Obscene Slut - Nuttendiesel

HeavyAlice
28.02.2024 - 12:00 Uhr
11
Sehr hilfreiche Rezension

Verdammte Vampirtage

Ich war 18 Jahre, noch längst nicht alt genug um aus dem Mädchenalter raus zu sein, aber schon ewig alt genug um mich genau so zu fühlen. Es war dieser Sommer im Jahr 2012, in dem ich erneut abrutschte. Ein kleiner Verlust, ein kleines Lebensereignis was nicht so lief wie geplant reichte aus, um mein heimeliges, düsteres Innenleben aus den Angeln zu reißen und die ohnehin rostigen Scharniere warum umso dankbarer, wenn sie mein dünnes Nervenkostüm nicht mehr halten mussten. Damals war dieses Scharnier erneut Herzschmerz der brutalsten Sorte, den ich auf ungesündeste Art und Weise kompensierte. Schlaf den ganzen Tag, mach Party die ganze Nacht. Niemals alt werden, niemals sterben.

Es macht Spaß ein Vampir zu sein, nicht wahr?

Bis auf das kleine Detail das ich kein Vampir war und das ich für rauschende Partys ein viel zu großer Sozialspastiker war.

Während vor meinem Fenster die staubige Hitze selbst den härtesten Straßenteer zum Schmelzen brachte und die Menschenmassen sich in Zeitlupe wie schwitzende Zombies fortbewegten, lag ich in meinem kleinen Zimmer unserer Erdgeschosswohnung auf meiner Couch und döste zu Serien wie ,,True Blood“ oder auch zu 80er-und 90er Jahre-Klassikern wie ,,Chucky und seine Braut“ oder ,,Carrie- Des Satans jüngste Tochter“. Die Zimmerfenster waren abgedunkelt, damit mich auch ja kein Sonnenstrahl erreichen und mich dran erinnern konnte, das es noch ein Leben außerhalb gab. Das Einzige was ich in mein Zimmer ließ, waren der Sonnenuntergang, der durch meine dunklen Gardinen aus Gazestoff fiel und so wunderbare, blutrote Muster an meine viktorianische Tapete zeichnete. Ich döste niemals ohne eine Flasche Coca Cola, die ich heimlich mit dem teuren Rum mischte, den ich meiner über alles geliebten (Pflege)mama und gleichzeitig Tante damals aus dem Alkoholschrank klaute. Schmeckte mir damals zum Kotzen, aber ich hab mich dabei einfach verboten und ein wenig verrucht gefühlt. Wie Tiffany aus ,,Chuckys Braut“- ein depressives Goth Girl, was tagsüber Cola mit Rum trinkt und nur Nachts erwacht.

Nachts dagegen öffnete ich meine Fenster, die damals von der Decke bis zum Boden reichten, denn der volle Augustmond stand riesig am Himmel und schien direkt zu mir ins Fenster hinein. Ich erinnere mich an die roten Wachskerzen die ich dann anzündete und an die nach Patchouli riechenden Räucherstäbchen, nach denen nicht nur ich, sondern auch meine gesamten Wände und Klamotten rochen. Ich schaute ,,Interview mit einem Vampir“ oder auch ,,Die Königin der Verdammten“. Ich aß nachts. Ich telefonierte nachts mit meinen Freunden,- ebenfalls Nachteulen und Vampire, die damals kaum einen Sinn in ihrem Leben sahen und sich in ihrer Gruft verbarrikadierten. Ich ging nachts mit KoRn auf den Ohren auf dem Spielplatz bei uns, neben dem sich gleich ein Friedhof befand. Und wenn ich doch einschlief, wachten keine Engel, sondern Marilyn Manson, Peter Steele und Trent Reznor über mich, die von meiner Posterwand ausdruckslos auf mich hinabblickten.

Meinetwegen hätte dieser Vampirsommer ewig so weitergehen können,- tat er aber nicht. Das Leben forderte mich und spätestens als ich zu einem Termin an meiner neuen Schule gebeten wurde, musste ich meinen Sarg verlassen und hinaus in die Sommersonne und noch viel schlimmer,- unter Menschen. Wie sollte ich das kontrollieren ohne nicht völlg auszurasten?

Vielleicht habe ich mir das Parfum deshalb bestellt,- zumindest im Unterbewusstsein. Das hier war mein erstes, richtiges, Grufti-Parfum. Ich hatte was das betrifft, nie wirklich hohe Ansprüche- hauptsache, es roch ,,anders“ als der ganze Mainstream-Bubblegum-Kram, der mich in den Drogerien immer halb erschlug.

Ich verliebte mich sofort in die obzöne Schla**e, als ich sie aufsprühte. DAS roch doch mal wirklich anders- kirschig, lakritzig, irgendwie nuklear und nach Massen aus Alkohol, sodass ich ein wenig Angst bekam, das es mir draußen die Rum-Cola ersetzen würde. So wenig Wert ich damals auch auf die Meinung anderer legte, wollte ich dennoch nicht unbedingt betrunken zu meinem Vorstellungsgespräch an der Schule erscheinen.

Das Verknalltsein in die obzöne Schla**e wechselte sofort zu echter Liebe, als meine Pflegemama rief : ,,Was STINKT denn hier so fürchterlich?“

,,IIiiihiiiiich!“, rief ich dann fröhlich und beeilte mich schnell aus der Wohnung zu verschwinden, bevor sie mich mit einem Bebe-Deodorant oder so etwas ähnlichem besprühen konnte.

Da stand ich dann also unten im Treppenhaus vor der Glastür unseres schicken, weißen Neubauwohnhauses und wappnete mich dafür, mitten an einem Sommernachmittag auf Freitag in die Stadt zu müssen, nachdem ich wochenlang in meiner Gruft zwischen schlechten Räucherstäbchen, Kerzen, dunklen Vorhängen, Horrorfilmen und der Musik von Type O Negative gehaust hatte und wo Cola-Rum und Paprikachips meine Grundnahrungsmittel darstellten.

Ich trug eine schwarze Sonnenbrille, meine schwarze kurze Jeansjacke mit diversen Patches und Nieten (das waren noch die Zeiten wo man seine Jacken selbst herstelllte und nicht fertig bei EMP bestellte..) und meine unzähligen Ketten und Ringe. Das Parfum hatte sich mittlerweile bissig an meinem Hals festgesaugt und entwickelte sich zusammen mit meinem Schweiß zu einem bitteren, dunkelvioletten Kirschlikör-Aroma. Der Duft umwehte mich in der Straßenbahn und er schien nicht alle Menschen abzuschrecken- ich konnte zumindest einen Typen ausmachen, der mir begeistert nachblickte und in die Luft schnupperte.

Das Vorstellungsgespräch lief damals trotz meiner bösen Erwartungen überraschend gut.

Und ich denke das war dann auch der Tag, an dem ich beschlossen habe, das ich Alkohol zum Aufsprühen um einiges lieber mag, als diesen in mich reinzukippen.

Kirsche, Lorbeer- du verdammte obzöne Schla**e fehlst mir so unwahrscheinlich!

Genau so sehr wie diese verdammten Vampirtage.
5 Antworten