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vor 12 Jahren - 28.07.2012
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vom Familienunternehmen zum Großkonzern - der Weg des Hauses Guerlain ab 1994

 

Inspiriert  durch einen Beitrag von Kankuro zum Duft ‚Secret Intention‘ habe ich mir Gedanken gemacht. Kankuro hat durch gute Recherche versucht zu erklären, welchen Weg ein eher konservativ geführtes Familienunternehmen nach Übernahme durch einen Großkonzern gegangen ist.  Ich möchte Kankuros Ausführungen noch ergänzen und im Folgenden die  Ausmaße der Übernahme von LVMH auf Guerlain –im speziellen auf die Herstellung und Produktion neuer Parfums in dem Zeitfenster 1994 bis 2005 - beschreiben.

Ich hatte bereits in meiner Trilogie „ein Guerlain-Parfum aus schwierigen Zeiten I,II,III“ (siehe unter ‚Coriolan‘, ‘Champs- Elysées‘ und ‚Mahora‘)auf die missliche Lage des Traditionshauses Guerlain hingewiesen.

An dieser Stelle sei auch noch ein kleiner Exkurs zu ‚Samsara‘ erlaubt.

Ich höre häufig, dass ‚Samsara‘ als wenig erfolgreich bezeichnet wird. Das stimmt so nicht! Dieser Duft war durchaus ein Erfolg und letztendlich ist  Guerlain auch heute noch mit dem Abverkauf zufrieden. Ob ‚Samsara‘ als Antwort auf ‚Opium‘ (1977) und ‚Poison‘ (1985) gesehen wurde, glaube ich noch nicht einmal.  Fakt ist, dass a.)‚Opium‘ unangefochten ein Verkaufsschlager ist, b.) die Linie von ‚Samsara‘ noch heute 14 (!)Referenzen aufweist (bei 3 Duftkonzentrationen und 2 Derivaten)und c.) ‚Poison‘ nur noch mit 3 EdT-Größen im Dior-Sortiment steht. Der Aufstieg auf der Erfolgsleiter wurde ‚Samsara‘ auch leicht gemacht. Im Jahr 1989 kamen keine großen bedeutenden französischen Parfums auf den Markt.

Nun aber zum eigentlichen Thema :

Bereits seit Mitte/Ende der 80iger Jahre hielt der Luxuskonzern ‚LVMH‘ gut 4 % der Guerlain’schen Kapitalanteile. Im Juli 1994 übernahm dann ‚LVMH‘ durch einen etwas komplizierten Aktientausch zwischen der‘ Djedi Holding S.A.‘ und den‘ Parfums Christian Dior‘ die kontrollierende Mehrheit (57,8%) über das Unternehmen. Der Marktwert des Hauses Guerlain lag seiner Zeit bei gut 1,5 Mrd. DM.  Die Familie Guerlain erhielt von LVMH ca. 630 Mio. DM sowie ca. 4,3 Mio. Dior–Aktien.

Klar, ein Mehrheitsaktionär will Rendite sehen und so wurden neue Strategien ins Leben gerufen, um den Marktwert der Firma Guerlain aber natürlich auch von LVMH zu stärken. Für LVMH war es wichtig, traditionelle frz. Parfumhäuser unter das Dach zu bekommen, wobei hier speziell auf die 3-Achsen-Politik (Parfum, Pflege und dekorative Kosmetik) Wert gelegt wurde. Mit der damals etwas dümpelnden Marke „Parfums Christian Dior“ hatte man großes vor. Die Marke Dior wurde zum Aushängeschild von LVMH für die Sparte Parfum/Kosmetik umgebaut (aber das ist noch mal eine ganz andere Geschichte).

Zurück zu Guerlain. Es gab Analysen. Wodurch zeichnet sich ein gut 150 Jahre bestehendes Unternehmen aus, in welche Zielgruppe bewegt sich die Marke? Bei der Beantwortung kam klar heraus, man muss sich seiner Tradition bewusster werden. Doch nicht nur der Blick zurück sondern auch nach vorne ist wichtig. Die Zauberformel hieß „Tradition und zukunftsweisende Innovation.“

Von nun an wurde mächtig „am Rad gedreht“ und die Entwicklung und Produktion von Parfums voran getrieben.

