Averagejoe

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Rezensionen
Averagejoe vor 2 Jahren 6 1
8
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
7.5
Duft
Patchouly? Real(y)?
"Real Patchouly" ist mein zweiter Duft aus dem Hause Bois 1920 nach "Vetiver Ambrato". Letzgenannten schätze ich vor allem wegen seiner weichen, beinahe schon zart schmelzenden Cremigkeit, die mir ein Gefühl von Geborgenheit und Entspannung vermittelt. Einzig mit dem Vetiver ist es nicht allzuweit her. Der Duft verwöhnt meine Nase vor allem mit einer Melange aus Lavendel, Vanille und Amber. So sehr mir der Duft gefällt, so wenig schlau werde ich daraus, dass es ausgerechnet der Vetiver als (zumindest halber) Namensgeber auf den Flakon und die Verpackung geschafft hat. Vielleicht klangen "Lavender Ambrato" oder " Ambrato Vanille" in den Ohren der Marketingabteilung nicht verkaufsfördernd, nicht maskulin genug?

Wie dem auch sei. Mit "Real Patchouly" ergeht es mir bezogen auf die Namenswahl ähnlich. Allerdings wird meine positiver Gesamteindruck des Duftes davon nicht beeinträchtigt.

Kurz nach dem Aufsprühen blitzt in der Kopfnote für den Bruchteil einiger Sekunden eine leicht fruchtige Süße auf, die ich der Mandarine und dem Davana zuschreibe. So schnell wie sie gekommen sind verschwinden die beiden auch wieder und überlassen vor allem den Hölzern das Zepter. Zeder und Sandel bringen eine leichte "Kante" in den Duft, verleihen ihm etwas ernsthaftes, ohne jedoch streng zu werden. Nach und nach schleichen sich auch Weihrauch und Patchouly deutlicher in den Duft. Nicht, dass sie zuvor nicht wahrnehmbar gewesen wären. Nein. Sie sind durchaus stets präsent, eigentlich von Beginn an, aber eher subtil. Mit der Zeit gewinnen sie an Gewicht, stehen dann in der Herznote gleichberechtigt neben den Hölzern bzw. vereinen sich mit diesen. Keiner der Protagonisten ist nur Haupt- oder nur Nebendarsteller, es herrscht Gleichberechtigung. Und doch....mal tritt der Weihrauch etwas stärker hervor, mal das Patchouly, dann wieder erinnern Sandel und Zeder daran, dass sie auch noch mit von der Partie sind. Der Eukalyptus spielt für mich keine Rolle, das heißt er ist von mir nicht als solcher wahrzunehmen. Ich begrüße das, denn fast hätte mich diese Ingredienz vom Kauf abgehalten.

In der Basisnote legt "Real Patchouly" dann an der von mir so geschätzten, ambrierten Cremigkeit zu. Dabei vermeidet es der Duft ins Süße abzugleiten. Er behält seinen krautig, erdigen, aber nie erdrückenden, warmen Grundcharakter.

Wer mit seifigem oder kellerig-muffigem Patchouly nichts anfangen kann oder sich seinen vielfältigen Spielarten zunächst langsam nähern möchte, dem sei dieser Bois 1920 ans Herz gelegt. Man sollte allerdings keine Abneigung gegen (hellen) Weihrauch haben, denn der ist mindestens gleichberechtigter Mitspieler. Warum er es nicht in den Namen geschafft hat, bleibt mir auch hier ein Rätsel.
1 Antwort
Averagejoe vor 6 Jahren 11 3
Von Bergen und Baumärkten
Mein erster Kommentar auf Parfumo ;-)

Rocky Mountain Wood! Was für ein Name! Wer denkt da nicht sofort und automatisch an eben jene namensgebende Region in den USA. Schroffe Felsen, klare Flüsse, ausgedehnte Nadelwälder. Backpacker, Lagerfeuer, sterneklare Nächte und Kojotengeheul. Zum Auftakt schafft es der Duft durchaus, mich olfaktorisch in das oben beschriebene Landschaftsbild zu versetzten. Ich trage plötzlich Karohemd und Vollbart, ich freue mich nach einem langen Arbeitstag im Sägerwerk auf eine Dose Bohnen und Kaffee aus der Blechtasse. Verantwortlich dafür ist die sofort nach dem Aufsprühen wahrnehmbare Melange aus Kiefernnadeln und Wacholder, ausgebreitet auf einigen Scheiten frisch gesägtem, hellen Holzes, hin und wieder ist beim Sägen das Sägeblatt heißgelaufen und hat angenehm süßliche Rauchwölkchen entstehen lassen. Das ist gut, sehr gut sogar. Maskulin, aber nicht schroff, präsent, aber nicht aufdringlich. Blümerantes (Veilchen und Lilie) nehme ich nicht wahr, was mich aber auch nicht weiter stört. Ich bin ja schließlich Waldarbeiter und kein Blumenhändler! Je länger der Duft auf meiner Haut verweilt, umso öfter gesellt sich noch ein weiterer Eindruck hinzu: ich wandere nicht mehr durch die einsamen Weiten der Rockys sondern stehe im Baumarkt in der Abteilung für Holzzuschnitt. "Tach, bin glei da, muss nur schnell `ne Arbeitsplatte uff`n Meeta Fuffzich runtaschnein" Auch hier: Karohemd, Vollbart, Sägewerk. Ob es Bohnen zur Mittagspause gibt weiß ich nicht. Was beide Szenarien gemeinsam haben: beide funktionieren bei HWRMW gleichermaßen gut. Der Duft ist Waldarbeiter und Baumarktangestellter zugleich. Grundsolide, geraderaus, ungekünstelt, bodenständig. Er macht einem nichts vor, ist kein Feingeist, sondern ein Praktiker (keine Werbung! Sind die nicht eh pleite?) Bemängeln könnte man, dass der Duft recht einseitig, ja fast schon monothematisch daherkommt. Er entwickelt sich von der Kopfnote recht schnell in Richtung Herz und Basis, die aus einem leicht hölzernen Vetiver besteht. Mir als Vetiverfreund sagt das ungemein zu. Bereits gezogene Vergleiche diverser Vorschreiber mit Encre Noire sind berechtigt. Das Süßgras ist in HWRMW aber weniger scharfkantig, heller und freundlicher als in EN. HWRMW möchte Dein Kumpel werden, mit dem man nachts am Lagerfeuer sitzt und Bohnen löffelt. Oder mit dem man die Schicht am Holzzuschnitt durchackert. Beide haben reelle Chancen bei mir ;-)

Preis/Leistungsverhältnis ist ordentlich, Haltbarkeit und Sillage gewinnen keine Preise, liegen aber im guten Mittelfeld.
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