Majoran gerebelt, Teil 1
Ich befasse mich nun schon seit einem halben Jahr intensiver mit Parfums und den Menschen drumherum. Ich war in Communities unterwegs, habe an Diskussionen teilgenommen, Blogs und Parfumbesprechungen gelesen, Youtube-Videos gesehen und mir ein bisschen Theorie angeeignet. In dieser Zeit hat sich in meinem Kopf Einiges an Eindrücken, Erfahrungen, Gedanken, Widersprüchen und Erkenntnissen angesammelt, die für mich zusammengenommen einen relativ diffusen Gesamteindruck ergeben. Ich wollte mir endlich mal die Zeit nehmen und das Ganze sortieren. Ich möchte herausfinden, wo ich mit meiner Parfumbegeisterung stehe, den bisherigen Weg rekapitulieren, Erlebtes verarbeiten, bestimmte Eindrücke und Erkenntnisse für mich konkreter werden lassen und Zusammenhänge erkennen, um aus dieser Diffusität, die ich als unbefriedigend empfinde, herauszukommen.
Dieser Blogeintrag spiegelt meinen derzeitigen Wissensstand, meine persönlichen Erfahrungen und meine aktuelle Meinung wider. Subject to change.
This much I know: Parfum ist mehr als nur Parfum, vor allem für die Nischenfraktion. Es ist aufgeladen mit Hoffnungen und Wunschvorstellungen. Es ist Statussymbol und Kommunikationsmittel. Je mehr man sich mit der Materie beschäftigt, desto höher schrauben sich die Erwartungen an die Umwelt – die anderen sollen die Besonderheit meines Parfums gefälligst genauso schätzen, wie ich selbst. Leider sind die allermeisten nur Banausen. Oft kommt man nicht einmal mit Fans auf einen grünen Zweig.
Ein paar Erinnerungen
Dort, wo ich ursprünglich herkomme, war Parfum ein eindeutiges Statement. Obwohl ich als Kind wenig damit anfangen konnte, bekam ich in den 80ern Unterhaltungen von Erwachsenen mit, die ganz klar zwischen „billigem Parfum“ und „französischem Parfum“ unterschieden. Parfum an Frauen wohlgemerkt, kommentiert von anderen Frauen. „Französisches Parfum“ war offenbar schwer erhältlich und das begehrteste Geschenk für eine Frau. Der Duft an sich war dabei komplett egal, und mir sind auch keine Parfumnamen in Erinnerung geblieben. Darum ging es auch nie. Es zählte nur das Prädikat „aus Frankreich“. Frankreich – das war eigentlich nur Paris, Coco Chanel, Patricia Kaas und topgestylte Frauen. Viele Jahre später konnte man hören: in Paris laufen die Frauen ja total unstylish herum! Es klang nach einer Mischung aus 30% Enttäuschung und 70% Triumph.
Meine Oma verwendete kein Parfum. Sie ist jemand, der stolz darauf ist, nie im Leben Schminke im Gesicht gehabt zu haben. Meine Mutter... Ich kann mich an keinen Duft aus dieser Zeit erinnern. Sie erzählte mir, sie hätte ihre Outfits damals vor wichtigen Dates mit „irgendwelchen schrecklichen“ Aftershaves meines Opas parfümiert und drei Tage liegen lassen, weil die Basis dann doch noch einigermaßen erträglich war. Französische Parfums? Vermutlich so richtig erst in Ö.
White Linen, Trésor, Spellbound... Das waren ihre Parfums in der Anfangszeit. Außerdem kam uns immer wieder mal eine Freundin von drüben besuchen, immer auf der Durchreise zu irgendwelchen aufregenden Orten, um ältere Herren zu bezirzen. Ihre Parfums hatten eine ziemliche Anziehungskraft auf mich. Ich glaube, eines war von Dali. Allein schon der Flakon... Sie war immer topgestylt, und immer mit französischem Parfum versorgt. Von ihr bekam ich... so mit 14... Opium geschenkt. Ich fand den Duft schrecklich und den Flakon erst recht. Warum tut sie mir das an? Es war ein Affront.
