Louce
28.03.2012 - 20:26 Uhr
10
Flakon
5
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft

Symbiotische Verschmelzung

„Carnation“ muss lange getestet werden.
Lang.
Sehr lang.
Noch länger!

Wie alle MdO-Düfte ist „Carnation“ eine wahrhaftig komplexe Kunst-Komposition, bei der das Hauptthema langsam, schichtchenweise herausgearbeitet wird, bis es endlich im Vordergrund brilliert (und eine ewig ausdauernde Haltbarkeit bei beachtlicher Tiefe aufweist).
Eigenes Investment in Form von Geduld, Muße und Einlassung der Riechenden sind nicht nur ganz hilfreich und willkommen, sondern schlechterdings notwendig, sonst macht das nämlich gar keinen Sinn mit MdO-Düften.

Von „Carnation“ durfte ich genau das und außerdem etwas Wesentliches über Duft, bzw, Dufterfahrung lernen.
Beim ersten „Carnation“-Test im Laden war ich richtig abgeschreckt. Am Anfang stichelte eine schrille Horrorblume penetrant (Ich tippte auf Jasmin, ist aber Levkoje) und fügte sich dann in eine ebenso penetrante, gellend-hochmütige, leicht indolisch-fleischlich anmutende Blumenkombo, worin dann auch tatsächlich der gewähnte Jasmin zu erkennen ist und mit prominenter Lilie, die ich zuerst gar nicht, dann nur so ungefähr als Lilie erkennen konnte. Das war für mich genug. Dicke genug! Ich kam bei einem lauten „Bwäh!“ an und bereute, den Duft zum Test auf die Haut gesprüht zu haben.
Aber dann…
Nach etwa 40 Min war da eine leichte Änderung. Ich sagte: „Och jo, ein bisschen spät um aus dem Quark zu kommen, aber jetzt wird „Carnation“ langsam schöner.“ Er wurde hautiger, ein kleines bisschen holzig-trockener, cremiger (ohne eine Spur von Puder), enorm schmeichelig und irgendwie sonnig.
Danach ging´s erst richtig los: Alle 5 Min musste ich nachschnuppern. Und es wurde immer besser und besser und besser! Das ging dann bis zum nächsten Nachmittag so!

„Carnation“ entwickelte sich sehr intim, hautig, goldglänzig, streichelig. Er entpuppte sich überraschend als gehörig erotisch, aber eher auf eine romantisch-gebende Art, nicht selbstbewusst-geil. Der Name deutet bereits sehr auf Haut/Hautfarbe als Thema des Duftes hin. Am nächsten Tag las ich dann, dass es auch genauso gedacht ist: MdOs Idee, den Duft von Haut nach dem Sonnen einzufangen, geht voll auf.
Diese gebräunte Haut ist nicht nur sonnenduftig, sondern auch noch außerordentlich weich, feinporig und entspannt: „Carnation“ gibt das Gefühl von ausnehmender Gepflegtheit ohne das einfach mit Sauberkeit, im Sinne von „gewaschen Sein“, oder mit bekanntem Cremeduft zu übersetzen.
Es ist irgendwie, als ob „Carnation“ „tief eindringt“ und dann „mit der Haut verschmilzt“.
„Verschmelzung“ ist tatsächlich der richtige Oberbegriff. Es geht um ein Verschmelzen von Duft und Haut und um eine verschmelzende Erotik.

Nach dieser wunderbaren Testerfahrung dachte ich: „Toll… der Waaaaaaaahnsinnsduft mit einer unerträglichen ersten Dreiviertelstunde, die verhindert, dass ich den regelmäßig auf meiner Haut genießen kann. Grmpf.“

Beim zweiten Test, 3 Tage später im Laden, stellte ich erstaunt fest, dass die fiese Phase wesentlich (!) kürzer war… nur noch eine Viertelstunde vielleicht.
Wenn man weiß, wohin sich ein Duft entwickelt, nimmt man ihn anders wahr
(Und hier trifft das extrem zu!). Man erkennt ganz früh die Richtung, riecht das Schöne betonter und lässt sich nicht so leicht irritieren vom vermeintlich Anderen.
Und wieder: Verschmelzung! Die einzelnen Noten sind in „Carnation“ folgerichtig gemäß des gesamten Duftthemas so verschmolzen, das es keinen Sinn macht, sie einzeln heraus riechen zu wollen. Sogar die sticheligen Einzelnoten, die mich beim ersten Kennenlernen so zum Scheuen brachten, konnte ich immer weniger differenziert ausmachen. Wenn die Komposition „begriffen“ ist, werden die Teile nicht mehr einzeln, oder eben nur noch anteilig wahr genommen. Holismus in Pur-Kultur.

Ich musste den kaufen!

Beim dritten, vierten und fünften Tragen wurde die Startphase jeweils kürzer und jetzt ist es so, dass ich den benutze und SOFORT die Duftspur aufnehmen kann, die ich mit lauter Genuss, Schönheit und Sinnlichkeit verbinde.
Seltsam und bemerkenswert, wie sich Duftwahrnehmung verändern kann.
Nicht die Chemie meiner Haut hat sich parallel zum „Carnation“-Testen jeweils rapide verändert, sondern meine Wahrnehmung. Eine Sensibilisierung hat sich eingestellt – sie entstand erst durch die wiederholte Wahrnehmung dieses einen Duftes. ICH habe mich verändert und meinen Riechsinn ausgerichtet. Es ist etwas Neues entstanden, ein Gemeinsames zwischen der mir unbekannten toten Mona und mir selbst.
Die Künstlerin gibt den Impuls und fordert implizit von mir, dass ich etwas dazu gebe, dass ich investiere, um etwas entstehen zu lassen.

Das ganze geht freilich leichter und schneller, wenn man die Kopfnote von Carnation direkt mögen kann – aber auch wenn man (wie ich) den langen Weg nehmen muss, lohnt der sich. Und wie!
Darauf setzen die MdO-Düfte, die ich bisher kennen lernen konnte (und ich tippe mal auch die übrigen anderen) konsequent und kompromisslos. Sie wollen ein echtes Kennenlernen, wollen eine echte Annäherung…

… und können dann zu Liebe führen.

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Wichtig: „Carnation“ ist französisch auszusprechen (Karnasjon). Dann heißt es „Hautfarbe“. Auf Englisch bedeutet Carnation (Karneyschn) nämlich „Nelke“ und mit Nelken hat der Duft nix zu tun.
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