Gaukeleya

Gaukeleya

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1 - 5 von 109
Gaukeleya vor 1 Jahr 22 27
5
Flakon
4
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft
Irgendwas mit arte und Duft
Berlin de Vous ist vielleicht so etwas wie der arte-Kanal der Parfümerie. Eine deutsch-französische Zusammenarbeit, eher überschaubar gehalten und "mit Anspruch", also für die "bewusste", reflektierte Käuferschaft, die Nachhaltigkeit, liebevoll Ausgestattetes, Kenntnichtjeder und Magauchnichtjeder, vielleicht auch Verstehtnichtjeder mag.

Die Nase hinter den bisher nur drei erschienenen Düften der kleinen Manufaktur, die auf hochwertige und überwiegend natürlich Rohstoffe setzt, ist Marie Urban LeFebvre, die uns als kreativer Kopf ihrer eigenen Marke Urban Scents bekannt ist.

Candemir flog mir zufällig zu, er wurde mir gleichsam empfohlen von der interessierten und ganzheitlich orientierten Inhaberin eines kleinen Kosmetik- und Duftlädchens in Berlin-Mitte. Als ich Candemir testete, dachte ich seltsamerweise direkt an die mir bekannten Arbeiten von Marie Urban, so beiläufig, so lässig, so tragbar, aber auch hintergründig aussergewöhnlich, wie er mir vorkam (ich gebe zu, ich war ein kleines bisschen stolz, als ich hörte, dass sie tatsächlich die Parfumeurin hinter Candemir ist)

Gleich vorweg: wer ein Statement setzen möchte mit seinem Duft, ist hier nicht richtig. Candemir ist so einer, der sich eng anschmiegt und keine Schleppe verbreitet. Das muss man schon wollen, vor allem in diesem Preissegment. Ich kann es definitiv verstehen, wenn man das nicht möchte. Glücklicherweise möchte ich persönlich das in der Regel aber schon, oder auch: es passt in mein olfaktorisches Beuteschema.

Er startet kurz kristallin-zitrisch-orangig und erinnert mich an diese Traubenzuckerpakete zum Lutschen. Also schon süsslich, aber auch etwas kratzig, zitrisch-minzigscharf-würzig. Es folgt ein stufenloses, smoothes Weitergleiten in immer mehr Lieblichkeit und Wärme, ohne Wucht oder Aufdringlichkeit, ganz fein, so, als würde man sich über das dünne Seidenhemdchen ein dünnes Kaschmirjäckchen anziehen. Um später noch in einen weichen, leichten, aber kuscheligen Kaschmirmantel zu schlüpfen. Vielleicht schnuppere ich unterwegs noch diffuses Holz, aber eigentlich kann ich gar nichts klar ausmachen. Die Ingredienzen sind vollkommen in einer harmonischen Einheit aufgegangen.

Candemir wirkt in der Tat natürlich für mich. Warm, süsslich und leicht pudrig, vielleicht auch fellartig, nachdem er zunächst etwas kühl-distanziert wirkte. Trotzdem ist er kein winterlicher Schmuser. Seine Ausstrahlung hat etwas Heiteres, Leichtes, Milchiges, fast schon Sommerliches. Und *ich* trage den Duft, nicht er trägt mich.

Es gibt sicher Düfte - auch aus meiner eigenen Sammlung - die mein Blut mehr ins Rauschen bringen. Aber gerade im Moment rauscht (mir) die Welt schon laut genug, so dass dieser gelassene, raffiniert-simple, unprätentiöse und trotzdem nicht langweilige Duft mir ein wohltuendes, schickes Mäntelchen in fast allen Lebenslagen bedeutet.
27 Antworten
Gaukeleya vor 2 Jahren 72 39
8
Flakon
5
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft
Kaltes, klares Wasser
Als ich L´Eau Froide das erste Mal erschnupperte, hatte ich sofort die Chicks on Speed mit ihrem 2001er Remix von Malarias Kracher "Kaltes Klares Wasser" aus dem Jahre 1981 im Ohr. Und den entsprechenden Clip dazu vor Augen. Also sozusagen ein in sich verschmolzenes Sinnestrio.