Im Folgenden habe ich 6 Gruppierungen gebildet, in denen ich die Entwicklung der Parfums nach Übernahme durch LVMH aufzeigen möchte.

Just nach der Übernahme begann Guerlain sich intensiver mit seiner Historie zu beschäftigen.

1.       Re-Editionen alter Parfums

Mit ‚Liu‘ (1994),‘Champs Elysées-Parfum‘ (1995) ‚Djedi‘(1996) und ‚Vega‘ (1997) wurden kostbare Schätze aus dem Tresor geholt, die in Kristall (Baccarat-Editionen), nummeriert  und zu stolzen Preisen angeboten wurden. Begleitend in aufwändig gefertigten Boxen und einem informativen Booklet. Die Extraits erzielen heute – obwohl noch gar nicht so alt – auf Auktionen schon enorme Preise.

2.       Exklusive Neukreationen

Erschwinglicher waren dann schon eher Neukreationen, die ebenfalls nur in limitierter Stückzahl und auch nur nach selektiver Auswahl im Einzelhandel oder an den Guerlain Countern der großen Kaufhäuser angeboten wurden. Speziell zwischen 1998 und 2000 war Guerlain hier sehr kreativ. Die Düfte waren mitunter Meisterwerke und sie fanden ab 2005 häufig eine Wiedergeburt im Rahmen der ‚Maison-Guerlain – Les Parisiennes-Reihe‘. Die folgende Auflistung beginnt jeweils mit dem Originalnamen (in Klammern dann die Umbenennungen)

-1998 ‚Guerlinade‘

-1999 ‚Terracotta Voile d’Été‘ (‚No.25‘)

-1999 ‚Guet -Apens‘ (‚No.68‘, ‚Atrappe Coeur‘, ‘Vol de Nuit Evasion‘)

-1999 ‚Belle Epoque‘

-1999 ‚Chamade pour homme‘

-2000 ‚Metallica‘ (‚Metalys‘)

Die Präsentationen waren häufig sehr ähnlich. Die Flakons (in der Regel 100 ml) wurden in einer Box geliefert und durch Abziehen des oberen Zylinders präsentierte sich der Flakon auf einem kleinen Sockel, häufig vor einer bunten Szenerie (z.B.  bei ‚Belle Epoque‘ vor einer Szene des Kaufhauses ‚Harrolds‘, oder hübsch an einem blau-seidenen Band angebunden bei ‚Guet-Apens‘). Auffällig: alle Düfte wurden im Schüttflakon präsentiert. Die Preise waren durchaus (im Vergleich zum heutigen Niveau) bezahlbar.

3.       Neukreationen in kleinen Größen

Ab 2000 wurden dann Neukreationen nicht mehr aufwändig präsentiert. Man ging nun zu den praktischen Taschengrößen (30 ml)über, allesamt nun zum sprühen:

2000 ‚Philtre d’amour‘

2000 ‚Météorites‘

2001 ‚Secret Intention‘

2001 ‚Purple Fantasie

4.       Retail-Exklusiv – Düfte für Duty Free

Dieser Trend begann bei  Guerlain 2003. Hier wurde dem Massenmarkt gefolgt. Da Reisende –wenn nicht in Zeitnot – mit einem lockeren Geldbeutel unterwegs sind, erfand man Sondergrößen, Sonderpackgrößen oder eben auch Düfte, die ausschließlich in diesem Marktsegment angeboten wurden:

2003 ‚With Love‘

2004 ‚Precious Heart‘

2004 ‚Vetiver pour elle‘ (Exklusivvertrieb für Flughäfen Charles de Gaulles und Orly !)

