Genie und Wahnsinn? - Kinski als Parfum

An verstorbene Schauspieler zu erinnern, scheint ein neuer Trend in der Parfumbranche zu sein. Neben Steve McQueen muss nun auch Klaus Kinski Namen und Ruf hergeben. Wer erinnert sich nicht an diesen Schauspieler, der fast immer nur den unerkannt Verrückten, das exzentrische Genie oder das traurige Monster gab, im Leben wie auf der Bühne. Klar, bei einer solchen Vorgabe darf sich auch der Parfumeur gehörig austoben.

So greift Geza Schön mit viel Lust am Außergewöhnlichen in sein Arsenal und mischt so manches zusammen, was man seit dem Tode Klaus Kinskis nicht mehr so häufig in Parfums findet. Kinski ist eine Reminiszenz an früher. Ich fühlte mich hier an die Welt der vergangenen Powerhouse-Düfte erinnert, von Aramis bis Marbert Man, und an 70er Jahre Friseurladen. Den Kennern dieser Sparte sei es vorbehalten unter den eingestellten oder reformulierten Schätzchen jener Zeiten nach einer eventuellen Vorlage zu suchen.

Kinkis 70er Jahre Ansatz wird realisiert über eine Art Chypre-Note mit deutlich harzigem Einschlag, aufgelockert durch ganz geringe florale Anteile. Hinzu gesellen sich bittere, rauchige Stoffe (Marihuana-Akkord?) welche den betont maskulinen Charakter unterstützen.

Wie so manches 70er Jahre Designstück aus gegenwärtiger Produktion ist auch Kinski bei genauer Betrachtung als Duft von heute erkennbar: hinter dem nostalgischen Duft-Feuerwerk verbirgt sich eine solide Zedernholz-Vetiver Basis, wie wir sie aus Terre d'Hermès kennen, vielleicht mit etwas aromatischerem Einschlag. Zu jedem Zeitpunkt der Duftentwicklung ist sie mehr oder weniger präsent, als vertrauter Anker für die Nase des heutigen Parfumfreundes.

Unter den heutigen Herrendüften nimmt Kinski eine Außenseiterrolle ein. Es gibt nicht vieles, was ihm ähnlich wäre, aber ganz alleine steht Kinski nicht da. Am deutlichsten erinnert mich Kinski in Stil und Charakter an Shirley Brodys XPEC Original. Allerdings ist Kinski bei weitem nicht so opulent-floral wie dieser englische Exzentriker. Kinski ist schon mehr auf der bitteren, harzig-herben Seite. Mit dem grün-rauchigen Marihuana Einschlag, der besonders im Herzen auffällt, ergibt sich eine stilistische Nähe zu den Hanf-Parfums von Robbie VanGogh, aber auch an Boadiceas Rauchbombe „Intricate“.

Etwas problematisch empfinde ich die Duftentwicklung. Kinski ist ein richtiger Knaller. Seine ganze Munition verballert er gleich am Anfang: da gibt es eine spektakuläre Duftvielfalt, die schon deutlich die Frage nach der Tragbarkeit stellt. Doch innerhalb von zwei Stunden wird Kinski immer zahmer, und zum Schluss bleibt vor allem der Zedernholz-Vetiver Akkord übrig. Nur bei großzügiger Dosierung halten die harzig-rauchigen Aspekte länger an. Während man sich mit dem Duftauftakt höchstens in übel beleumundete Kneipen traut, empfiehlt sich die puristische, wohlbekannte Basis eindeutig für die Büroetage.

Ich gebe zu, man kann bei einem solchem Konzept geteilter Meinung sein. Dass die Nase nicht über viele Stunden einem Dauerstress ausgesetzt sein sollte, ist durchaus vertretbar. Nichts gegen spürbare Duftentwicklung – doch einen grundsätzlichen Wechsel in Stil und Aussage sollte sie nicht beinhalten. Ich persönlich bevorzuge Düfte mit etwas dezenterer Lautstärke, bei denen es dem Parfumeur aber gelingt, die Spannung gleichbleibend aufrecht zu erhalten, über viele Stunden.

Kinski stellt die Coolness der Parfumfreundes auf die Probe: Wer schafft es, dem Kaufreiz der Kopfnote zu widerstehen, und erst nach Stunden eine Entscheidung zu treffen?

Apicius für ParfumoBlog

Bild mit freundlicher Genehmigung von Essenza Nobile

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