20.07.2025 - 08:38 Uhr

ElAttarine
85 Rezensionen

ElAttarine
Top Rezension
39
Grün-barocke Allegorie des Trotzes
Wenn die Gestalt mit der überbordenden barocken Maske die Bühne betritt, hängen alle Augen an ihr. Sie trägt Grün in allen Schattierungen und dazu etwas Rosa, Gehrock und ausladender Kopfschmuck sind besetzt mit grünen Blättern, grünen Federn, herabhängenden Fäden, abstehenden grünstacheligen Kressestängeln und den unwahrscheinlichsten Blüten, schillernd, metallisch glänzend, leuchtend, gekrönt von einer grünen Artischocke. Gleichzeitig ist sie von grünbitterem Rauch umgeben. Sie setzt sich auf einen Thron aus stacheligen gestrüppigen Rosenranken und hält einen üppigen Strauß Chrysanthemen vor ihrem Herzen, deren zart-melancholischer Duft immer wieder für kurze Momente wahrnehmbar wird. Die bittergrüne Maske schützt die verletzliche Chrysanthemenherzhaut.
Und hier gibt es viel Zartes zu schützen! Wie bei Magdalena, die Jesus bei ihrer ersten Begegnung mit einem Öl aus Narde, Thymian und Sandelholz gesalbt hat – und deren kluges und liebendes Herz in späteren Darstellungen so verzerrt und verleumdet wurde. Das muss schmerzen wie das herb-bittere Nardenöl, ach, könnte sie doch heute dazu sprechen, trotzig und wütend über diese Ungerechtigkeit, sie würde den Salbölflakon allen vor die Füße werfen und zerschmettern, der Duft würde allen in die Nase steigen, grünstängelsüßlich-würzig-stachelig, sinnlich, liebevoll und klug-artifiziell zugleich, die barocke Allegorie dieser so begründeten trotzigen Wut!
-----
„Spite“ ist schwer zu übersetzen. Trotz, Bockigkeit, Bosheit, Boshaftigkeit, Gehässigkeit, Tücke sind oft genannte Optionen. Ich denke, Carter Weeks Maddox von Chronotope wird hier am ehesten an Trotz gedacht haben, der manchmal allzu berechtigt ist, wenn es darum geht, das liebende und damit immer auch verletzbare Herz zu schützen. Auf der Homepage beschreibt er den Duft als fiktives Zusammentreffen einer Gruppe trotziger Geister: Shakespeares Crossdresserin Viola, dann Cynara, die Sterbliche, die Zeus in eine Göttin verwandelte und als seine Geliebte auf den Olymp holte, bevor er sie gewaltsam zurück auf die Erde stürzte, wo sie sich in eine Artischocke verwandelte, frisch und grün, doch seltsam duftend und etwas fruchtig, und mit kleinen Stacheln, um ihr verletztes Herz zu schützen, dann Oscar Wilde, der eine grüne Nelke am Revers trägt, und schließlich die biblische Figur Magdalena, die Jesus mit Öl aus Narde, Thymian und Sandelholz gesalbt hat. Carter Weeks Maddox schreibt, „sie treffen sich unter einem Spalier, das von Jasminranken überwuchert ist, die sich wie Synapsen miteinander verflechten und verbinden“ – und genau das macht dieser Duft auch.
-----
Der Dufteindruck liegt irgendwie in der Mitte zwischen Pekjis "Yes, please!" mit seiner schräg-bipolaren Süße und Szechuanpfeffer einerseits und dem so sinnlich-artifiziellen "Bosque" von H&G mit der menschelnden Grapefruit, Vetiver und starkem Grün andererseits. Beim ersten Test hätte ich gewettet, dass hier auch Szechuanpfeffer drin ist. Das muss die Mischung aus Gewürznelke, Muskat und Piment mit der Chrysantheme und vielleicht noch der Pfingstrose sein. Dann ist er aber doch noch harziger, bitterer, rauchiger. Je nach Temperatur und Luftfeuchtigkeit fällt er bei mir verschieden aus: Bei Wärme ist er grün-süßer, bei etwas kühlerem, feuchterem Wetter getestet, ist er bei mir von Anfang an deutlich rauchiger, und der Weihrauch mischt und überkreuzt sich mit dem grünbitteren Eindruck.
Überhaupt ist das genial gemacht, wie sich hier alles gegen- und wechselseitig verstärkt und überlagert und immer wieder neue ziemlich irre Überkreuzungen produziert. Da ist etwas Frisch-Grünes, aber wie seltsam gestört durch etwas Herb-Fruchtiges (Guave). Am herb-erdigen Duft der indischen Narde wird durch den Zusammenklang mit Sandelholz das süßlich-holzig-Bittere hervorgehoben. Die deutliche Kapuzinerkresse fängt in der Überlagerung mit den blumigen Noten hier und da an, grün aufzuleuchten und zieht sich wieder zurück. Noch viele solcher Wechselwirkungen ließen sich hier aufzählen – toll, gemacht, wie sich das alles gegenseitig verstärkt und überlagert, und gar nicht so nicht leicht zu entziffern. Zuletzt meldet sich Galbanum nochmal recht bitter, fast teerig, im Drydown zurück.
