Fresh21
Fresh21s Blog
vor 6 Jahren - 25.02.2018
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Die Ambivalenz des Schnüffelns

Als Parfumo-Neuling ist dies mein erster Blogeintrag und er beschreibt, was mich gerade in Sachen Düfte bewegt. Denn die trage ich zwar schon seit meiner Jugend, doch so richtig beschäftigt hatte ich mich damit nie - bis ich vor einem knappen Jahr auf diese wunderbare Community stieß. Seit dem habe ich so viele schöne Beiträge von euch gelesen, und vor allem von den vielen Duftbewertungen profitiert, dass ich mich an dieser Stelle einmal herzlich dafür bedanken möchte.

Die Welt der Düfte fasziniert mich, und ganz offensichtlich folge nicht nur ich, sondern auch viele von euch der immerwährenden Ur-Motivation: Gibt es einen noch besseren Duft?

So scheint die Suche nie ein Ende zu haben. Oder? Das ist tatsächlich die Frage. Würden wir den Duft finden, wäre unsere Suche dann vorbei? Für den Großteil von uns sicher nicht, insbesondere für die alten Hasen und Kenner, die mittlerweile hunderte von Düften ihr Eigen nennen. Wären sie bei Ihrem Super-Duft angekommen, wäre ihre Sammlung wahrscheinlich kleiner. Aber die Gründe für diese Vielfalt können natürlich auch ganz wo anders liegen. Wie dem auch sei, scheint es ein inneres Fieber für Düfte zu geben, was Anfänger wie Kenner gleichermaßen packt und im Griff hält:

Einerseits sind wir alle irgendwie auf der Suche nach dem Duft, nach dem besten Duft - ob es diesen überhaupt geben kann oder nicht. Andererseits lieben wir auch die Vielfalt, die Abwechslung, das Neue, sodass wir den Duft gar nicht finden können. So hat wohl beides seine Berechtigung in diesem Duftuniversum … Und hierauf möchte ich nun noch einmal etwas tiefer eingehen:

Ich finde den Gedanken des Signature-Dufts eigentlich ganz schön, wobei die diesbezüglichen Meinungen ja auseinandergehen. Hier meine ganz persönliche Auslegung: Ein Signaturduft gefällt mir von allen am besten und ich identifiziere mich am meisten mit ihm. Auf diesen Duft komme ich immer wieder zurück, weil er mir auch über einen längeren Zeitraum zusagt, sodass ich ihn häufig(er) trage. Dabei spielt es keine Rolle, ob Mainstream- oder Nischenduft, von welcher Marke er ist, welches Image er ggf. hat oder in welcher Preisliga sich dieser Duft bewegt. Und im Glücksfall ist er zu möglichst vielen Anlässen tragbar und daher eher etwas universeller denn zu spezifisch.

Einen solchen Signature-Duft gefunden zu haben ist doch schon mal 'ne Bank. Aber das heißt ja nicht, dass wir neben diesem nicht noch viele andere Duftvorlieben haben können. Denn das bringt schon die Natur der Sache mit sich, nämlich die Ambivalenz des Schnüffelns an sich: Habt ihr nicht auch schon erlebt, dass sich eure Wahrnehmung eines Duftes im Zeitverlauf so stark verändert, ihn noch vor Wochen, Monaten oder Jahren viel positiver, negativer und/oder ganz anders empfunden zu haben? Dafür mag es viele Gründe geben, die einem Dufterfahrenen längst bekannt sind, mir aber erst einmal richtig bewusst werden mussten, um es besser zu verstehen. Drum findet sich nachstehend eine Liste von Faktoren, die offensichtlich unsere Duftauswahl und Duftwahrnehmung beinflussen. Die meisten sind uns völlig bewusst, doch einige haben wahrscheinlich einen größeren (unbewussten) Einfluss als wir gemeinhin annehmen:

  • Duftverlauf: Veränderung der Duftnuancen innerhalb der nächsten Stunden (Präferenz für Abwechslung oder Linearität)
  • Unterschiedlichkeit der Duftnuancen je nach Träger, z.B. Haut, Kleidung, Haare, Papierstreifen.
  • Haltbarkeit: wie lange ist der Duft wahrnehmbar?
  • Sillage: wie weit strömt der Duft aus?
  • Unterschiedlichkeit der Haltbarkeit und Sillage desselben Dufts auf unterschiedlichen Trägern: Manche Düfte halten dreimal solange auf der Kleidung wie auf der Haut, bei anderen ist es in etwa gleich lang, etc.

