'Reizüberflutung' oder 'Warum ich im Lagerraum einer Bozener Parfümerie Schnappatmung bekam'

Gut 25 Jahre lang führten mich meine Urlaube primär nach Spanien, Portugal oder Frankreich. Mich zog es ans Meer nachdem ich als kleiner Junge immer mit in die Berge ‚musste‘. Aber gerade diese Bergwelt tauchte nun mal wieder intensiver im Gedächtnis auf und so wurde kurzentschlossen Urlaub in Bozen geplant. Letztmalig war ich 1988 dort. Das Parfuminteresse war seiner Zeit natürlich längst geweckt und es bereitete Freude Unterschiede zwischen italienischen und deutschen Sortimenten zu entdecken.

Beeindruckt war ich durch die Parfümerie –Fachzeitschrift ‚Allure‘. Sie war an Kiosken erhältlich, hatte das Format einer Vogue, enthielt Berichte aus der Parfümerieszene Italiens und war dahin gehend interessant, dass im Anhang sämtliche, in Italien erhältliche Referenzen(!) gelistet waren. Der Informationsgehalt war für mich in der damaligen Zeit gigantisch.

(Für alle, die meine Euphorie hier jetzt nicht nachvollziehen können: Es gab auch mal eine Zeit vor dem Internet! Hier lag also damals ein komplettes Werk aller gängigen Düfte vor, mit allen Größen und Preisangaben! Diese waren zwar logischer Weise in Lira, aber die Umrechnung war ja doch recht einfach. 'Allure' war immer aktuell,  sie erschien monatlich.)

Ich bringe mal diesen Abschnitt mit den Worten zu Ende: ‚Allure‘ war für mich damals die Parfum-Bibel!

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Zurück zum Urlaub in Bozen. Dieser fand nun vor kurzem statt. Ich denke gern an ihn zurück. Bozen und Umgebung hat sich von seiner besten Seite gezeigt. Wir wohnten mitten in der Altstadt und damit auch ‚mitten im Leben‘. Hervorzuheben ist zunächst der hohe Freizeit- und Erholungswert. Die Hauptstadt Südtirols hat sich mächtig gemausert. Ein Besuch kann uneingeschränkt zu jeder Jahreszeit empfohlen werden. Die Werbung verspricht an über 300 Tagen des Jahres Sonne!

Nun las ich kürzlich in einem Thread den Hinweis, dass das italienische Parfumangebot schon längst abgegrast wäre und man nicht mehr so einfach ‚Besonderheiten‘ finden würde. Dieser Aussage möchte ich jetzt doch vehement widersprechen:

Parfümerie Senn in Meran: Die zunächst klein und winzig aussehende Parfümerie unter den Meraner Lauben. Während im unteren Bereich die Kosmetik untergebracht ist, eröffnet sich dann in der 1. Etage eine sehr sorgfältige ausgesuchte und exklusive Duftauswahl.

Ich bin oft in meinem Leben durch mein Bauchgefühl gelenkt worden, häufig laufe ich an Parfümerien vorbei in dem Wissen, dass es hier nichts für mich gäbe. Seltener kommt es aber vor, dass ich -wie bei einer Wünschelrute - schon beim Betreten eines Geschäftes weiß, hier gibt es Guerlain - Raritäten. So war es auch bei der Parfümerie Senn. Natürlich sind hier alle Neuheiten vertreten, aber ich brauchte nicht lange um zu erkennen, dass in den hinteren Teilen des Regals noch ältere Produkte (auch aus den 90iger Jahren) standen. In einer Schublade schlummerte noch ein Shalimar- Edt 93 ml in schwarz-weißer Zick-Zack Verpackung mit der Metallhülse im Delfter-Muster. (Also gut 30 Jahre alt). Freundlicher Weise ging man für mich sogar in das Warenlager. 3 heute nicht mehr erhältliche Produkte nahm ich gerne von dort mit.

