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Matveys Blog
vor 6 Jahren - 15.04.2018
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Anekdoten und Erklärungen aus der Geruchsforschung, Teil 1

Heute gibt es mal ein paar kleine Geschichten aus meinem Forschungsalltag. Da meine letzten Blogs recht laberlastig ausgefallen sind, steht mir der Sinn jetzt nach subjektiven, netten Erfahrungen aus dem Labor, um den Kopf wieder frei zu kriegen. Naja, vielleicht halb frei. Ein paar Sprenkler theoretischer Erklärung werde ich mir nicht ganz unterbinden können. Vielleicht auch ein paar zu viel.

Starten möchte ich mit aktuellen Erlebnissen in der Arbeit mit Duftmolekülen. Zur Zeit bin ich viel damit beschäftigt, kleine Fläschchen mit Lösungen aus jeweils einem Duftstoff herzustellen, die ich dann für meine Experimente verwende. Immer ein Fläschchen mit dem reinen Duftstoff und eines mit einer Verdünnung. Die Verdünnung ist so gewählt, dass bei gleicher Temperatur und Luftfeuchte immer etwa die gleiche Konzentration an Duftmolekülen in der Luft schwebt. Nun bin ich bei dieser Arbeit über das Stöffchen Indol gestolpert. Indol klingt erst mal ganz nett: es ist eine der Hauptkomponenten im Duft vieler Blüten, vor allem von Jasmin. Hach, wie schön. Denkste. Das reine Indol ist ein Feststoff, und sobald man den Behälter davon aufmacht, stinkt bestenfalls der ganze Raum unendlich nach einer seltsamen Mischung aus überdosierter Flowerpower, ungesunder Chemie und, äh, Fäkalien. Bestenfalls heißt: Wenn man daran gedacht hat, die Tür zum Flur zuzumachen.

Indol ist nämlich nicht nur Blütenduft, sondern auch Haupttäter bei der Entstehung des "Duftes" unserer Verdauungshinterlassenschaften. Hier gilt die alte Weisheit: Die Dosis macht das Gift. Stark herunterverdünnt erinnert Indol tatsächlich an jene weißen Blüten. Von solchen Konzentrationseffekten hatte ich schon früher gehört (Skatol riecht konzentriert ebenfalls nach Kot, extrem verdünnt nach Rose), aber die reale Erfahrung ist dann doch ziemlich beeindruckend. Und ein bisschen ekelhaft. Beim Arbeiten mit der Präzisionswaage ist mir ein winziges, nicht mal milimetergroßes Korn Lindol auf die Tischplatte gefallen. Danach habe ich bestimmt zehn Minuten damit zugebracht, den Tisch mit Alkohol wie ein Wahnsinniger abzurubbeln. Es war nicht schön.

Theoretischer Einschub (einfach zum nächsten Absatz springen, wer weiter Anekdoten will): Wie kann so ein Effekt zustande kommen, wo Kot und Jasmin doch so zwei gänzlich verschiedene Duftkategorien sind? Genaue Recherchen habe ich dazu jetzt nicht angestellt, aber eine Eigenheit des Geruchssinns dient hier vielleicht als Erklärung: Die Neuronen unserer Riechschleimhaut senden ein Signal ans Gehirn, das man spatiotemporal nennt. Oder weniger cool klingend: räumlich-zeitlich. Zur Erinnerung - auf der Riechschleimhaut sitzen etliche Rezeptorzellen, die jeweils eins von ungefähr 400 verschiedenen Eiweißmolekülen in Richtung Luftstrom strecken. Jedes dieser 400 Eiweiße reagiert auf ein unterschiedliches Spektrum an Duftmolekülen. "Reagieren" heißt vereinfacht ausgedrückt, dass das Eiweißmolekül die Depolarisierung - das sogenannten "Feuern" - einer Zelle auslöst, sobald es an einem Duftmolekül rumgrabbelt, das bestimmte chemische Eigenschaften aufweist. Wenn ein Luftstrom voller Indol die Riechschleimhaut erreicht, wachen also ganz viele Rezeptorzellen auf, deren kleine Erkennungseiweiße auf Indol reagieren. Entscheidend für die Weiterverarbeitung im Gehirn ist aber nicht nur die Tatsache, dass eine Gruppe bestimmter Zellen feuern - dies ist nur der räumliche Anteil des Signals, weil die aktiven Zellen räumlich über die Schleimhaut verteilt sind und sozusagen ein aktivierungs-abhängiges Muster ans Gehirn schicken. Der zeitliche Aspekt, nämlich die Häufigkeit des Feuerns, ist die zweite Dimension der Information, die ans Gehirn geleitet wird. Je höher die Konzentraton eines Duftstoffes in der Luft, desto mehr Moleküle erreichen gleichzeitig und schneller hintereinander unsere Erkennungsmoleküle. Die genauen Mechanismen sprengen den Artikel, aber kurz gesagt wird der Geruch im Riechhirn anders abgespeichert, wenn nur hier und da ein paar hundert Rezeptorzellen ein Feuern abgeben, als wenn alle dieser Zellen gleichzeitig in hoher Frequenz und dann auch noch gleichzeitig feuern. Was chemisch gesehen der gleiche Stoff ist, ergibt relativ früh in der neuronalen Verarbeitung ein grundsätzlich unterschiedliches Aktivitätsmuster. Die späteren Neurone, die für die Erkennung des Duftes zuständig sind, bilden dann für die hohe und die niedrige Duftkonzentration nicht einfach das gleiche Feuermuster in unterschiedlicher Geschwindigkeit ab, sondern das gesamte räumliche Aktivitätsmuster ist auf dieser Ebene bereits unterschiedlich - also ganz andere Neurone werden aktiv. Für unsere Wahrnehmung ist das also ein qualitativ anderer Duft, trotz gleichen Duftmoleküls.