Dabei empfinde ich L´Eau Froide noch nicht einmal als *so* sehr kalt. Eher als lau-kühl, auf jeden Fall aber ist es bewegtes Wasser, entweder aus der Duschbrause, auf die hellen, glatten Fliesen prasselnd, den Geruch der derben, metallenen Armaturen mitnehmend, aus denen es strömt.
Oder ist es eher doch ein reissender, zischender Gebirgsbach, der über scharfkantiges, glitzerndes Gestein hinwegbraust und schillernde Mineralien aus den Felsen mitreisst?

Zunächst ist es durchaus kalt, dann aber schnell weicher und diskret süsslicher werdend, sich aufwärmend auf der Haut, die mit diesem Wasser in Berührung kommt:
prasselt mir die laukalte Dusche gänsehautig auf den Rücken oder halte ich meinen Arm in den brausenden Gebirgsbach, während die Sonne die aufwirbelnden Tropfen wie scharfglitzernden Diamantstaub - oder halt Mineralien - abbildet? Die Haut wärmt das Wasser, das Wasser kühlt die Haut.

All das rieche ich in L´Eau Froide. Dass der Duft hochgradig synthetisch daherkommt, stört mich kein Stück. Ambroxan & Co.: Fehlanzeige. Serge Lutens hat es hier phantastisch hinbekommen, eine olfaktorische Idee sehr zutreffend bild- und sinnesstark wiederzugeben. Sowas ist ansprechende und doch tragbare Duftkunst für mich. Und obwohl ich alles durchaus nachvollziehen kann, was in der Duftpyramide steht, ergibt sich für mich doch nur eines: kaltes, klares Wasser.

Das ist für mich der perfekte Sommerduft. Kokos, Tropic, Sonnencreme, Pina Colada, Limette & Co. können gern in der bunten Beachbag anderer Leute verschwinden. Ich gehe dann mal derweil im Labor duschen oder im schroffen Gebirgsbach baden.

Spassbefreit ist das alles für mich übrigens gar nicht, auch wenn es so klingen mag: ein klarer Kopf macht mehr Freude als man denken könnte. Auch anderen übrigens.

Klirr!!
39 Antworten
Gaukeleya vor 2 Jahren 46 27
7
Flakon
8
Sillage
7.5
Duft
Das Metallschwein
Wann ich das erste Mal First geschnuppert habe, weiss ich gar nicht mehr. Aber trotz seiner üppigen Duftpyramide und des Selbst-nie-einen-Flakon-gehabt-habens ist er heute noch präsent in meiner Nase. Einzelne Komponenten herauszuriechen war mir schon damals unmöglich, es ergibt sich - wie bei so vielen klassischen Topkreationen - ein Gesamwerk, eine Komposition, die nicht gut zerpflückt und analysiert werden kann und sollte, sondern um Hingabe bittet.

Blumig ist mein Haupteindruck. Sehr blumig. Und etwas fruchtig. Strahlend. Moosig. Ladylike. Juwelesque und "teuer". Ein Duft für eine erwachsene, reife Frau, elegant, klassisch bis konservativ. Ein bisschen madamig ist er schon auch.

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Ende der 90er erlebte ich meine persönliche Sturm-und-Drang-Zeit, die in Form der Person eines Plattenverkäufers und DJs, nennen wir ihn S., begann. In einem hippen, kleinen Plattenladen, in den ich mich als Kundin eines Tages mal wagte ("habt Ihr was von Gus Gus?") begegnete ich ihm. Etwas jünger als ich, rebellisch, leicht ungepflegt, "freakig" und vom selbem Musikgeschmacke wie ich damals, fühlte ich mich recht angezogen von ihm. Oder besser: vielmehr von der aufregenden Welt, die er für mich verkörperte. Er fand mich - eine so brave, spiessige Frau! - auch gut, liess er mich spüren, das beflügelte mich natürlich.

