Parfümlein
20.12.2020 - 01:42 Uhr
29
Top Rezension
10
Flakon
8
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft

Byzantinisches Paradies

Zu den ganz wenigen, auserwählten Düften, auf die ich niemals freiwillig verzichten würde, gehört „Aurum“. Es wurde hier schon von Frau Holle geschrieben: „Aurum“ gewährt einen Einblick ins Paradies. Ich weiß nicht, ob Frau Holle ahnte, wie recht sie mit ihrer enthusiastischen Aussage hatte – aber da wir hier schon im Bereich der Märchengestalten sind, soll eine beinahe märchenhafte, eine jedenfalls legendenhafte Episode aus der Geschichte die Beweisführung übernehmen:

Als der um 680 geborene Kaiser Leo III etwa 45 Jahre alt war, erlebte er im Jahr 726 oder ein wenig später ohne jede Vorwarnung eine Naturkatastrophe apokalyptischen Ausmaßes: Der Santorin brach aus, ließ das Meer auf furchtbare Weise erbeben und hüllte die Ägäis für mehrere Tage in Dunkelheit. Dieses traumatische Ereignis hinterließ offene Fragen in dem byzantinischen Kaiser: „Warum ist es plötzlich so dunkel?“, „Womit haben wir Gott erzürnt?“, und vermutlich schloss er in mittelalterlicher Manier nach dem Prinzip der ‚spiegelnden Strafe’, von Dante als „Contrappasso“ in seinem „Inferno“ in vielen feinen Schattierungen illustriert, darauf, dass „Nichtsehenkönnen“ notwendigerweise die Folge von „Zuvielgesehenhaben“ sein müsse. Aber was hatte er zuviel gesehen?
Seine Antwort war so einfach wie erschreckend: Gott.
Seine Konsequenz war erschreckend einfach: Er ließ die große Christus-Ikone an einem Tor seines Palastes in Konstantinopel entfernen, um Gott zu besänftigen und sich fürderhin allein mit der Vorstellung des Pantokrators zu begnügen.
Seine Idee, eine nicht orthodoxe Religionsausübung könne für die losgelassene Naturgewalt verantwortlich sein, löste eine Phase von Krieg und Verfolgung aus, die als „byzantinischer Bilderstreit“ ins Gedächtnis der Nachwelt eingehen sollte. Es bedurfte mehrerer Konzile und über hundert Jahre der Verfolgung der jeweils schwächeren Seite, um die kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen Ikonodulen (den Liebhabern der Bilder Gottes) und Ikonoklasten (denen, die jede Abbildung des Höchsten als Sünde verneinten) ein für allemal zu beenden.
Was sich genau in diesen Jahren zwischen 726 und 843 (dem Jahr des Dekrets der Wiederherstellung der Bilder, das Theodora, die regierende Witwe Kaiser Theophilos’, herausgab), ereignete, fällt wie so vieles, was sich in den dunklen Jahrhunderten ereignete, ins Reich der Vorstellungen und Legenden, so, wie auch der Auslöser des Streites vor allem Legende ist. Was übrig blieb von diesem Streit, ist jedoch jedem bekannt, der schon einmal eine byzantinische oder nach byzantinischer Art gemalte Ikone gesehen hat: der strahlende Goldhintergrund, der keine noch so kleine irdische Darstellung des die Ikone (das „Bild“ des Göttlichen) umgebenden Ambientes erlaubt. Dieser strahlende Goldhintergrund, der durch das Aufschlagen von Blattgold, durch die entstehenden Unebenheiten das Licht an hunderten kleinen Stellen bricht und dadurch geradezu schimmert – ein Prinzip, das man sich in den stets plastisch ausgestalteten, sich vom Bildhintergrund ablösenden Nimben zunutze gemacht hat – dieser Goldhintergrund symbolisiert das Jenseits, das für Menschen unerfahrbare und unvorstellbare Paradies, das sich erst dann dem irdischen Wanderer öffnet, wenn er die Pforte ins Jenseits für immer durchschreitet. Das schimmernde Gold symbolisiert zugleich auch das göttliche Licht, das ewige Strahlen, das das Majestätische des Pantokrators verkörpert und verherrlicht und das die Dunkelheit der Welt erhellte.

