Nuit de Bakélite 2017

Mikadomann
27.03.2021 - 10:50 Uhr
52
Top Rezension
10
Haltbarkeit
9
Duft

Zur Hölle!

Nuit de Bakelite

Mich fasziniert dieser Duft nun seit Monaten.
Seit Monaten versuche ich einen Kommentar zu diesem Duft zu schreiben.
Seit Monaten versuche ich, meine Assoziationen in Wörter zu fassen.
Seit Monaten sammle ich Stichwörter.
Seit Monaten entgleiten sie mir.
Zur Hölle!

Nun, sei‘s drum!
Nehmt einfach das und macht damit, was Ihr wollt!

Nie wäre ich bei dem Duft darauf gekommen, dass er nach Bakelit riechen könnte.
Selbstverständlich nicht. Denn Bakelit ist ein vollsynthetischer Kunststoff, der industriell hergestellt wird. Er ist geruchlos.

Vielleicht ist es gar nicht so schwer, die Natur in einem Duft abzubilden. Jeder weiß, wie Wald riecht. Viele wissen wie eine Katze riecht. Aber wie setzt man etwas um, das überhaupt nicht riecht?

Es sind zwei Dinge, die meine Wahrnehmung des Duftes, den ich beschreiben möchte deutlich mitbestimmen. Es sind
1. die Kommentare und Statements der anderen Foristen und es ist
2. der Name des Parfüms, den die Künstlerin, die es geschaffen hat, ausgewählt hat.

Ich habe hier noch nie einen Duft als erster beschrieben. Ich habe noch nie einen Duft blind und ohne seinen Namen zu kennen getestet.

„Ein Duft für Damen und Herren“ ... Für alle drei Geschlechter.

Ausführungen der anderen machen Eindruck auf mich. Sie mitbestimmen meinen eigenen Eindruck, den ich von einem Duft gewinne. Sie pflügen den Boden, auf den meine Assoziationen fallen und bereiten ihn für meine eigenen Bilder. Genau so ist es mit dem Namen eines Duftes.

Ich fühle mich ungeheuer wohl mit diesem Duft. Er erlaubt mir eine Menge mehr zu sein.

Oft frage ich mich, ob das Thema, das in dem Namen eines Parfüms verborgen ist, wohl zuerst da war und ob wohl die Künstlerin oder der Künstler versucht hat, dieses Thema in einen Duft umzusetzen.
Oder ist es genau andersherum? Hat die Künstlerin ein Kunstwerk geschaffen, dem sie nun einen Namen gibt, der ihren Dufteindruck am besten fasst?

Geruchlose Dinge kann man nicht riechbar machen.

Selten, meine ich übrigens, hat ein Name zu einem Duft so hervorragend gepasst, wie bei diesem Duft.
Nuit de Bakélite. Bakelit-Nacht...

Wenn ich ein Ding beschreibe, dann beginne ich oft mit der Beschreibung seiner Oberfläche. Wenn ich ein Ding in Geruch übersetze, dann übersetze ich möglicherweise seine Oberfläche.

Wenn ich diesen Duft trage, dann fühlt es sich an, als sei meine Schale hart. Ich bin nicht aus Teflon. Aber wenn ich den Duft trage, dann gebe ich meine Persönlichkeit nicht so rasch preis. Ein Duft, der meine Geheimnisse bewahrt.

Eine Bakelit-Nacht: Ist ohne Schatten. Schafft starke Umrisse. Schafft klare Konturen. Ist blau. Ist grün. Ist metallisch. Wie der Panzer eines Käfers. Eines Käfers aus Kunststoff.

Ich spiele Mahjongg. Nicht das Spiel, das man am Computer spielt, um die Zeit tot zu schlagen und das so funktioniert, wie ein Memory. Ich meine das wunderbare Spiel, das in den zwanziger Jahren berühmt war und das seine Wurzeln in China hat. Heute sind die meisten Steine aus Plastik. Die schöneren Spiele sind aus edlem Holz. Die ersten alten Spiele waren aus Elfenbein. Später dann waren die Steine aus Bakelit.

Mich fasziniert dieser Duft. Entfremdet mich von mir. Der Duft bringt mich eher zum Denken als zum Fühlen.

Manche Parfümeure sind Designer.
Manche Parfümeure sind Künstler.
Manche Parfümeure sind Zauberer.
Manche Parfümeure sind Hexer.

Den Duft würde ich nie zu einem Rendezvous tragen… Aber zu einem Date!

Die Musik, die zu diesem Duft gehört, rattert. Sie wird schneller, kantig, eckig, peitscht. Die Noten beschreiben den Klang und nicht die Melodie. Plötzlich geht sie aus und das Licht geht an und auf dem Boden ist der ganze Alkohol ausgekippt.