Die nachstehenden Aspekte können Vorlieben oder Voreingenommenheit verursachen, sodass man ggf. nicht neutral genug an einen neuen Duft herangeht (bzw. herangehen kann). Somit mögen diese Faktoren zum Teil einen nicht unerheblichen Einfluss auf unsere Duftwahrnehmung und -bewertung haben:

  • Kulturelle Prägungen
  • Genetische (Wahrnehmungs-)Dispositionen
  • Erinnerungen, die mit dem Duft verknüpft sind.
  • Bisherige Erfahrungen bzgl. diverser Hauptduftnuancen, wie z.B. fruchtig, oud, blumig, aquatisch, etc.
  • Parfumo-Bewertungen sowie die Bewertungen aus anderen Portalen.
  • Reaktionen des Umfeldes.
  • Anlass und Jahreszeit.
  • Wahrnehmungsschwankungen: es ist schon erstaunlich, wie unterschiedlich man manchmal denselben Duft (auf demselben Träger in gleicher Menge) wahrnimmt.
  • Unterschiedliche Wahrnehmung desselben Dufts im Vergleich zu anderen Düften: So empfindet man z.B. die stärkste (oder liebste) Duftnuance einmal als deutlich schwächer, ein anderes Mal als zu stark, wenn man sie mit Düften vergleicht, die z.B. in eine andere Richtung gehen.
  • Preis: obwohl "billig taugt nichts" und "Qualität hat seinen Preis" häufig zutrifft, erleben wir immer wieder gegenteilige Überraschungen. Dennoch kann das Preis-Image einen gewissen Einfluss auf unsere Wahrnehmung haben.
  • Bewerbung des Dufts in Zeitschriften, Plakaten, TV-Spots, etc.
  • Vorliebe für bestimmte Parfümeure.
  • Flakon: manche Farben und Formen scheinen so ansprechend zu sein, dass sie ein Gefühl des "must-have" oder "das muss doch was sein" erzeugen - und umgekehrt. Viele sollen ja auch eine bestimmte Duftrichtung und Qualität symbolisieren.
  • Marke / Image: insbesondere unsere diesbezügliche Erwartungshaltung kann uns einen Streich bezüglich unserer Wahrnehmung eines Duftes spielen.
  • Name des Parfums, und auch ob dieser ggf. schon die Hauptduftrichtung verrät, wie z.B. oud, lemon, etc.
  • Zusätze des Namens wie z.B. fresh, Sport, etc. können unsere Enttäuschung oder Freude verstärken.
  • Konzentration des Duftes: die Erwartung bzgl. der Haltbarkeit und Sillage z.B. eines Colognes scheint häufiger zu Bewertungsabstrichen zu führen, obwohl der Duft ggf. gar nicht so schwach ist.
  • Flanker: hier gilt in etwa das Gleiche wie bei der Konzentration des Duftes: Oft ist die Erwartungshaltung bzgl. Flanker eher negativ, was sich besonders in den Statements wiederfindet. Auch dieser Aspekt kann unsere Duftwahrnehmung beeinflussen.
  • Gewöhnung: wie in allen Lebensbereichen verliert alles irgendwann an Attraktivität.

Angesichts all dieser Einflussgrößen, die mal weniger und mal mehr auf uns wirken, erscheint es mir recht nachvollziehbar, dass wohl die meisten von uns auf der ewigen Suche nach dem Neuen, dem Anderen, dem Besonderen bleiben werden. Warum auch nicht? Was spricht gegen Diversifikation? Zudem verändert sich auch unser "Geschmack" im Laufe der Zeit. Und doch ist erstaunlich, dass wir zugleich auch einem inneren Duftkompass zu folgen scheinen, einer Grundrichtung, von der wir nie ganz abkommen. So befinden wir uns offensichtlich immerzu zwischen zwei Polen, dem ewig Bewährten und dem ewig Neuem. Und so soll es auch sein:

Die Ambivalenz des Schnüffelns :)


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