Cuir de Nuit 2019 Eau de Parfum

Pinkdawn
10.09.2021 - 17:55 Uhr
73
Top Rezension
8
Preis
6
Flakon
4
Sillage
6
Haltbarkeit
7
Duft

Die rätselhafte Suggestion des Duftes von Sommerhandschuhleder

Du trittst ein und fühlst dich in einer anderen Welt. Alles ist wie damals, zur Zeit des Fin de Siècle. Marmor, goldenes Messingdekor, schwarzes Bugholzmobiliar, hohe Säulen, reichlich Fenster, ein vornehmes Publikum, das an Kaffeetassen nippt und – die Seele des Cafés: eine blitzende Vitrine voll der köstlichsten Naschereien, Torten, Plundergebäck, Kuchen und Petit Fours, deren liebevoller Fertigung – natürlich aus eigener Patissèrie - man schon ansieht, wie wunderbar sie schmecken werden.

Ein Aufenthalt in einem der ältesten Cafés Wiens, dem Café Central in der City, das es schon seit 1876 gibt, beginnt für mich immer vor dieser Vitrine mit der sorgfältigen Auswahl der Süßigkeiten, auf die man gerade Lust hat, und die man zum französisch ausgesprochenen Kaffee, mit langem E, genießen möchte.

Hier gibt es kein Kännchen Kaffee. Man hält den vielen traditionellen Wiener Kaffeespezialitäten die Treue. Selbstverständlich allesamt mit einem Glas frischem Wiener Hochquellwasser serviert.

Es duftet nach feinster Vanille, edler Schokolade, Kakao und Kaffee.

Cuir de Nuit erinnert mich sofort an dieses alte, elegante Kaffeehaus im Palais Ferstel, das einstens ein luxuriöser Banktempel war.

Es ist sehr lange her, dass ich mir ein Parfum von Yves Rocher gekauft hab. Normalerweise treibe ich mich eher im Nischensegment herum. Warum ich hier eine Ausnahme gemacht hab?

Die trendigen Lederdüfte beginnen mich mehr und mehr zu interessieren. Ich meine jetzt nicht die gediegenen Lederdüfte der alten Herrenparfums und auch nicht die sexy Lederdüfte der Dominas. Nach verschwitzten Bikerjacken steht mir ebenfalls nicht der Sinn. Ich meine feines Rauleder, hauchzart, hell und dünn wie die feinen Damenhandschuhe, die früher das Outfit der Frau von Welt perfekt machten.

Dann kam eins zum anderen: Ein 5-Euro-Gutschein für Yves Rocher samt kostenlosem Versand flatterte mir zu. Die Chance wollte ich nicht ungenutzt lassen. Selbstredend fing ich bei den Düften zu suchen an – und stieß auf La Collection, eine Serie von Eau de Parfums, bestehend aus Garden Party, einem Rosen-Minze-Duft von Marie Salamagne, Matin Blanc, einem frischen Bergamotte-Orangenblüte-Duft von Fabrice Pellegrin, Autour de Minuit, einem sinnlichen Duft von Amadine Clerc-Marie, Sel d’Azur, einem Duft aus zitrischen Noten und Zeder von Marie Salamange, Voile d’Ocre, einem würziger Orientale von Ane Ayo und Fabrice Pellegrin, Plein Soleil, einem betörenden Tropenduft von Fabrice Pellegrin, Tropical Tentation, auch einem Tropenduft von Amandine Clerc-Marie, Sable Fauve, einem warmen Wüstenduft von Marie Salamange, Nouveau Genre, einem Patch von Marie Salamange und eben Cuir de Nuit von Amandine Clerc-Marie. Diese bekannte Parfümeurin hat für viele bedeutende Marken Düfte kreiert, darunter etwa Kenzo, Chloé, Lalique, Mugler, Marc Jacobs und Lancome.

Normalerweise halte ich mich von Düften, die Nacht – in allen Sprachen -, Geheimnis, Zauber, Liebe, Verführung, hypnotisch usw. in ihren Namen tragen, aus gutem Grund fern.
Hier hat mich das Leder fasziniert. Eine Ledernote ist zwar nicht enthalten, aber es ist von „dunklen Facetten“ die Rede, „die fast so animalisch sind wie Leder“. Nun ja.

