vor 10 Jahren
Danke, sehr ausgewogener Blogartikel zum Thema. Die Differenzierung tut gut. Hier scheint es keine „hidden agenda“ zu geben, wo jemand mit seiner Berichterstattung versucht, eigene Interessen oder Weltanschauung zu positionieren.
Wer sich versucht, zu dem Thema der Anpassung der EU-Kosmetikverordnung zu informieren, sollte sich darüber im Klaren sein, wer welche Interessen verfolgt:
Die Gutachter des SCCS (Scientific Committee on Consumer Safety) haben im Jahre 2012 eine Studie (genauer gesagt Metastudie, also Einzelstudien wurden zusammengefasst und ausgewertet) vorgelegt zur Beurteilung des allergischen Potentials von Duftstoffen in Kosmetik inklusive Parfums. Die Studie endete mit der Empfehlung, Eichenmoos, Baummoos und Lyral (HICC) für die Verwendung in Kosmetik und Parfums zu verbieten – die Erkenntnisse aus den Einzelstudien legten dieses Verbot aufgrund der Höhe der Kontaktallergien nahe.
Darüber hinaus wurden 11 chemische Substanzen identifiziert, die ein allergenes Risiko bei Hautkontakt darstellen. Für diese konnte kein sinnvoller Grenzwert definiert werden, also ist das SCCS-Team auf Nummer sicher gegangen und hat als oberen Grenzwert 0,001 % festgelegt. Was sie dabei nicht berücksichtigt haben: in dieser Konzentration sind die 11 chemischen Substanzen gar nicht zu riechen, also als Parfuminhaltsstoff völlig wertlos. Also soll(t)en auch diese quasi verboten werden. 11 klingt nicht so viel … aber: neben den 11 genannten sollten auch Derivate mit diesem Grenzwert unterliegen. Und die Substanzen sind in zahlreichsten natürlichen Riechstoffen enthalten, die dann natürlich auch nicht mehr verwendet werden dürften: Geraniol ist nicht nur als synthetischer Riechstoff ein wichtiger Bestandteil von Rosenakkorden, sondern kommt auch in Koriander, Lorbeer, Muskat, Rose und – natürlich – Geranie vor. De facto würden also bei einem Grenzwert von 0,001 % diese Öle nicht mehr eingesetzt werden können. Weiter auf der Liste ist Cumarin, womit ergo auch Tonka nicht mehr eingesetzt werden könnte. Linalool ist vielen Gewürzen enthalten und der Hauptbestandteil des Rosenholzes. Das Linaloolderivat Linalylacetat fällt unter den gleichen Grenzwert von 0,001 %. Linalylacetat ist der Hauptbestandteil von Lavendel-, Muskatellersalbei und Bergamottenöl und kommt in vielen anderen ätherischen Ölen vor. Ich könnte jetzt weiter ausholen, aber nur mit der Nennung von 3 der 11 Substanzen ist klar, dass quasi sämtliche Parfums reformuliert werden müssten. Und ich erwähnte noch gar nicht Limonen, das laut Wikipedia „in Pflanzen am häufigsten vorkommende Monoterpen“ – von den ganzen Agrumen- über Muskatnuss- bis Fichtennadelöl. Wohlgemerkt, an sich sollen chemische Einzelsubstanzen eingeschränkt werden, de facto würden diese verboten und alle Naturstoffe, die diese enthalten, gleich mit. Hätten die Gutachter vor dem Veröffentlichen ihres Berichtes mit Leuten gesprochen, die ihren Horizont über den Tellerrand gehoben hätten – z.B. Parfumeuren – sähe dieser vermutlich anders aus. Das taten sie anscheinend nicht – mit entsprechenden, meist nicht-öffentlichen Reaktionen.
Eine Schlüsselrolle fällt dabei der IFRA (International Fragrance Association) zu – dem zweiten Spieler, der hier seine eigenen Interessen hat. Diese sind in erster Linie die der großen Riechstoffhersteller und ständigen Mitglieder der IFRA Givaudan, IFF, Takasago, Robertet, Symrise und Firmenich. Denen wird gerne unterstellt, ihnen käme ein Verbot natürlicher Riechstoffe sehr gelegen, weil sie ihre synthetisch hergestellten Aromastoffe dann besser verkaufen könnten. Nun, so ganz rund ist es nicht, denn Parfums leben an sich vom Wechselspiel natürlicher und synthetischer Rohstoffe und Givaudan macht auch erheblichen Umsatz mit natürlichen Rohstoffen, Robertet hat sich auf Naturstoffextraktion spezialisiert und bietet meines Wissens gar keine synthetischen Duftstoffe an.
Vermutlich war es die IFRA, die dafür gesorgt hat, dass es das SCCS-Gutachten nicht 1:1 bis in die öffentliche Konsultation, die jetzt startet, geschafft hat. Im Gegenteil: von den Vorschlägen des Gutachtens ist das Verbot von Eichenmoos, Baummoos und Lyral geblieben. Die wirre (sorry) 0,001 %-Begrenzung weiterer Duftstoffe wurde gekippt. Stattdessen soll eine Deklarationspflicht kommen, die irgendwas zwischen 11 und 81 (?) potenziell allergene Stoffe umfasst. Schaut man sich an, was jetzt auf den OVP-Etiketten der Parfums steht, kann man sich ungefähr ausmalen, dass sich das Design doch deutlich verändern dürfte. Hauptargumente gegen eine Deklarationspflicht, die aus dem Umfeld der Parfumhersteller immer wieder zu hören sind, ist die Behauptung, dass damit Rezepturen offengelegt werden würden, die – da nicht rechtlich zu schützen – einfach kopiert werden. Ehrlich gesagt, das verstehe ich nicht: es würden keine Konzentrationen angegeben, sondern nur die Angabe „enthält …“. Ist diese Information auch nur halbwegs hilfreich für kopierwillige Konkurrenten in Zeiten von moderner Analytik (GC/MS)?
