Talc 2018

Profumo
26.02.2020 - 12:58 Uhr
37
Top Rezension
10
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
10
Duft

Talkpuder, minimalistisch und modern interpretiert

Als Mark Behnke von ‚Colognoisseur’ vor ein paar Wochen seine Top 25-Liste der Neuerscheinungen des Jahres 2019 zusammenstellte, landete Olivia Giacobettis Duft ‚Talc’ auf Platz zwei, knapp hinter ‚Weinstrasse’ von Chatillon Lux, den Herr Behnke zum ‚Perfume of the year 2019’ ausrief. ‚Weinstrasse’ scheint nun ein eher spezielles, jedenfalls aber originelles Parfum zu sein, was man von Olivia Giacobettis Duft nicht behaupten kann. Ihr Markenzeichen ist ja ohnehin nicht die Exaltiertheit, das wilde Zusammenmischen divergierender Noten, um einen schrillen Effekt zu erzielen. Nein, was Giacobettis Kunst auszeichnet ist ihr transparenter und zugleich präsenter Stil, die seidige und doch robuste Textur ihrer Kompositionen, deren Raffinesse und perfekte Verblendung. Ein Duft-Punk ist sie wahrlich nicht, eher eine Haute-Couture-Parfumeurin mit Hang zum Understatement. Und das Adjektiv ‚sublim’, mag es auch noch so snobby klingen, Olivia Giacobettis Düfte verdienen es alle – ‚Talc’ ganz besonders.
Doch der Reihe nach.

Als ich auf Mark Behnkes Seite vom neuen IUNX-Duft las, war ich an sich schon ein wenig angefixt, ist doch ein neuer Giacobetti-Duft mittlerweile ein selten gewordenes Ereignis. Fernab von dem sich immer kurzatmiger und hektischer gebärdenden Parfum-Markt, lässt sich Madame betont viel Zeit und entzieht sich gänzlich dem Irrsinn heutiger Marketing-Strategien. Sie kann es: sie hat einen Namen und eine vermutlich treue Kundschaft. Ein Ladengeschäft genügt ihr. Online kann man ihre Düfte nur bei ihr selbst, sowie einen Teil ihres Portfolios bei einem weiteren Pariser Geschäft bestellen. Das war´s.

Da ich nun schon seit Olivia Giacobettis L’Artisan-Zeit ein großer Fan ihrer Kreationen bin und zudem Reis-, Iris- und Ambrette-Noten sehr mag, war ich mir ziemlich sicher, dass mir ‚Talc’ gefallen würde. Mark Behnkes überschwängliches Lob tat sein übriges, und wenig später war der Duft mein – ungetestet, einer dieser ungeliebten ‚Blind-Buys’, die ich mir eigentlich verboten hatte, lag ich doch das ein oder andere Mal schon falsch.
Doch ich wurde nicht enttäuscht!
‚Talc’ duftet großartig. Allerdings MUSS man Puder mögen, Talkpuder. Wer das wunderbar altmodisch duftende italienische Talkpuder ‚Felce Azzurra’ kennt, der hat eine ungefähre Ahnung in welche Richtung der IUNX-Duft geht.
‚Felce Azzurra’ riecht allerdings viel fougèriger, deutlicher nach Lavendel, nussig-pudrig-süßem Coumarin und hellen Moschuswolken. ‚Talc’ dagegen duftet moderner: Reis-Absolue, weißes Irispuder, Zeder und Ambrettesamen bilden ein perfekt austariertes, minimalistisches Quartett, dass man vielleicht noch nicht so, sicher aber so ähnlich schon mal gerochen haben kann. Ein Giacobetti-Duft ist, wie gesagt, in aller Regel kein Ausbund an Originalität, aber ihre Düfte sind immer besonders gut gemacht. Das trifft auch auf ‚Talc’ zu. Die wenigen Noten sind überaus gut aufeinander abgestimmt, wobei das Irispuder zunächst eindeutig die Rolle des Protagonisten übernimmt. Flankiert von aromatischen-trockenen Reisnoten liegt es auf einem Bett aus hellen Hölzern und dezent nach Grappa und Moschus duftenden Ambrettesamen.
Bei so wenigen Hauptakteuren überrascht kaum, dass der Duftverlauf nicht sonderlich dramatisch verläuft, linear ist er aber trotzdem nicht. Die Ambrettesamen entfalten nämlich im Fond ein ziemlich überraschendes Volumen und geben dem Duft, was er bis dato nicht sonderlich hatte: Körper.