Man merkt genau, wenn etwas besonders ist.

Als man das Spiel in den zwanziger Jahren gespielt hat, konnte man sehr viel Geld dabei verlieren. In den großen Metropolen spielte man es in den Hinterzimmern. Lange Zigarettenspitzen. An dunklen Tischen. Lackiert. Das Holz der Tische- und die Fingernägel.

„Hier sind fünf Mark. Geh in den Supermarkt und Kauf mir dafür fünf Kilo Liebe!“
„Liebe kann man doch nicht kaufen!“
Kann man doch...

Es bleibt etwas Künstliches. Selbst, wenn man Hilfe in den Bildern der Natur sucht. Denke ich an Blumen bei dem Duft? Vielleicht an Anthurien. Für mich eine der unnatürlichsten Blumen, wenn es das überhaupt gibt.

Wenn man Glück hat, dann findet man so ein Spiel noch zwischen Antiquitäten. Man spürt den Unterschied zwischen Plastik und Bakelit rasch

„Die Welt, die monden ist.“ Rilke

Die Spielsteine aus Bakelit werden auf dem Tisch ausgebreitet und gemischt. Wenn die Steine aneinanderstoßen, dann entsteht ein Geräusch: ein helles Klickern, das man in China mit dem Zwitschern von Sperlingen verglichen hat. Mahjongg heißt dort das „Sperling-Spiel“.

Die Duftpyramide hilft mir überhaupt nicht. Angelika rieche ich auch. Aber was hilft das? Ich glaube, alle Inhaltsstoffe dienen nur dazu, eine flache Oberfläche zu gestalten, an der ein Tautropfen, Regen oder eine Schweißperle hinabrinnen würden.

Ich erinnere mich an ein Bild. Ein Portrait eines Expressionisten. Das Gesicht der Frau rot. Nase und Kinn spitz. Die Haare wie ein dreieckiger Turm schwarz. Tiefe Ringe unter ihren Augen. Die Lippen wie ein Blitz geformt. Hätte die Gemalte diesen Duft getragen, hätte man ihr Gesicht grün malen müssen.

Wenn Fingernägel über Kunststoff Katzen, können Sie abbrechen. Wenn Fingernägel über Bakelit gleiten, hat man das Gefühl, als könne man sie in das Plastik graben und zurück blieben kleine Monde.

Die Oberfläche von altem Bakelit fühlt sich nicht so kalt an, wie unser heutiges Plastik. Es ist kühl in der Hand und wird rasch angenehm warm und dann hat es etwas Wächsernes.

Der Duft ist ein Formwandler. Ein Formwandler auf meiner Haut. Er nutzt sie als Projektionsfläche für sich selbst. Damit ist er der egoistischste Duft, den ich je getragen habe.

Jetzt bin ich sicher. Es muss deutlich leichter sein, einen Waldspaziergang in eine Flasche zu füllen als einen schroffen, kantigen Klumpen aus Kunststoff.

Hier wird keine Liebesgeschichte erzählt und es gibt auch keine Leidenschaft. Kühle Anziehung vielleicht… Aber das ist morgen schon vorbei.

Der erste Eindruck ist ein wenig rauchig. Das ist aber auch schon die sanfteste Assoziation.

Das Licht gestaltet die Oberfläche. Bakelit glänzt nicht. Es ist eher, als schlucke das Material das Licht und werfe nur den Rest des Lichtes, den es übrig behält wieder zurück.
Die Oberfläche schimmert. Wenn es das Wort gäbe: Kerzen-kalt...

Die Männer haben keine Haare auf der Brust. Sie haben gar keine Haare - nirgendwo. Sie sind rasiert - überall. Aber um Haut geht es hier auch nicht. Eher um weißes, steifes Leinen. Nein: der Stoff, aus dem das Hemd ist, muss künstlicher sein.

Ich rieche diesen Duft noch Tage später an mir. An meinen Händen und an meinen Sachen. In meinem Auto. Und immer wenn ich ihn rieche, denke ich: Er ist noch da.

Die Bernstein-Nacht ist versickert im eignen Dunkel. Hier ist der Ballsaal im künstlichen Licht. Männer mit ihrer Hand am Knie der Damen und mit dem Blick an den Lippen des Kellners. Über Ambre Nuit würde man sich hier totlachen.

Diese Blume trägt man nicht im Knopfloch. Man trägt sie in der Gürtelschnalle.

Der Ritter trägt keine Rüstung aus Stahl.

Mit alledem macht jetzt, was ihr wollt.
Der Duft mach das schließlich auch…
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