Ich hatte immer noch kein eigenes Parfum. Wir lebten in einer Kleinstadt, wo so etwas kein Thema war. Meine Mutter arbeitete in Wien und brachte hin und wieder Proben und Miniaturen mit. Bei den vier herben, nadelwaldigen von Aqua Allegoria dachte ich zum ersten Mal: this! Als wir einen neuen Lehrer mit einem neuen interessanten Fach bekamen, parfümierte ich mich vor der Stunde immer mit etwas ein, das irgendwas mit „femme“ hieß. Leider keine Ahnung mehr. Es war gut. Der Lehrer war cool. Ich wollte ihn beeindrucken.
Von irgendwoher kam dann CK one, und nicht eine Flasche. Fast hätte ich ihn vergessen. Denn das erste Parfum, mit dem ich mich identifiziere, ist All About Eve. Es war so perfekt für mich. Und eine neue Bedeutungsebene kam hinzu, als andere begannen, den Duft mit mir in Verbindung zu bringen. Mein erster Signaturduft... Etwas, das jemanden nach einer Trennung auf Entfernung in die Verzweiflung treibt. Schön.
All About Eve war auch der erste Duft, der die Augen meiner Oma zum Leuchten brachte. Ganz untypisch für sie: sie wollte ihn haben. Diese Freude machte ich ihr gerne. Meine Oma und ich trugen das gleiche Parfum.
Beim zweiten Anlauf nach der Trennung (jahrelange Fernbeziehung mit Unterbrechungen) wollte ich nicht mehr das Parfum von damals tragen, zumal es eh gerade discontinued war. Hugo Boss Deep Red hielt ich damals für einen würdigen Nachfolger, verwendete ihn aber kaum, da er mir plötzlich zu intensiv geworden war. Die Flasche stand herum. Zum Wegwerfen zu schade. Es war ja auch ein Geschenk.
Parfümerien wurden mit der Zeit zu Holodecks, um Menschen von früher wieder zu spüren. Bis mit der Zeit auch ihre Düfte discontinued waren und man fassungslos vor dem Regal stand.
Nach der schlechten Erfahrung mit Deep Red kam lange Zeit nicht wirklich was. Ich testete zwar gern Parfums, aber so richtige „Kaufkandidaten“ waren nicht dabei. Am Rande bekam ich mit, dass sehr fashion-forwarde Bekannte Comme-des-Garcons-Geschichten tragen.
Vor ein paar Jahren beschloss ich, endlich wieder ein passendes Parfum zu finden. Max Mara Silk Touch war so perfekt, nur bekam ich nach jedem Testversuch migräneartige Kopfschmerzen. Wieder nichts.
Noch ein Anlauf und endlich ein Treffer: Aqua Allegoria Flora Nymphea. Schenken lassen. Nach kurzer Zeit wieder zu intensiv und unerträglich. Doch mich davon trennen konnte ich erst, als ich zufällig mein Cologne du 68 entdeckte.
Ende des vergangenen Jahres begann ich mit meinem Laptop in einem Café zu arbeiten. Heute sitze ich übrigens wieder hier und tippe vor mich hin. Ich hatte einen großen Auftrag, der mich die nächsten Monate beschäftigen würde, und musste mich mit Tricks zur Produktivität zwingen, da die Arbeit nur sehr schleppend voranging. Mein Deutsch war nach einem längeren Auslandsaufenthalt für diese Art von Auftrag kaum mehr zu gebrauchen. Ich war verzweifelt.
Zur Aufmunterung ging ich nach einem vermutlich wieder mal frustrierenden Arbeitstag im Café in die Parfümerie mit dem attraktiven Sofortrabatt, die praktischerweise nebenan mit einer Filiale vertreten ist, und begann, wieder zielgerichtet Parfums zu testen. Das Cologne stach die ganze Konkurrenz aus und ich wünschte es mir von meiner Mutter zu Weihnachten. Sie kommentierte es mit: schön, dass du dir ausgerechnet Parfum als Geschenk gewünscht hast...
viel über die Wahrnehmung etc., bin schon auf deine Kommentare gespannt!