Mit diesem Vorschlag– Verbot der drei genannten Substanzen, umfangreiche Deklarationspflicht – startet nun die öffentliche Konsultation. Es kann theoretisch noch in alle Richtungen gehen, praktisch haben IFRA und SCCS wohl schon ihre Claims abgesteckt.
Was würde das bedeuten für Allergikerinnen und Allergiker? Für die ist die Deklarationspflicht ohne Verbot hervorragend. Ich erinnere mich noch an eine Diskussion vor 20 Jahren mit einem Paraben-Allergiker: der musste in unangenehmen Selbsttests herausfinden, in welchen kosmetischen Produkten Parabene als Konservierungsmittel enthalten sind. Heute steht das auf den Verpackungen. Ein Verbot würde tatsächlich weniger bringen als eine Deklarationspflicht, denn das Blöde bei Allergien ist, dass sich diese bei vielen Betroffenen immer wieder verändern
Und wir, die Konsumierenden (ich blende mal kurz aus, dass viele von uns Allergien haben dürften, komme aber zu diesem Punkt zurück)? Nun, das Verbot von Eichenmoos, Baummoos und Lyral ist hart zu schlucken, sogar sehr. Durch die IFRA-Sebstverpflichtung wurden diese Substanzen eh schon in den letzten Jahren praktisch nicht mehr eingesetzt. Jetzt könnte aus den freiwilligen Selbstverpflichtung ein Gesetz werden. Können wir das verhindern? Schwierig. Die SCCS wird, nachdem alle ihre anderen Vorschläge zerrupft wurden, diesen letzten Punkt mit Zähnen und Klauen verteidigen. Schließlich stellt sich sonst schon irgendwie die Frage nach der Daseinsberechtigung dieses Gremiums. Die Position der IFRA wurde durch die Anpassung der Vorlage sehr gestärkt. Selbst wenn es Kräfte innerhalb der IFRA geben sollte, die dieses Verbot bedauern sollten - die konnten sich schon bisher nicht durchsetzen. Cropwatch hat sich selbst als Partner diskreditiert, als sie von "toxikologischen Imperialismus" sprachen. Wie soll man mit solcher Argumentation Toxikologen und Verbraucherschützer (bzw. Politiker, die sich für Verbraucherschutz stark machen) überzeugen? Das ist dann weniger der Wunsch, gestaltend mitzuwirken, als Profilierung.
Wie sieht es mit der Deklarationspflicht aus? Eine Deklarationspflicht ist zunächst einmal sehr im Sinne des/r mündigen Konsumenten/in, ob nun allergiegeplagt oder nicht. Die Zunahme an Transparenz wäre äußerst positiv. Mittelbar sind wir allerdings durchaus von einer Deklarationspflicht betroffen: für die kleinen Häuser und selbstständigen Parfumeure bedeutet es einen erheblichen zusätzlichen Aufwand zusammenzustellen, was alles deklariert werden muss. Zum Teil dürften sie auch von manchen ihrer Rohstofflieferanten gar nicht alle relevanten Informationen zur Zusammensetzung erhalten. Die großen Häuser haben es da einfacher mit ihren "Regulatory Affairs"-Abteilungen und entsprechendem Druck auf ihre Lieferanten, an alle Informationen zu kommen. Aber gerade die großen Häuser pflegen den Mythos des ganz natürlichen Parfums, was sich mit einer Ausweitung der Deklarationspflicht kaum aufrechterhalten ließe. Unsere Schadenfreude sollte aber nicht allzu groß sein, denn vermutlich werden die Häuser so reagieren, dass sie sich so sehr in ihren Mitteln/Werkzeugen einschränken werden, dass sie wenig deklarieren müssen. Ob das pro oder contra einer Deklarationspflicht mehr wiegt, muss jede/r für sich selbst entscheiden. In der Realität können wir wohl kaum gegen eine Deklarationspflicht argumentieren, ohne Verbote von potentiell allergenen Stoffen zu riskieren.
Wenn wir nun aber eh auf Linie des aktuell zur Debatte stehenden Entwurfes liegen - macht es dann überhaupt Sinn, sich in diese Debatte einzubringen? Ich denke unbedingt - zum einen wissen wir nicht, was mit dem aktuellen Entwurf noch alles passiert. Zum anderen ist davon auszugehen, dass die Position von den Verbraucherinnen und Verbrauchern noch gar nicht gehört wurde - bei dem Thema Verbraucherschutz! Es dürften die toxikologischen, allergologischen und wirtschaftlichen Aspekte ausgetauscht und gegeneinander abgewogen worden sein. Aber das Konsumierende nicht nur unter Parfums leiden, sondern als Kulturgut schätzen, dass es eine starke Stimme gegen eine weitere Einschränkung der Parfumeurspalette in der Zukunft gibt, dass es für undifferenziert gehalten wird, nicht zwischen Parfums und anderer Kosmetik zu unterscheiden, dass es für unverhältnismäßig empfunden wird, an Parfums unter Allergieaspekten ungleich höhere Anforderungen zu stellen als an Lebensmittel: dieser Stimme Gehör zu verschaffen, dafür könnte die öffentliche Konsultation die perfekte Plattform sein - und ich setze meine Hoffnung auf die Petitions-AG.
Zuletzt bearbeitet von Ronin am 18.02.2014, 06:12, insgesamt 3-mal bearbeitet