Das absolute Erlebnis hatte ich aber in Bozen. In sehr zentraler Lage befindet sich ein Geschäft, an dem man(n) normaler Weise vorbeigeht. Die Auslagen im Schaufenster sind grottig. Nippes aller Art, Schnickschnack, Grab-Kerzen, Stoffe, Engelchen, Modeschmuck und weiß der liebe Himmel was dort alles un-dekoriert im Fenster steht. Auch ich wäre vorbeigelaufen, wenn…ja, wenn nicht wieder dieser Wünschelruten-Effekt eingesetzt hätte. Durch die Schaufensterscheibe erkannte ich diverse Parfum-Sets von Trussardi (Donna und Uomo). Ich ging in die ‚Rumpelkammer‘ und war dann doch schon mal sprachlos. Das Parfumregal hätte aus den 80igern stammen können. Viele damals gängige Firmen standen dort etwas verstaubt im Regal. Kollektionen von Carven (leider kein Vetiver), Paco Rabanne, Ted Lapidus, Ricci, Weil, Worth, Krizia, Missoni, Bogart, Pancaldi etc. Ich kam mit dem älteren Inhaber ins Gespräch, eher stolpernd, weil primär italienisch sprechend. Er holte eine Leiter und ich konnte die Regale durchstöbern. Die ganz großen Marken (Chanel, Dior, YSL und Guerlain) waren zwar auch, aber nur sehr, sehr selektiv mit einzelnen Packungen vertreten. Aber ich wurde durch eine Marke angestachelt: Caron!

Der Inhaber erkannte offensichtlich einen Ausbruch von Begeisterung und dann sprach auch er von einem Lagerraum. Dort läge ja noch viel mehr, alles aus der Zeit, wo er noch mit eines der führenden Parfümeriegeschäfte in Bozen gehabt hätte, nun läge alles in seinem Speicher in Bozen-Gries. Ich könne mir das alles gerne anschauen. Wir verabredeten uns in der Mittagszeit.

Der Raum war schnell gefunden, Signore kam mit dem Rad vorgefahren und gemeinsam stiegen wir in sein ’Reich‘. Ich wusste nicht, ob ich weinen sollte, kurz vor einer Schnappatmung stand oder in Ohnmacht fallen sollte. Das Foyer eines alten Kinos diente als Lagerstelle und war vollgestellt mit Regalen, in denen unsortiert und verstaubt 100te von Parfumpackungen standen. Es gab kein Licht, aber mir wurde eine Signallampe in die Hand gedrückt. Der Alte verschwand in die hinteren Räume mit den Worten, hier könnte ich nun suchen was ich wollte. Es roch nach altem Papier, Staub, Schmutz.

Hier standen Sie nun alle, kreuz und quer durcheinander. (deshalb hätte ich wirklich weinen können) Ich hatte ja bereits über die Marken gesprochen, die sich hier in noch größerer Auswahl fanden. z.B. 200 ml Ténére´von Paco Rabanne, Ted und Envol von Ted Lapidus, Hascish von Veejaga, Phileas von Nina Ricci, alte Lauren- Düfte, Silence und Eau cendrée von Jacomo, Düfte von Régines, Van Cleef& Arpels, Rochas , Krizia’s Theatro alla Scala, Je reviens und Worth pour homme, Grès pour homme; Cabotine und Cabochard, Pour Monsieur von Pierre Cardin in allen Größen, Balmain….. Und es gab eine Auswahl von Caron Düften. Le 3e homme in allen Variationen, Nocturnes und das alte, klassische Eau de Caron.

Gut eine Stunde kämpfte ich mich durch die Regale. Irgendwann unterlag ich einer Reizüberflutung.

Klar, dass ich auch hier etwas mitnahm. Für den Eigengebrauch :100 ml Le 3e homme, und 2 Flakons Eau cendrée von Jacomo. In die Sammlung wandert eine 200 ml‘ Eau de Caron, eine 200 ml‘ Nocturnes und ein Extrait von Audace von Rochas. Tja und dann habe ich noch etwas für meinen Freund „Rivegauche" erworben. … Aus verständlichen Gründen kann ich hier nicht ins Detail gehen, denn das gute Stück ist für seinen Geburtstag bestimmt. Mal sehen, vielleicht bekommt auch er Ohnmachtsgefühle. (Ich kann mir aber vorstellen, dass auf dieses Thema zu gegebener Zeit eingegangen werden wird.)

Ein solches Exemplar dort zu finden…unglaublich.

Signore macht einen ganz fidelen Eindruck. Er sprach davon, dass er noch viele Kunden in Italien beliefert. Ob auch nach Deutschland vermag ich nicht zu sagen. Die ausgehandelten Preise waren mehr als moderat.

Wer ihn besuchen möchte, kann mich gerne anschreiben, um weitere Informationen zu erhalten (Kenntnisse der italienischen Sprache sind von großem Vorteil).

Es lohnt sich also mit offenen Augen durch diese Welt zu gehen, auf sein Bauchgefühl zu achten und natürlich auch das Glück zu haben, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein.

Tja, soweit nun die kleinen Impressionen aus Meran und Bozen und wehe es wird noch mal behauptet, es gäbe hier nichts zu entdecken!