Intersport
15.03.2024 - 04:05 Uhr
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Top Rezension

Modern Clove

Body Paint war lange ein Phantom; als ich vor gut drei Jahren hörte dass Marc-Antoine Corticchiato ausgerechnet für eine Marke, die mich bis dato (und auch seitdem) nicht sonderlich begeistern konnte etwas Neues entworfen hat, wollte ich diesen natürlich testen: leichter gesagt als getan, so klapperte ich etwa ein Jahr lang einen 'Vilhelm Parfum' point-of-sale nach dem anderen ab, meine Frage nach Body Paint stiess durchwegs auf Verwunderung: nein, noch nie davon gehört, nein, ich meine sicherlich Chicago High aus dem selben Jahr (von dem auch spekuliert wurde es sei ggf. auch von Corticchiato), nein so ein Parfum gäbe es nicht. In einem Geschäft in Wien wurde sogar eine ausgedruckte 'Vilhelm-Bestands & Veröffentlichungs' Liste als quasi offizieller Beweis gezückt: Body Paint gibt es nicht… Was war da los? Ein Duft, obgleich auf der Webseite der Firma gelistet, gänzlich unbekannt in den dedicated Verkaufsstellen!?

Ich weiss es nicht, nur soviel, damit war ich wohl nicht allein, Gentilhomme, ging es anscheinend ähnlich, merci beaucoup für Deine Abfüllung damals, äußerst hilfreich, ich hätte wohl noch weit länger suchen können. Als ich Body Paint schliesslich vor mir hatte, war schnell klar, der Duft ist ein Alien, ein Fremdkörper im Vilhelm'schen Spektrum.

Der Auftakt, eine Mischung aus Lösungsmittel, Wandfarbe und Birne, gemischt mit etwas pflanzlich-gemüse-artigen (angeschnittene grüne und rote Paprika hier), leicht Chlor-artig obendrein. Im Pressetext wurde das Jahr 1988 erwähnt, hier denke ich an die ersten Fassungen Maître Parfumeur et Gantier's Garrigue und dessen leichte Chlor Note, bzw. an die zeitgenössische Interpretation davon, Pluie Noire (2017). Das ganze wirkt wie eine rituell-szenische Reinigung, die sukzessive Platz für eine weit klassischere, aseptische Note macht, hier in Hauptrolle - die Gewürznelke: sehr klar, fast schon monolithisch, dabei ohne die gerne mal mitschwingende orientalistische Wärme, die immer noch präsenten Kopfnoten scheinen der Gewürznelke hier Grenzen zu setzten. Unterstützt wird das von weiteren Gewürzen, für mich eher getrocknete Macis Blüten, als Muskat per se; und doch, eine Art Muskatnote wie sie in den 80'er Jahren das trockene Cacharel pour Homme (1981) ausgiebig zelebrierte, ist nicht ganz abwegig. Weitere Referenzen, die Deutlichste davon vielleicht Comme des Garçons' Guerilla 1 (2008) wo die Kombination von Nelke & Frucht (Birne) plus Champaca und ingesamt dunkleren Gewürzen brillieren konnte. Body Paint bleibt durchgehend transparenter, feiner, ja moderner auf ganzer Linie, eine leicht durchschimmernde Eichenmoss Note verleiht dem Duft im Ausklang eine Seriosität die der initialen Spritzigkeit entgegen spielt, nur auf Stoff bemerke ich am nächsten Tag leichte Kunstholz Rückstände, auf die ich auch hätte verzichten können.

Auch wenn Body Paint bei all diesen Referenzen erst mal recht solitär klingt, musste ich es nach und nach doch in die Nähe einer Spielart Corticchiato'scher Werke setzten: die von mir als Birne/Lösungsmittel bezeichneten Noten, könnten ohne weiteres auch als Eau de Vie, also Hochprozentiges, Gebranntes durchgehen, wie es der Parfumeur erstmals bei dem entzückenden Dreifach-Mastix-Kleinod Corsica Furiosa (2014) vorgestellt hat, später bei dem Ambrette-lastigen Cri de la Lumiere (2017) aufgriff [das wiederum den Ambrette/Schnaps Note von Jacque Polge's großartigen Chanel No 18 (EDT Version !) (2007) weiterspinnt], und die zuletzt in dem lieblicheren, weniger hochprozentigen, aber durch und durch potenten Salute! (2019) zum Einsatz kam. Die Spirituosen Note von Corsica Furiosa könnte als 'organic' Gegenpol zu Body Paint's Lösungsmittel Facette herhalten. Naturgemäss ist so eine Note eher flüchtig, auch insgesamt würde ich das Volumen von der Komposition hier als schmal umschreiben; schnell hautnah, aber ich spüre über Stunden immer wieder Aufleben …

Alles in allem oszilliert Body Paint zwischen der langen Tradition Gewürznelke-lastiger Düfte, früher Comme des Garçons Künstlichkeit und Corticchiato's eigenen Spirituosen Destillaten. Ein modernes, ohne jegliche Zitrik, frisches und irgendwie frühlingshaftes Parfum, sowohl für Nicht-Kostverachter*Innen denen gut umgesetzte Eau de Vie / Lösungsmittel Noten schmecken, wie auch für Neo-Gewürznelke Fetischist*Innen die den Caron'schen Zauber vergangener Dekaden entsagen wollen.
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