FvSpee
09.08.2020 - 14:54 Uhr
23
Top Rezension
5
Sillage
3
Haltbarkeit
5
Duft

Neukölln 5: Zitronatpampelmuse an merkwürdiger Myrte

Eine Marke, die "Freigeist Louison - Taktlose Technik" heißt, riecht schon danach, als ob sie sich womöglich mehr Mühe gibt, angestrengt hipstermäßig originell zu sein als solide Duftqualität zu liefern. Dies umso mehr, wenn man bedenkt, dass "Louison" auch ein Spitzname der Guillotine sein kann und man die Marke folglich auch als "Freigeist Fallbeil - Taktlose Technik" lesen kann.

Der Internetauftritt der Marke präsentiert neben minimalistisch schicken T-Shirts, Gesichtsmasken und ähnlichem Krempel eine Serie Raumduftkerzen und mehrere Duftserien, darunter eine Serie Eau de Colognes. Dazu gehört Cédrat 672 (keine Ahnung, wofür die Zahl steht). Eine große Geschichte wird zu dem Duft nicht erzählt, nur, dass der Duft vom jüdischen Laubhüttenfest inspiriert sei, wo man neben der Zitronatzitrone, die ein Zeichen von Schönheit und Vollkommenheit sei, auch Weiden, Palmzweige und Myrten in der Hand halten müsse. Klingt nett, allerdings enthält die mitgeteilte Duftpyramide keine Weiden oder Palmen, sondern:

K: Bergamotte, Petitgrain
H: Zitronatzitrone
B: Moschusakkord, holzige Akkorde, Myrte.

Wie bereits Yatagan und andere vor mir angemerkt haben, riecht der Duft aber nicht nach Zitronatzitrone (und auch nicht nach Petitgrain), sondern nach Grapefruit, und das leider weder schön noch nachhaltig.

672 beginnt mit einer sehr, sehr hellen, fast spitzen Zitronik, die schon nach kürzester Zeit in Grapefruit umschlägt. Die Grapefruit wird in relativ kurzer Zeit ziemlich fruchtig-fleischig und fast echt (aber nur fast, es bleibt auch ein neonlichtmäßig-synthetischer Hauch), wird allerdings begleitet von einer dezidiert unschönen starkblumig-gummiartig-schweißig-animalischen Fremdnote, die man allerdings nicht lange aushalten muss, weil dieses Cologne nach 20 Minuten hautnah und nach einer Stunde perdu ist.

Wer für 50 Milliliter dieses Erlebnisses 48 Euro bezahlen möchte, kann dies in einem freien Land wie diesem tun. Empfehlen würde ich es aber nicht unbedingt.

Nachzutragen wäre, dass ich mich gefragt habe, ob die Skunk-Funktion vielleicht daher kommt, dass ich irgendwie nicht mit Myrte kann. Das scheint aber nicht der Fall zu sein, wie die klasse Duftnoten-Recherchefunktion bei Parfumo enthüllt. Es gibt eine Menge Düfte mit Myrte, die ich hochspannend (aber letztlich nicht 100% überzeugend) finde (wie Grain de Plaisir, Aramis, Superuomo, Ambre Précieux, Ambre Sultan und Etrog von L'Arquiste), aber es gibt auch Patchouli Ancien von Les Ecuadors, das ich wirklich liebe, und Mirto von Tuttotondo, in dem Myrte sogar die Leit-Note ist und dem ich regelrecht verfallen bin.

Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
Das Fallbeil fällt, und alle Fragen offen.
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