Eines Tages sassen wir nach seinem Feierabend noch im Café und plauderten. Er erzählte von einer Verflossenen oder irgendwie Angebeteten - genau weiss ich es nicht mehr -, einer Frau, so seine Worte, "älter als ich", einer "faszinierenden Frau". Ich war ein bisschen eifersüchtig und schämte mich sofort für mein inneres Spiessertum. Dann sagte er: "Sie trug immer ein Parfum, das hiess First von ... Cleef oder so. Hocherotisch, dieses Parfüm, total toll."

Ich kannte First schon zu dem Zeitpunkt und war sehr überrascht. *Dieser* Mann und *dieser* Duft...? Wie konnte das zusammenpassen? Dieser junge, fusselige Typ in seinem ungewaschenen, an ihm festgewachsenen Strickpulli, den zerlöcherten Schuhen vom Flohmarkt, der nach Peru auswandern wollte, und zwar ganz bald ("weg von all dem Konsumwahn"), der Typ, der allen Ernstes solche Sätze sagte wie: "Ich photographiere gern alte Industrie- und Hafenanlagen, und ich weiss auch warum: ich bin nämlich ein Metallschwein im Chinesischen Horoskop, da habe ich einen instinktiven Hang zu Metall" - fühlte sich erotisiert vom eleganten, femininen, konventionell-klassisch-blumigen First...? Mir kamen seine Worte damals wie eine irritierende Adelung des Duftes vor, den ich bis dahin als ein bisschen zu ladylike-bourgeois abgetan hatte, gerade auch jetzt, wo ich auf dem Highway weg von der Bürgerlichkeit hin zur hippen Coolness war.

Was aus Metallschwein-S. wurde, weiss ich nicht. Aus uns wurde auch nichts richtig, aber darum ging es mir eigentlich auch damals schon nicht wirklich. Ich liess vielmehr ein Stück weit mein bis dahin schüchternes, angepasstes, braves Ich hinter mir und ging fortan neue Wege - dies war für mich die Essenz unserer Begegnung, an die ich heute amüsiert und zufrieden zurückdenke, ohne einen Anflug von Wehmut.

Heute, ein Vierteljahrhundert später, steht mir First immer noch nicht. War ja auch klar: mit Metallschweinen kann ich nämlich nicht gut. Sagt mein Horoskop.
27 Antworten
Gaukeleya vor 2 Jahren 39 33
7
Flakon
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Sillage
6
Haltbarkeit
9
Duft
Wenn ich so liege, gehts
... seufzt Sympathieträger Kermit, der Frosch, auf einem älteren Fun-Meme, das eine Zeit lang durch das Netz geisterte. Rücklings auf dem Bett liegend, seine dünnen grünen Ärmchen weit ausgebreitet, seine Beinchen aufgestellt: Schonhaltung für Rücken, Bauch und Kreislauf, das weiss der medzinisch bewanderte Mensch natürlich, und vermutlich auch Schonhaltung für die Nerven.

Seit ein paar Wochen schon war ich auf der Suche nach dieser olfaktorischen Schonhaltung. Lavendel vielleicht, denn die beruhigende Wirkung von Lavendel ist bekannt. Genau das brauche ich jetzt.

Doch dass Lavendel nicht gleich Lavendel ist, muss ich hier niemandem erzählen. Meine Versuche diesbezüglich (wenn auch nicht zu umfangreich bisher) endeten zumeist mit Gemäkel meinerseits: zu krautig-streng. Daddymässig-altbacken. Mottensäckchen. Oder, noch schlimmer: süsses Gummi (leider eine weit verbreitete Form von Lavendelduft, auch bei Duschgel & Co.). Dass mir ausgerechnet dieses - mir bis dato unbekannte, sehr günstige Cologne - all das gibt, was ich mir lavendelduftmässig gewünscht hatte, ist eine sehr angenehme Überraschung (auch & vor allem für meinen Geldbeutel).

Zum Duft selbst habe ich gar nicht viel zu sagen. Es ist ... Lavendel. Nur halt eben perfekter Lavendel, sanft kräuterig-zitrisch abgeschmeckt und mit fortschreitender Aufwärmung durch die Haut weich-skinnig-warm werdend, ohne diese süsse Gumminote zu entwickeln. Und dies auch noch mit passabler Projektion und Haltbarkeit, die ich dem Cologne gar nicht zugetraut hätte.