Gold – die Farbe des Göttlichen, die Farbe des Paradieses. Goldenes Paradies. Aurum. Diese vollkommene Ausgewogenheit der einzelnen Noten: So muss das Paradies riechen.

„Aurum“ beginnt bei mir, anders als bei den meisten anderen, mit der Rose. Das mag daran liegen, dass mein Exemplar schon etwa zwei Jahre alt ist und sich der „Sturm“, der in diesem kleinen, fantastischen, schwer in der Hand liegenden „Wasserglas“ tatsächlich entfaltet, inzwischen ein wenig gelegt hat. Die Rose hat, wie ihre Leichtigkeit es fordert, den Weg an die Oberfläche geschafft und entfaltet beim feinstnebligen Sprühen aus einem perfekten Sprühkopf, wie ich ihn nur noch von Penhaligon’s kenne, eine tiefe, weit facettierte Ahnung eines in voller Blüte stehenden Rosengartens.
Die feine Pudrigkeit, die die mit intensivem ätherischem Öl getränkten Blütenblätter umschwebt, gleicht den vielen Schichten Blattgolds auf einer Ikone oder auch den vielen Schichten eines Blätterteigs, die auseinandergehalten werden von der unter Hitze verdampfenden Butter – so vielblättrig und vielschichtig sind Puder und Rosenblütennuancen miteinander verwoben. In dieses Geflecht mischt sich vom ersten Moment an ein sanfter, völlig unanimalischer Oudton, der aus der Gartenrose eine dunkle, samtige Orientrose macht, ihr Süße und einen goldenen, byzantinisch anmutenden Schimmer verleiht. Vielleicht heißt der Duft tatsächlich deshalb „Aurum“, weil er immer wieder Bilder des Orients evoziert, byzantinische dekorative Elemente, hochkomplexe Goldstickereien auf purpurnem Samt, fein ziselierte goldene Ohrgehänge mit winzigen Perlen, goldene Throne und goldene Ikonen. Einer Theophanu oder einer Theodora würdig.
Wie die vielen feinen Blattgoldschichten einer Ikone, so entfaltet sich die Oudrose zwischen feinsten, nur sanft wahrnehmbaren Fruchttönen: süßen Orangen, spritzigen Zitronen, vollmundigen Erdbeeren. Keine dieser Früchte übernimmt die Führung, in keiner Phase des Duftes. Es sind nur Fruchtspritzer, die sich sekundenlang zwischen Rose und Oud offenbaren und dadurch den Duft zum Glitzern bringen: Wenn Rose und Oud das Bild, die Mimesis des Göttlichen und zugleich ihre Unerreichbarkeit durch völlige Unbeweglichkeit bedeuten, so verkörpern die Fruchttöne in „Aurum“ den goldenen Hintergrund des Bildes, beweglich, schimmernd, das Paradies beschreibend. Wo wir gerade bei „Paradies“ sind: Schokolade. Schwere dunkle Kakaosüße, jedoch so fein, so zart eingesetzt, dass die Schwere nur erahnbar ist. Sie zeigt sich erst in einer späteren Phase des Duftes, wenn die Rose allmählich blasser wird und einer vollkommen weichen Süße Platz macht. Erst dann schweben feinste Vanilleschwaden durch die Luft, niemals solitär, immer von Oud, von Frucht und von Kakao durchzogen. Und weil die Rose hier schwächer ist, der Duft sich aber nicht in kindlicher Süße verlieren soll – ohnehin ist Aurum niemals, wirklich niemals ZU süß – setzt hier das Labdanum ein, das die blütenreine Rose am Ende durch zarte Honignoten in einer erdverbundenen Harzigkeit ersetzt.

„Aurum“ ist ein Traumduft, ein paradiesischer Duft, dessen Kostbarkeit sich im schweren Flakon und in der nicht minder schweren metallischen Kugel mit den feinen Ziselierungen widerspiegelt. „Aurum“ ist Goldes wert, und wer ihn nicht kennt, sollte ihn dringend versuchen – um einen Blick ins Paradies zu erhaschen.
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