Klischee
22.09.2015 - 16:54 Uhr
18
Top Rezension
7.5
Flakon
7.5
Haltbarkeit
9
Duft

Like a Stop in Youth

Wir befinden uns kalendarisch im Herbst, die Zeiten stehen auf Umbruch - überall wird mit "Übergang" geworben, egal ob bei Klamotten, Essen oder Kosmetik. Doch was trägt man dufttechnisch während dieser Spanne? Ich war schon Mitte August ganz hibbelig auf meine Lieblinge der kälteren Tage, darunter Black Orchid, Chanels N°5 Eau Première oder L'Eau de Tarocco von Diptyque. Wenn es draußen klirrend frostig ist und die Gedanken höchstens um den nächsten Glühwein kreisen, dann mache ich bei solchen Hammerdüften auch keinen Unterschied, ob es nun Tag oder Nacht ist. Mein Gammer auf Black Orchid war vor ein paar Tagen so groß, dass ich ihn für einen Lerntag in der Uni aufgesprüht habe - ein großer Fehler. Ich liebe das Steckenpferd aus dem Hause Tom Ford, doch um ihn richtig würdigen zu können müssen die Umstände allesamt bis ins kleinste Detail stimmen. Vielleicht hat mir aber auch nur die unromantische Bibliothek der Kulturwissenschaften einen Strich durch die olfaktorische Rechnung gemacht, denn unser erstes Date für dieses Jahr war dann doch eher ernüchternd. Zu was greift man als Parfumliebhaberin also dann, wenn sich weder das Wetter, noch das eigene Gemüt richtig entscheiden kann?

Ichnusa! Das italienische Traditionshaus Profumum Roma, das von Celestino Durante und seiner Frau Luisa gegründet wurde, habe ich schon lange auf dem Schirm. Es muss vor circa drei Jahren gewesen sein, da landete eine Probe Battito D'Ali in meinen Händen. Mit herzigen Labelhintergründen kriegt man mich ja immer und als mir eine liebe und sehr kompetente Verkäuferin in einer wahnsinnig hübschen Parfümerie verriet, dass bei Profumum Roma hinter jedem Parfum eine kleine Geschichte steckt, war es um mich geschehen. Schon als Kind habe ich es unheimlich geliebt, wenn mir meine Eltern abends vorm Schlafengehen noch etwas vorlasen, das war ein richtiges Ritual bei uns. Und noch heute verbinde ich mit so vielen Düften Erinnerungen, Erlebnisse und Reisen, so dass mich dieser Firmenansatz einfach wahnsinnig in den Fingern gekitzelt hat! Meine erste Fullsize-Flasche aus Rom trägt den Namen Ichnusa. Ichnusa nennen die sardischen Bewohner ihre Insel (und ein gleichnamiges Bier gibt es dort wohl auch) und gleich war da wieder die Story in meinem Kopf. Auf Sardinien verbrachte ich mit 15 und 16 Jahren jeweils drei Wochen Sommerurlaub mit meiner besten Freundin, bis heute geht es mir beim Gedanken an diese Zeit einfach herrlich gut und automatisch huscht mir ein breites Grinsen über die Lippen. Doch wie duftet dieses mediterrane Stückchen Erde? Sardinien ist meine absolute Lieblingsinsel im Mittelmeer, ich habe mich gleich am ersten Tag unsterblich in das kristallklare und helltürkise Wasser verknallt. Die kargen Berghänge stehen voll mit trockenen Lorbeerbüschen und riesigen Kakteen, über allem hängt der salzige Geruch des Meeres. Es riecht nach vollreifen Tomaten, Sonnenmilch auf gebräunter Haut, gegrillten Sardinen und Fior di Latte-Eiscreme. Sardinien ist ein Paradies für die Sinne und in all seinen Facetten so überaus natürlich, dass ich mich gerade frage, wieso ich eigentlich nicht einfach dort geblieben bin? Dort ticken die Uhren noch anders, die Menschen bauen Gemüse selbst an und melken die eigenen Schafe, aus deren Milch später überaus köstlicher Pecorino entsteht. Beim Betreten dieser Insel kam es mir so vor, als hätte ich das alles schon einmal erlebt. Wunderbar vertraut und wie ganz selbstverständlich und noch heute spüre ich den lauen Sommernachtswind auf meinem Gesicht, als wir aus dem Flugzeug traten und uns in unserer enthusiastischen Jugend bei der langersehnten Ankunft so ehrlich umarmten, dass mir ein warmer Freudenschauer über den Rücken läuft. Ich rieche die würzigen Olivenhaine, die sich kilometerlang an Landstraßen erstrecken und spüre die sanfte Nachmittagssonne auf meinen Wangen. Ichnusa imitiert dieses Gefühl nahezu perfekt. Essenzen aus Feige, Myrthe, Kräutern und einer Spur Erdbeere vermischen sich zu einer abenteuerlichen Symbiose, die klarer kaum riechen könnte. Es ist der Strand, es ist die Luft, der Sand und die brechenden Wellen.
Mein sechzehnjähriges Ich und die auf dem Markt erworbenen Lederespadrilles. Haufenweise frisches Basilikum mit einem kleinen Stich Weißweinsäure und dabei schaukelt das Feigenblatt alle Komponenten immer wieder auf der balanceverliebten Waage in Richtung Mitte. Ich würde am liebsten in Ichnusa baden und wünsche mir, dieses Parfum hätte mich damals auf meiner Reise begleitet. Denn es war eine meiner schönsten, nur den passenden Duft, den hatte ich in Deutschland stehen lassen. Wer sich nach erfrischender Herzlichkeit, warmen Holzakkorden und kräuterigen Ausschweifungen sehnt, dem lege ich dieses erinnerungsstarke Fläschen ans Herz.
Der puristische Glasflakon passt hervorragend zur ideellen Stimmung im Inneren, die der eigenen Gedankenwelt so viel Raum zur Interpretation und Füllung lässt. Ein Parfum wie ein Urlaub - leicht und agil aber dabei so herzergreifend, dass es den Träger niemals mehr loslassen wird.
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