Das ist klug, sinnlich, körperlich, artifiziell, barock, überbordend, stachelig, grün-süß, rauchig, bitter. Es lässt sich kaum besser sagen als mit Floyds Wort „shisophren“ (danke Dir nochmal für die Probe!).
Und hier gibt es viel Zartes zu schützen! Wie bei Magdalena, die Jesus bei ihrer ersten Begegnung mit einem Öl aus Narde, Thymian und Sandelholz gesalbt hat – und deren kluges und liebendes Herz in späteren Darstellungen so verzerrt und verleumdet wurde. Das muss schmerzen wie das herb-bittere Nardenöl, ach, könnte sie doch heute dazu sprechen, trotzig und wütend über diese Ungerechtigkeit, sie würde den Salbölflakon allen vor die Füße werfen und zerschmettern, der Duft würde allen in die Nase steigen, grünstängelsüßlich-würzig-stachelig, sinnlich, liebevoll und klug-artifiziell zugleich, die barocke Allegorie dieser so begründeten trotzigen Wut!
-----
„Spite“ ist schwer zu übersetzen. Trotz, Bockigkeit, Bosheit, Boshaftigkeit, Gehässigkeit, Tücke sind oft genannte Optionen. Ich denke, Carter Weeks Maddox von Chronotope wird hier am ehesten an Trotz gedacht haben, der manchmal allzu berechtigt ist, wenn es darum geht, das liebende und damit immer auch verletzbare Herz zu schützen. Auf der Homepage beschreibt er den Duft als fiktives Zusammentreffen einer Gruppe trotziger Geister: Shakespeares Crossdresserin Viola, dann Cynara, die Sterbliche, die Zeus in eine Göttin verwandelte und als seine Geliebte auf den Olymp holte, bevor er sie gewaltsam zurück auf die Erde stürzte, wo sie sich in eine Artischocke verwandelte, frisch und grün, doch seltsam duftend und etwas fruchtig, und mit kleinen Stacheln, um ihr verletztes Herz zu schützen, dann Oscar Wilde, der eine grüne Nelke am Revers trägt, und schließlich die biblische Figur Magdalena, die Jesus mit Öl aus Narde, Thymian und Sandelholz gesalbt hat. Carter Weeks Maddox schreibt, „sie treffen sich unter einem Spalier, das von Jasminranken überwuchert ist, die sich wie Synapsen miteinander verflechten und verbinden“ – und genau das macht dieser Duft auch.
-----
Der Dufteindruck liegt irgendwie in der Mitte zwischen Pekjis "Yes, please!" mit seiner schräg-bipolaren Süße und Szechuanpfeffer einerseits und dem so sinnlich-artifiziellen "Bosque" von H&G mit der menschelnden Grapefruit, Vetiver und starkem Grün andererseits. Beim ersten Test hätte ich gewettet, dass hier auch Szechuanpfeffer drin ist. Das muss die Mischung aus Gewürznelke, Muskat und Piment mit der Chrysantheme und vielleicht noch der Pfingstrose sein. Dann ist er aber doch noch harziger, bitterer, rauchiger. Je nach Temperatur und Luftfeuchtigkeit fällt er bei mir verschieden aus: Bei Wärme ist er grün-süßer, bei etwas kühlerem, feuchterem Wetter getestet, ist er bei mir von Anfang an deutlich rauchiger, und der Weihrauch mischt und überkreuzt sich mit dem grünbitteren Eindruck.
Überhaupt ist das genial gemacht, wie sich hier alles gegen- und wechselseitig verstärkt und überlagert und immer wieder neue ziemlich irre Überkreuzungen produziert. Da ist etwas Frisch-Grünes, aber wie seltsam gestört durch etwas Herb-Fruchtiges (Guave). Am herb-erdigen Duft der indischen Narde wird durch den Zusammenklang mit Sandelholz das süßlich-holzig-Bittere hervorgehoben. Die deutliche Kapuzinerkresse fängt in der Überlagerung mit den blumigen Noten hier und da an, grün aufzuleuchten und zieht sich wieder zurück. Noch viele solcher Wechselwirkungen ließen sich hier aufzählen – toll, gemacht, wie sich das alles gegenseitig verstärkt und überlagert, und gar nicht so nicht leicht zu entziffern. Zuletzt meldet sich Galbanum nochmal recht bitter, fast teerig, im Drydown zurück.
Das ist klug, sinnlich, körperlich, artifiziell, barock, überbordend, stachelig, grün-süß, rauchig, bitter. Es lässt sich kaum besser sagen als mit Floyds Wort „shisophren“ (danke Dir nochmal für die Probe!).
34 Antworten