Audacerio

Audacerio

Rezensionen
Audacerio vor 7 Jahren 18 3
Dekonstruktion
Ganz unerwartet hielt ich heute Mittag ein Pröbchen dieser olfaktorischen Dreiteufelsgeburt in meinen Händen. Die Benamselung scheint das Konzentrat der grösstenteils negativen Rezensionen
der kontrovers diskutierten Schöpfung von Herr Lie adäquat wiederzugeben.

Flux das Dingelchen trockengeschnüffelt und die erste Welle, welche da in meine Nasenflügel rauschte, für ganz ansprechend befunden. Ansprechend, weil es so radikal mit den üblichen Düften bricht, welche ich mir sonst auf Handrücken und Hals auftrage.
Ein Rasiermesser, welches sich wiederholt durchs Erz schält und zwischen den Spänen ergiesst sich das kalte olfaktorische Abbild von Metall. Untermengt wird der Ausflug in die Metallurgie von einer modrigen Süsse, welche da gerne Kläranlagen umwabert.

Das Mahl für den olfaktorischen Zerriss ist also angerichtet. Kaum vorstellbar, dass die Symbiose von Körpersäften und Epidermis das Ruder rumreisst, 180 Grad und statt Pamphlet #67 dem Duft ein Kränzchen gewunden wird.

Jetzt aber! Pröbchen entstöpselt, die Flüssigkeit sparsam auf den Handrücken aufgetragen. Der zweite Eindruck. Die Grundsubstanz ist dieselbe. Doch die Erfahrung von kaltem Metall und modriger Süsse ist intensiver. Unmittelbarer. Direkter. Weniger geschmeidig als beim Trockenschnüffeln, dafür roher und archaischer.

Später setzte ich mich in ein vollbesetztes Tram. Herr Lies Mixtur schlängelte sich unbestellt in mein und vermutlich auch in die Näschen der unmittelbaren Nachbarschaft. Ob sie wohl insgeheim mir und Herr Lie dräuen mögen? Die Silage hat es in sich, da ich wenig von dem potenten Wässerchen auftrug und ich nur wenige auto-aufgetragene Parfüms wahrnehme. Die Selbstbeschäftigung setzt sich fort. Der Geruch ist nicht schlecht aber so verdammt anders.
Doch es kann auch anders ... anders. Sprang es eben wie von einem Teufelchen gebissen im Dreieck und zwang die Sinneswahrnehmung zur unmittelbaren Konfrontation, so schleicht es sich plötzlich lautlos von dannen. Einmal, zweimal geschnuppert. Nicht auffindbar. Auch die unmittelbare Erfahrung ab Handrücken ist wenig handfest. Subtil. Fast verschüchtert. Interessanterweise docken die Moleküle später wieder zuverlässig an den Geruchsrezeptoren in der Nase an. Die Wahrnehmung ist ubiquitär. Das unbeständige Teufelchen macht mich ganz meschugge. Es kommt. Es geht. Wie es ihm gerade beliebt.

Jawohl! Der Duft ist anders. Ausserhalb der floralen, holzigen, fruchtigen, balsamischen Komfortzone. Zuweilen mag sich der Gourmand von Düften sich mit Dissonanzen also was da aus dem goldenen olfaktorischen Schnitt gefallen ist, von geradliniger, kontrast- und vorhersehbarer Gefälligkeit distinguieren wollen aber Assoziationen wie Blut und Sinnentaumel auf Adrenalin, sprich olfaktorische Erfahrungen, welche ans Eingemachte gehen, übersteigen das tolerierbare Mass des Erträglichen und Zumutbaren.

Das Verköstigen von Sécrétions Magnifiques wirft, endlich will ich sagen!, den Diskurs auf, worauf konstituiert sich die Differenz von Odeur und Miasma, von Wohlgeruch und Brechreiz?
Und welcher kretinige und subalterne Narr hat die Setzung: Geruch, beziehungsweise Wohlgeruch und olfaktorisches Pläsier da in ein Axiom gegossen?! Wie ich zum wiederholten Mal an meinem Handrücken schnuppere und wie der Duft da Vorstellung und Axiom bis in die Grundfeste dekonstruiert, ich fühle mich erquicklichst desintegriert. Denn das grosse Olfaktorium lässt sich nicht aufs kleine Ästhetikum reduzieren. Riechen ist Aneignung der Welt mitsamt all ihren Phänomenen und Gerüchen.

Ausserdem wusste Mutti bereits, sechzehn Mal brav den Rosenkohl essen, dann schmeckt der Kreuzblüter. Statt gleich beim ersten Bäääh und Wäääh den Kreuzblüter, respektive den metallernen Duft in die Tonne zu spedieren. Bisweilen braucht es Geduld und Durchhaltevermögen.

Eine Transformation des Duftes suchte ich vergebens. Das Anfang ist das Ende und das Ende ist der Anfang. Eine in sich geschlossene Struktur. Keine Geheimnisse. Keine Überraschungen. Ausser ... höchst frappierend war die Erfahrung im zweiten Stadium. Bereits nach einer halben Stunde war mir blümerant, nicht gastro-, sondern zerebralblümerant - das Emetikum samt Magenentleerung vermisste ich gänzlich - und lange vergrabene Erinnerungen wurden wach, wie (aus medizinischen Zwecken) meine Nase unfreiwillig mit Äther in Berührung kam. Das Bewusstsein dank dem dreiteufeligen Psychotropikum auf Halbmast runtergedimmt; die Neuronen und wie ich die Umgebung wahrnehme schwerfällig, taub, wie nach einer durchzechten Nacht, taumelnd in den noch jungen Tag hinein.

Ich werde hier einen Teufel tun und diese olfaktorische Begegnung irgendwo in der Skala zu versenken versuchen. Sécrétions Magnifiques ist weiss Gott kein Duft, welchen ich als Anhängsel tragen will. Viel eher ist er ein wohltuender Affront gegen die hartnäckige Vorstellung, was ein Duft sein will.
3 Antworten