Collection Noire

L'orpheline 2014

BackToBlack
12.07.2014 - 06:08 Uhr
45
Top Rezension
10
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
9
Duft

Orphan - Das Waisenkind

Wie habe ich mich auf die Post gefreut, als ein Päckchen von Lutens hereinkam. Das Wetter ist in den letzten Tagen ziemlich im Tiefgang. Der Sommer lässt auf sich warten und hier bei mir drückt es die Temperatur auf sage und schreibe 13 Grad im Juli! Da bevorzugt man ja schon mal ein paar dickflüssige Düfte, die Wärme und Kühle in sich tragen. Warm und Kalt - verschmolzen in einem Duft! Für was spritziges, süßes habe ich derweil keine Nerven. Ich brauch was, was mich mit seiner ganzen Aura eindeckt, mich einhüllt und an einem anderen Ort trägt. Da wo sich die Sonne auch mal den ganzen Tag blicken lässt und ihre Wärme auf das Volk niederschickt.

Als ich das erste mal auf L'orpheline gestoßen bin, musste ich bei dem Namen schmunzeln. Ich erinnerte mich dabei an einem , eher mehr schlechten, als rechten Horrorfilm, der Orphan das Waisenkind hieß. Dennoch habe ich ihn mir angesehen. Vom Ende bis zum Schluss. Wobei der Charakter des Kindes total auf Eiseskälte ausgelegt war. Der ganze Film war vollgepackt von Kühle. Wenn nicht immer gut über die Bühne gebracht. Das ginge viel besser. Aber man nagte an dem Bösewichtkonzept, ohne es aber komplett dem Zuseher zu überbringen.

L'orpheline ist auch ein kühler Duft. Untermauert von kristallklarem Quellwasser, aus dem feinster Moschus hervorquillt. Das Wasser sprudelt nur so dahin. Der Duft gibt sich äußerst bedrohlich, schon beim aufsprühen. Das Mysterium dieses Duftes öffnet sich, wenn feinster Weihrauch die Kulisse sprengt und sich ein ganz sachter Unterton von Würze in den Duft begibt. Als würde jemand ins kühle Nass, einen Tropfen Würze hineingeben. Die Suppe salzen, damit es kräftig im Geschmack wird. Der Duft pendelt nur so dahin. Kühl, dann wird es warm. Dann wiederum kühl. Es lässt einem einen Schauer über den Rücken fahren, wenn man sich den Weihrauch bis zum Anschlag hineinzieht. So einen Duft von Weihrauch , habe ich selten wo wahrgenommen. Fantastische Umsetzung, ohne dabei einen modrigen Kirchengeruch im Nachklang zu haben. Rauch umhüllt einen. Nimmt einen für sich ein. Kalter Rauch, der sich bedrohlich in die Zellen zieht und langsam die Augen verschließen lässt. Es verschlägt einem an Orte, an die man sich niemals gewagt hat. Der Duft wird umwirbelt von einem Hauch von Sand. Er geleitet auf der Haut, zieht sich in alle Ecken und macht einen ganz schön exzentrisch und extravagant.

So riecht nur Gott in Frankreich oder eben auch ein Waisenkind, was bis zum Kern vor Boshaftigkeit nur so glänzt.

Ich bin vollkommen weggetreten. So etwas exzentrisches habe ich schon lange nicht mehr auf der Haut gehabt. Er ist einmalig. Dieser Beton von Quellwasser, aus denen sich verschiedene Noten hinausbewegen, ist wirklich einmalig. Er rinnt - er stockt nie. Er lässt sich förmlich treiben. Von einer höheren Kraft. Das meine Lieben! - Das nenne ich hohe Parfumkunst! Etwas in der heutigen Gegenwart zu schaffen, das es an kaum ein Parfum erinnert. Nicht nur am Rande. Einen Exzentriker zu schaffen, der sich zwischen Kühle und Wärme einpendelt und durch dem der prächtigste Weihrauch fließt, ist wahrlich eine Herausforderung. Etwas Sandelholz vernehme ich mit der Zeit, wodurch das Parfum etwas maskuliner dann erscheint, als es eigentlich schon ist.

Der Duft ist für mich aber dennoch für beide Geschlechter geschaffen. Dieses hin und her pendeln - das könnte man auch den Geschlechtern zu teilen. Dieses Spiel von Kalt und Warm lässt die wenigsten kalt. Dennoch muss ich sagen, das nicht alle Gefallen an ihm finden. Eindruck wird er schinden, aber viele könnten Gefahr laufen, sich in einen Irrgarten zu begeben und daraus nicht mehr hinausfinden. Da er für manche einfach unlösbar erscheinen mag. Der Duft braucht Zeit, Raum und Liebe, damit man ihn kennen lernen kann. Vor allem , aber verstehen. Ein Waisenkind? Ein Einzelgänger? Definitiv ja. Der Name ist perfekt gewählt. Da dachte sich einer, da mach ich ein Parfum, was einem isoliert und nachdenklich macht. Für die innere Balance. Für das eigene ICH.

L'orpheline ist für mich ein ganz klarer Meilenstein aus dem Hause Lutens. Hier kommt wieder diese strikte Linie vom Lutens zum Vorschein. Klarheit wird hier eingepackt, Stil und Erhabenheit. Er hebt sich ab, aber dennoch drückt er keinen nieder, da er sich doch nicht so egoistisch gibt. Auch wenn in meinen Augen und in meiner Nase, da schon auch ein Klang von Egoismus mithallt.

Die Sillage würde ich im Mittelfeld sehen. L'orpheline ist ein Duft, der nur für EINEN gemacht ist. Man sollte sich mit ihm alleine beschäftigen. Das Mysterium selbst lösen. Er ist keiner, der in die Welt hinausgetragen werden will und sich präsentieren will. Das hat er auch nicht nötig. Er sackt in einem ein, lässt sich dort nieder und befriedigt die Sinne. Klarheit schwingt hier immer mit, der sich gut eingebettet sieht in den ganzen Noten. Niemals wird der Duft ins dreckige gezogen. Er sackt auch nicht in die Tiefe. Er hängt förmlich in mir. Im Inneren.

Das ist ein Duft, der einfach für sich selbst sein will. Für sich und seinen Träger. Er ist lange zu vernehmen und schmeichelt der Haut. Bis zu 8 Stunden nehme ich in in voller Fahrt wahr. Erst nach 10 Stunden klingt er langsam ab. Sein Abgang ist genauso exzentrisch , wie sein Aufstieg.

*
Das Leben ist kein intellektuelles Rätsel, das es zu lösen gilt, sondern ein Mysterium, das es zu erfahren gilt.
19 Antworten