Womit ich bei der Inspiration wäre. Olivia Giacobetti schreibt auf ihrer Webseite dazu:

„Talc by IUNX is inspired by Butoh, a Japanese dance form characterized by extreme slowness, poetry, and minimalism“.

Beim Betrachten von Bildern dieses Butoh-Tanzes wird die Inspiration nachvollziehbar: die Tänzer sind zumeist völlig weiß gepudert, was ihnen ein statuarisches, fast versteinertes Aussehen verleiht. Die dicke Puderschicht und die langsamen Bewegungen lassen ihr Muskel- und Minenspiel besonders gut zur Geltung kommen und bilden einen eindrucksvollen Kontrast – leblose Mineralik auf pulsierender Haut.
Und tatsächlich verhält sich der Duft ganz ähnlich: eine Puderschicht aus Iris, Reis und Zeder legt sich über den warmen Moschuskörper der Ambrettesamen. So entsteht die abstrakte olfaktorische Idee von gepuderter Haut, nicht unbedingt parfümierter Haut, eher duftender Haut.
Mit ‚Felce Azzurra’ gepuderte Haut riecht dagegen viel parfümierter, und soll es auch. Schließlich hat man in früheren Epochen Körpergerüche gerne mit Duftpuder zu überdecken versucht. Mit ‚Talc’ funktioniert das sicher nicht. Einen strengen Schweißgeruch wird der Duft nicht neutralisieren, dafür ist er viel zu transparent und feingliedrig. Eine dichte pudrige Moschuswolke à la ‚Felce Azzurra’ schafft das dagegen schon, zumindest eine Weile lang.
Nein, ‚Talc’ setzt vielmehr eine gereinigte Haut und gewaschene Klamotten voraus. Erst dann vermag sich der Duft wie ein Schleier um den Träger zu legen, ihn zu umschmeicheln.

So besitzt 'Talc' auch keine übermäßige Projektion, bleibt körpernah und entwickelt bei großzügiger Dosierung eine Abstrahlung von maximal einer Armlänge. Nah am Körper bleibt der Duft dann lange erlebbar, für ein EdT sogar erstaunlich lange. Auf Kleidung haftet er sogar exzellent.
Da ich schon erwartet hatte, dass es sich bei ‚Talc’ nicht um einen Duft-Boliden handeln würde (Olivia Giacobettis Düfte sind allesamt eher zurückhaltende, moderat auftretende Werke), habe ich mir gleich die 150ml Pulle bestellt, war aber nicht auf einen derart gigantischen Flakon gefasst. Er ist höher als eine Weinflasche, ruht in einem zylindrischen, schwarzen Schaumstoff-Etui, das garantiert in kein normales Regal passt. Wohin mit diesem Monstrum?
Ich weiß es noch nicht. Einstweilen steht es einfach auf meiner Kommode herum, aber es macht mir ausgesprochen Spaß mich ausgiebig damit zu beduften – einem solchen Riesenflakon entlocken sich doch leichter üppigere Mengen als einem schmucken Miniflakon mit einer kleinen Menge Extrait darin...

Sich mit ‚Talc’ zu überparfümieren dürfte allerdings schwerfallen – der Duft ist derart inoffensiv, dass es, zumindest für mich, eine wahre Freude ist.
Manch anderer Duft zwingt mich nämlich mit enervierender Langlebigkeit und bollernder Lautstärke in die Knie – nicht so ‚Talc’.
Der Duft hat eine wirklich tolle, unanstrengende Präsenz, wie eigentlich alle Giacobetti-Düfte.
Aber davon hatte ich’s ja schon...
12 Antworten