Es riecht nach warmer Sommerhaut, nach unbeschwerten Ferientagen der Kindheit, nach Bei-Oma-sein auf dem Lande, nach Lange-aufbleiben-dürfen, nach Sich-um-nichts-kümmern-müssen, nach Keine-Angst-haben, halt nach all der Sorglosigkeit des damaligen Daseins, das schon lange nicht mehr ist.

Ich brauche das jetzt. Und sei es nur für ein paar Momente, in denen mich Lavande Sauvage umweht und meinen Nerven etwas Gleitmittel zur Bewältigung der gewesenen, bestehenden und vor allem all der kommenden Sorgen gibt.

Wenn ich so schnuppere, gehts. Kermit würde mir zustimmen.
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Gaukeleya vor 2 Jahren 73 50
Die Fichtennadel überwinden
Zu Nadelgehölzduft, insbesondere Fichtennadel, habe ich ein zwiespältiges Verhältnis. Zwei wichtige, emotional gegensätzliche olfaktorische Erfahrungen sollen dies veranschaulichen.

1) Zu einer der Päppelungmassnahmen in meiner Kindheit - ich war immer überzart, besonders im Winter - gehörten neben der Einnahme von Stärkungsmitteln und Lichtduschen per Höhensonne bei meinem Kinderarzt auch muckelig warme Wannenbäder.

Meine Mutter war der Überzeugung, dass Kräuterbäder besonders effektiv seien und setzte als Badezusätze für mich wahlweise ein:

- Rosmarin zur Stärkung meines schwachen Kreislaufs
- Melisse zur Stärkung meines überempfindlchen Nervensystems
- Eukalyptus zur Erkältungsbekämpfung
- Tanne zur --- ja, für was eigentlich?? Ich weiss es nicht. Nur, dass ich darin auch baden sollte und es gern tat.

Das sind schöne, wärmende Erinnerungen.

2) Es gab da diesen einen Patienten, den Rentner Herrn R., einen Weltkriegsveteranen, zu einer Zeit, als einige Weltkriegsveteranen noch lebten. Ein wortkarger, unfreundlicher, gar finster wirkender Mann, der aus dem Krieg wohl nie richtig heimgekehrt war. Seiner Akte entnahm ich, dass er immer noch unter einem Granatsplitter leiden würde, der seit dem Krieg noch weiterhin durch sein Gehirn wanderte.

In seinen schweren, fast bodenlangen, schwarzen, knarrenden Ledermantel gehüllt, der ungute Assoziationen hervorrief, schnarrte er: "Ich bitte um eine Verrorrrdnung über meine Fichtennadelbäderrr." Auch hier blieben unschöne Assoziationen nicht aus.
Noch lange, nachdem er die Praxis verlassen hatte, hing in der Luft der Geruch von Fichtennadelessenz.

Das sind eher unangenehme Erinnerungen.

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Peau d´Ambre macht es mir leicht, mich auf meine wärmenden Nadelholzerinnerungen aus der Kindheit zu besinnen. Der Tannenbalsam ist der rote Faden, das Gerüst, auf dem der gesamte Duft aufgebaut ist. Doch das Gerüst wird hier wärmend und fein umfüttert von lieblichem Holz, sanftem Rauch, mildem Harz und goldenem Amber.

Das goldene Leuchten oszilliert auf der Haut, mal ist es mehr trocken und herb, dann wieder honigmilchig-süsslich. Zum Ende hin, kaum überraschend, obsiegt die warme Lieblichkeit, ohne das balsamische Nadelhölzchen je vollständig verglimmen zu lassen. Die Schärfe des Tannenbalsams wird so gekonnt ambriert abgepuffert, dass ich keine medizinschen Verrorrrdnungsassoziationen entwickele, sondern fast schon eine sinnliche Noblesse verspüre.

Gerade an ungemütlichen, düsteren Novembertagen wärmt er mir mit seiner schönen Balance aus wohligem Herbstabend und trostreichem Waldambiente Herz & Seele, lässt mich in Wohlsein baden wie einst die kleine Gauklerin in der warmen Kinderwanne.
50 Antworten
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