In dem kurzen Werbetext auf der Website von Yves Rocher, der auf den Mainstream abzielt und dem Duft eigentlich nicht gerecht wird, muss man ehrlich sagen, wird zielgruppenadäquat, wie das im Fachjargon so schön heißt, zweimal erwähnt, dass der Duft süchtig macht bzw. machen soll. Beschrieben wird Cuir de Nuit noch dazu als „Ursprung einer Sehnsucht“ – was immer das bedeuten soll. Der Duftcharakter ist mit „sinnliche Vanille“ umschrieben. Nun ja.

Cuir de Nuit hätte nicht nur eine etwas weniger populistische Beschreibung verdient, sondern auch einen anderen Namen. Cuir de Nuit, "Nachtleder", ist nicht besonders glücklich gewählt. Der Duft enthält wie gesagt keine Ledernoten und sehr nächtlich - im Sinne von erotisch oder sinnlich - erscheint er mir auch nicht.

Trotzdem hab ich mich für ihn entschieden, weil ich mich infolge der kühler werdenden Tage plötzlich nach Vanille sehne, und mich diese Illusion von Leder interessiert.

Der Duft überrascht anfangs mit einer deutlichen Note rosa Pfeffer. Ich war auf Vanille eingestellt und nicht auf diesen fast etwas stechenden Pfeffer. Das war neu für mich bei einem Vanilleduft. Doch diese wilde Phase dauert nicht lang. Sehr bald gibt sich der Duft so, wie erwartet: sanft und wärmend.

Die Vanille erscheint hier dunkel, trocken und unsüß. Gefällt mir. Da ist nichts Klebriges, Picksüßes, Kitschiges. Es ist eine moderne Vanille. Trotzdem hat sie ihre tröstlichen, warmen, beruhigenden Attribute behalten. Auch das finde ich gut.

Gourmandig wirkt der Duft schon, aber in einer neuen, weniger süßen Art. Der Kakao verbreitet bittersüßen, feinherben Charme und passt perfekt zur Vanille, die allmählich in ihre pudrig-saubere Phase tritt. Gemeinsam mit den aromatischen Kakao- bzw. Schokonoten verbreitet sie Wohlgefühl, Geborgenheit und etwas tröstlich Einhüllendes.

Der cremige Duft hat etwas Einschmeichelndes, Wohliges, aber auch Geheimnisvolles, weil die Vanille eben sehr selbstbewusst und „anders“ als gewohnt auftritt. Dass sie trotzdem so weich und feminin ist, macht den Reiz aus.

Zu den Geheimnissen von Cuir de Nuit zählt für mich außerdem ein merkwürdiges Phänomen: Wenn ich mich bewege und mich ein Hauch des Duftes streift, hab ich sehr oft das Gefühl, Kokos zu erschnuppern. Ist so. Auch wenn ich es mir nicht erklären kann.

Die Haltbarkeit ist nicht endlos, aber akzeptabel. In seiner letzten Phase wirkt der Duft ein wenig synthetisch süß. Stört aber nicht.

Die Sillage empfinde ich nicht als intensiv. Stört mich ebenfalls nicht. Denn das macht den Duft unaufdringlich, alltagstauglich und vielseitig tragbar.

Als dezenter Herbst- und Winterduft – das ist Cuir de Nuit für mich – um wohlfeile, rabattierte € 25,- für 100 ml ist dieses EdP eine willkommene Ergänzung und Abwechslung zu meinen zahlreichen anderen Düften für die kühle Jahreszeit.

Natürlich kann das Parfüm in seinem schlichten, gefälligen Flacon nicht mit teuren Düften wie meinem derzeitigen Liebling Baccarat Rouge von MFK oder den Ouds dieses Hauses mithalten.

Das hab ich auch nicht erwartet.

Ob ich es mir nun einbilde oder tatsächlich wahrnehme: Die Suggestion von Leder nehme ich wirklich wahr. Freilich nicht als „animalisch“ wie in der fragwürdigen Beschreibung des Herstellers zu lesen, sondern verhalten, zart und hell wie bei Sommerhandschuhen aus dünnem Ziegenleder. Das hat mich überzeugt und immerhin neugierig auf andere „Lederdüfte“ der feinen Art gemacht.

Meinen nächsten Kandidaten hab ich bereits ersoukt – angesichts des Preises vorerst als Abfüllung. Es ist kein Geringerer als das berühmte Cuir Beluga von Guerlain, das in einer ganz anderen Kategorie spielt. Ich freue mich schon auf den Test.
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