ruhrpott: Ski gefahren war ich da seit dem Schweiz-Urlaub nicht mehr, aber die Parfumverrücktheit blieb. Ich hatte schon einige Düfte gehortet, die typischen 80er Kracher halt, und suchte das türkise D (welches damals noch was taugte) auf, um zu schauen was so Sache war und was es so Neues gab. Boss No.1 kannte ich schon, den fand ich auch ganz ok, war aber nie so richtig meins, an anderen gefiel der mir hingegen ganz gut. Da erspähte ich, direkt neben dem Boss No.1, einen weiteren Boss Flakon, nur tief leuchtend smaragdgrün, was mich (wie Mika auch schon schrieb) tatsächlich magisch anzog. Ich sprühte ihn auf, und binnen Sekunden traten wir Tränen in die Augen: ich stand wieder im Skikeller in der Schweiz. Ich konnte mein Glück nicht fassen, wie konnte das sein, wo der Boss Sport doch erst 1987 herausgebracht wurde ? Das ist mir bis heute ein absolutes Rätsel - bitte, hier ist kein Wort erfunden ! Ab diesem Tag hatte ich Boss Sport immer, ohne Pause, in meinem Parfumrepertoire, habe ihn ständig getragen, bis er irgendwann eingestellt wurde. Dieser Duft beeinflusste mich 1988 dahingehend, daß ich doch noch an der schulischen Skifreizeit teilnahm, wozu ich zuerst keine Lust hatte, wofür ich wem auch immer unendlich dankbar bin. Jetzt war ich auch noch skiverrückt, und machte 2-3mal, manchmal auch 4mal im Jahr Skiurlaube. Boss Sport war immer dabei, das eine ging ohne das andere nicht, oder ergänzte sich so zur Perfektion eines Gesamterlebnisses.

2022, Ruhrpott:
Selbst fast in der Bucht nicht mehr aufzutreiben, hatte ich das unfassbare Glück, einen randvollen, unbenutzten Flakon des EdT mit 125ml in perfektem Zustand zu erwerben. Ich sage hier ganz offen, daß ich 190 Euro bezahlt habe. Er war also spottbillig, wenn ich den mit heutigen Machwerken von Roja, Xerjoff, Kurkdijan, PdM oder Louis Vuitton und Co (Hauptsache teuer) vergleiche. Da lach ich ab heute (wieder) über, und zwar mich tot - bitte nicht persönlich nehmen !

Boss Sport 1987 eröffnet mit einer regelrechten Explosion aus Zitrik und Kräutern, auch hier kann ich kaum einzelne Komponenten identifizieren, ich komme nur darauf, wenn ich die Pyramide zu Hilfe nehme, so harmonisch ist alles miteinander verflochten, daß sich ein mir unerklärlicher Akkord ergibt: zitrisch, ein Hauch Süsse, extreme Krautigkeit und etwas Holzig-Erdiges. Was man aber sagen kann, daß von Anfang an eine gewisse Blumigkeit mitspielt. Alles geht unendlich harmonisch ineinander über, ohne Sprünge oder Stufen, bis in die Basisnote hinein. Die eröffnende Kopfnote spielt bis ganz zum Schluss eine deutliche Geige mit, heute mit 5 Sprühern nach 15 (!) Stunden, immernoch, meine Frau bestätigt das (und bleibt mit ihrer Nase an meinem Hals hängen). Die Basisnoten erinnern als Akkord in Teilen an den Drydown von Egoiste, der kam aber später. Der gesamte Duft wirkt auf mich wie ein mühsam gezügelter Dragster, der nur auf einen Knopfdruck wartet um mehrere Tausend PS freizusetzen, gebändigte Hochdynamik und Power in Reinkultur. Oder eine scharfgemachte Bombe. Oder ein Space Shuttle beim Countdown. Das Zeug ist eine Droge, und ich muss aufpassen, ihn nicht jeden Tag zu verwenden, sonst ist er zu schnell leer. Der pusht mich dermassen, daß ich es im Nachhinein als ernsthaft leichtsinnig emfpinde, den früher beim Skifahren getragen zu haben. Der war wohl für einige halsbrecherische Abfahrten verantwortlich, was mir damals aber egal war. Passiert ist GottSeiDank nix.

Beim Skifoan auf Walkman (mit Boss Sport zusammen eine unheilige Allianz):
https://www.youtube.com/watch?v=10UCrRMlj20

Hörten wir u.a. in der Schweiz bis zum Abwinken (nur taten wir das nicht):
https://www.youtube.com/watch?v=9SCzVEUlqqA
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