2005 ‚Love is all‘

2006 ‚Colours of Love‘

2006 ‚Lights of Champs Elysées‘ (Ebenfalls exklusiv für beide Pariser Flughäfen)

5.       Die Asia-Editionen

1999 begann man der speziellen Ausrichtung auf bestimmte Segmente, unabhängig vom Weltmarkt. Speziell wollte man Asiaten mit französischer Parfumkunst begeistern und so wurden unter der Reihe ‚Cherry Blossom‘ diverse Flanker produziert:

1999 ‚Cherry Blossom‘ (Diese Edition wurde auch im Pariser Stammhaus angeboten)

2000 ‚Cherry Blossom Glittering‘

2002 ‚Lovely Cherry Blossom‘

2003 ‚Crazy Cherry Blsoom‘

2005 ‚Shiny Cherry Blossom‘

6.       Muguet – Edition zum 1.Mai

Beginnend mit einer Edition von gut 100 Exemplaren wurde ‚Muguet Edition1998‘ in den Pariser Botiquen angeboten. Der Bestand muss innerhalb der ersten 2 Stunden verkauft worden sein. Ab 1999 wurde in größerer Stückzahl produziert und auch in Deutschland werden nun zum 1.Mai-Feiertag diese Kreationen angeboten.

Nochmal zum besseren Verständnis: alle aufgezählten Düfte gehörten nicht in das Standard-Programm von Guerlain; sie waren nur selektiv erhältlich und eine weitere Gemeinsamkeit gab es:„one-shot-product“. Einmal produziert, in einer Charge. Nach Abverkauf gab es keine Nachlieferung mehr. Zwischen 1998 und 2005 wurden so über 25 Neukreationen produziert.

Habe ich nun im oberen Abschnitt auf die „Sonderproduktionen“ hingewiesen darf natürlich nicht vergessen werden, das sich auch das reguläre Standartsortiment erweitert hat. 1999 wurde ‚Aqua Allegoria‘, ins Leben gerufen gefolgt von ‚Aroma Allegoria‘...

Es entsteht der Eindruckt einer inflationären Entwicklung.

Wäre das Familienunternehmen Guerlain auch diesen Weg gegangen? Sicherlich nicht. Guerlain hätte weiterhin alle 7 Jahre ein Parfum auf den Markt gebracht, hätte mit den neuen Verordnungen der IFRA gekämpft und ebenfalls Reformulierungen vornehmen müssen (Hier empfehle ich den lesenswerten Blog-Beitrag von Kankuro vom 11.07.2012!)

Ich komme zu dem Resümee, dass der eingeschlagene Weg für uns als Parfum-Liebhaber ein richtiger war. Wir wären nie an die alten „Schätze“ gelangt, hätten sicherlich nie ein ‚Djedi‘ oder ‚Vega-Extrait‘ schnuppern können, hätten nie die olfaktorische Explosion eines ‚Guet-Apens‘ kennengelernt. 

Die Welt und speziell die Duftwelt will heut zu Tage immer wieder neu erobert werden. Für die Klassiker wird es zwar immer treue Fans geben, aber davon bleibt ein Unternehmen heute nicht überlebensfähig.Ich gebe aber auch zu, dass sich Guerlain den ein oder anderen Duft aus olfaktorischer Sicht hätte durchaus ersparen können. (z.B. bei den Duty Free Düften), kaufmännisch gesehen waren das aber sicherlich „Geldbringer“; billig und ohne besondere Mühe konzipiert, mit enormer Marge vertrieben.

Zum guten Schluss noch eine Wort zum internationalen Auftritt der Marke bzw. von LVMH. Auch bei Guerlain ist ersichtlich, dass man den Weg von der Verkörperung einer ausschließlich auf Frankreich zugeschnittenen Marke verlassen wollte. Anglizismus zog ein. Bei den Duty Free Düften mag das ja noch verständlich sein, aber die Kosmetiklinien wurden im geschilderten Zeitraum auf Englisch umgerüstet. Aus einer ‚Crème régénératrice intense‘ wurde ‚Succes night‘, ‚Midnight Star, ‚Matiday‘ und ‚Perfect white‘ zogen in die Regale. Lange hat dieser Trend nicht gedauert, heute bekennt sich das Unternehmen –zumindest bei Guerlain-seiner französischen Wurzeln.

Mit dem Jahr 2005 beende ich mal die Betrachtung dieser Epoche. In gleichem Jahr begann für Guerlain eine neue Zeitrechnung, die Eröffnung eines Maison Guerlain. Noch ist es für einen zeitlichen Abriss der vergangenen 7 Jahrezu früh, aber wer weiß, vielleicht beleuchte ich dieses Kapital im Jahre 2015 mal etwas genauer. Peut-être !

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