Velvet Collection

Liwa 2017 Extrait de Parfum

Epigo
18.10.2022 - 13:26 Uhr
5
Hilfreiche Rezension
9
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft

Reiz und Rührung

Die morgendliche Entscheidung stand bevor: "Welche zwei Düfte teste ich heute?". Meine sortierte Probenmappe beantwortete mir schnell die Frage. Zuerst kam Kashimire dran. Schon beim erstem Schnuppern verlor ich das Interesse, ist es doch eine Oma-artige Rosenseife. "Heute wird es wohl nicht so spannend." dachte sich meine Nase. Als nächstes kam eine Abfüllung dran, die in Kugelschreiberblau mit zarter Handschrift "Liwa - Widian" lesen ließ. Teststreifen beschriften, Kappe auf, Sprühkopf drücken.

Was passiert hier? Ein Blitz durchzog meinen Rücken. Haare stellten sich auf. Gänsehaut. Ich gab meine Nase, doch Liwa nahm meinen ganzen Körper. Kann ein Duft das mit mir machen? Darf er das mit mir machen? Ach Liwa, wie könnte ich ihr bös sein. Gerade las ich noch über die ästhetische Theorie der Parfumerie (z.B. hier https://www.parfumo.de/Benutzer/Louce/Blog) und fragte mich, inwiefern Parüfm Kunst sei. Wie konnte ich nur zweifeln? Die große Erschütterung, die heute so selten in der Kunst sind, passierte mir, einer ungeübten Parfuma.

Erst in der Parfumerie werden Parfüme buchstäblich das sein, was sie sind: eine Signatur der Wirklichkeit durch die Luft, die ihre Spuren von der benetzten Haut hinterlässt. Marvel-Blockbuster gucken oder Arthouse anschauen? Insta-Bilder liken oder durch Vernissagen tappen? Burger essen oder Kulinarik wertschätzen? Verzeiht mir die falschen Dichotomien. Kitsch, Massenprodukte oder Trash werden von vielen gemocht. Liwa mag vielleicht nicht das allgemeine Wohlgefallen auslösen, dafür ist sie viel zu erhaben. Welche Signatur hinterlässt Liwa?

Der zweite Atemzug. Ein lang ersehnter Kuss, der meine Augen glasig werden ließ. Mit jedem Schnuppern an Liwa weiteten sich meine Augen. Ein Kribbeln drängte sich mir auf, zum Duft führend. Ihr süßes Flüstern wurde immer lauter. Aber wo war Liwa? Wo versteckt sie ihren Körper? Ich will sie sehen! Und möge ich von ihrem Antlitz erblinden, so wird es eine gerechte Sache sein!

Liwa erscheint einem. Wie sie erscheint, steht in Widerspruch zu ihr selbst. Wie eine Rauminstallation ist sie nicht greifbar, egal wie lang ich sie erkunde. Dennoch entfaltet sie in meiner Vorstellung ihre sinnlichen Reize , sodass ich von ihr gerührt bin. Für mich ist es die klassische Kunsterfahrung einer ekstatischen Begegnung, eine traszendentalen Erfahrung. Ich wäre Liwa ausgeliefert, würde da nicht der Preis sein.

Hätte ich Liwa nicht kennengelernt, könnt ich mich noch für Supremacy in Oud begeistern. Im direkten Vergleich fehlt es letzterem an Geschick und wirkt künstlich, sogar leicht stechend, was ich bislang nicht vernommen hab. Liwa stößt meine ach so geliebte Ganymede vom Thron, denn ihr Safran wirkt noch sublimer als von diesem Mond.
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