Candemir

Gaukeleya
15.02.2023 - 07:59 Uhr
22
Top Rezension
5
Flakon
4
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft

Irgendwas mit arte und Duft

Berlin de Vous ist vielleicht so etwas wie der arte-Kanal der Parfümerie. Eine deutsch-französische Zusammenarbeit, eher überschaubar gehalten und "mit Anspruch", also für die "bewusste", reflektierte Käuferschaft, die Nachhaltigkeit, liebevoll Ausgestattetes, Kenntnichtjeder und Magauchnichtjeder, vielleicht auch Verstehtnichtjeder mag.

Die Nase hinter den bisher nur drei erschienenen Düften der kleinen Manufaktur, die auf hochwertige und überwiegend natürlich Rohstoffe setzt, ist Marie Urban LeFebvre, die uns als kreativer Kopf ihrer eigenen Marke Urban Scents bekannt ist.

Candemir flog mir zufällig zu, er wurde mir gleichsam empfohlen von der interessierten und ganzheitlich orientierten Inhaberin eines kleinen Kosmetik- und Duftlädchens in Berlin-Mitte. Als ich Candemir testete, dachte ich seltsamerweise direkt an die mir bekannten Arbeiten von Marie Urban, so beiläufig, so lässig, so tragbar, aber auch hintergründig aussergewöhnlich, wie er mir vorkam (ich gebe zu, ich war ein kleines bisschen stolz, als ich hörte, dass sie tatsächlich die Parfumeurin hinter Candemir ist)

Gleich vorweg: wer ein Statement setzen möchte mit seinem Duft, ist hier nicht richtig. Candemir ist so einer, der sich eng anschmiegt und keine Schleppe verbreitet. Das muss man schon wollen, vor allem in diesem Preissegment. Ich kann es definitiv verstehen, wenn man das nicht möchte. Glücklicherweise möchte ich persönlich das in der Regel aber schon, oder auch: es passt in mein olfaktorisches Beuteschema.

Er startet kurz kristallin-zitrisch-orangig und erinnert mich an diese Traubenzuckerpakete zum Lutschen. Also schon süsslich, aber auch etwas kratzig, zitrisch-minzigscharf-würzig. Es folgt ein stufenloses, smoothes Weitergleiten in immer mehr Lieblichkeit und Wärme, ohne Wucht oder Aufdringlichkeit, ganz fein, so, als würde man sich über das dünne Seidenhemdchen ein dünnes Kaschmirjäckchen anziehen. Um später noch in einen weichen, leichten, aber kuscheligen Kaschmirmantel zu schlüpfen. Vielleicht schnuppere ich unterwegs noch diffuses Holz, aber eigentlich kann ich gar nichts klar ausmachen. Die Ingredienzen sind vollkommen in einer harmonischen Einheit aufgegangen.

Candemir wirkt in der Tat natürlich für mich. Warm, süsslich und leicht pudrig, vielleicht auch fellartig, nachdem er zunächst etwas kühl-distanziert wirkte. Trotzdem ist er kein winterlicher Schmuser. Seine Ausstrahlung hat etwas Heiteres, Leichtes, Milchiges, fast schon Sommerliches. Und *ich* trage den Duft, nicht er trägt mich.

Es gibt sicher Düfte - auch aus meiner eigenen Sammlung - die mein Blut mehr ins Rauschen bringen. Aber gerade im Moment rauscht (mir) die Welt schon laut genug, so dass dieser gelassene, raffiniert-simple, unprätentiöse und trotzdem nicht langweilige Duft mir ein wohltuendes, schickes Mäntelchen in fast allen Lebenslagen bedeutet.
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