Zurück zu den Anekdoten. Ein damit ähnlicher Effekt ist mir bei Guajakol aufgefallen. Im Forum suche ich gerade nach Düften, die Guajakol enthalten. Dieses Molekül riecht rein sehr rauchig und ist für den Duft von Räucherwaren und Whisky mitverantwortlich. In 2%-iger Lösung allerdings kommt eine vanillige Komponente dazu. Meine Kollegen nehmen diese teilweise nicht wahr, für mich ist sie dagegen extrem stark. Das führt dazu, dass ich diese Lösung einfach nur liebe, denn echte Vanille ist auch immer leicht rauchig durch den Fermentationsprozess - und so ist Guajakol für mich sogar vanilliger als das pappsüße Vanillin. Die Kollegen, die nur Rauch wahrnehmen, finden den Geruch dagegen bestenfalls neutral oder sogar unangenehm. Es ist spannend, wie sich die Wahrnehmung da unterscheidet! Zum Glück ist ein Kollege voll auf meiner Seite, auch er erklärter Vanillefan.

Theoretischer Einschub Nr 2: Und wie kommt das jetzt zustande? Nun, Vanille ist für mich das, was für andere Lack und Leder, ein Oldtimer-Motorrad oder die Zigarre am Abend ist - ein Traum schlechthin. Weil ich mich viel mit Vanilledüften umgebe und geradezu nach Vanillespuren in Düften suche, bin ich für diesen Duft ziemlich sensibel (wobei ich nicht sagen kann, ob Henne oder Ei zuerst da waren). Ich habe auch eine Idee, wieso ich den Duft in Guajakol so wahrnehme. Guajakol ist sehr strukturähnlich zu Vanillin. Vanillin wird sogar technisch aus Guajakol erzeugt. Ihr erinnert euch: wir haben aber nur insgesamt 400 verschiedene Duftrezeptor-Eiweiße, also bei Weitem nicht genug, um jeden Geruch als einzelnen Rezeptor abzubilden. Stattdessen reagiert jeder Rezeptor auf viele verschiedene, oft chemisch ähnliche Moleküle. Guajakol wird also auch den Rezeptor aktivieren, der Vanillin erkennt, neben vielen anderen Rezeptoren. Das gesamte (spatiotemporale!) Muster ist also unterschiedlich, aber ein Teil davon ist ähnlich. Da mein Riechhirn regelrecht trainiert auf Vanille ist, hat es mit der Zeit gelernt, die Aktivierung von Vanillin-Rezeptoren innerhalb von komplexeren Duftgemischen abzugrenzen und hervorzuheben. Dieser Lernprozess ist eine klassische Eigenheit des Geruchssinns und findet permanent in unserem Alltag statt. Da Guajakol und Vanillin sich stark ähneln, reagiert mein Erkennungssystem von vornherein aufgeregter auf die vanillige Komponente des Duftes. Diesen Effekt kann man aber auch erzielen, wenn man Leuten vor dem Riechen sagt, dass Guajakol nach Rauch und nach Vanille riechen. Das Riechzentrum erwartet nun schon ein bestimmtes Aktivierungsmuster und verstärkt es, wenn etwas in dieser Richtung bei ihm ankommt. Neurowissenschaftlich nennt man das eine top-down-Kontrolle der Geruchswahrnehmung, weil die Wahrnehmung "von oben herab" beeinflusst wird. - Eine genauere Beschreibung dieser Prozesse habe ich mir als nächsten Artikel vorgenommen.

Ok, das soll es für heute sein. Ich wollte eigentlich noch zwei weitere Anekdoten auspacken und unterfüttern, aber vergebt mir - der innere Klugscheißer ist zu stark und hat mehr Theorie als geplant hingeklatscht. Der zweite Anekdotenteil folgt also bald, damit es nicht zu viel kompliziertes Hirnzeug auf einmal wird. Ja, der Geruchssinn ist wirklich komplex, aber unglaublich spannend. Abschließen möchte ich mit einer Frage an euch: Welche Effekte in dieser Richtung habt ihr selbst schon erlebt? Kennt ihr andere Stoffe, bei denen die Konzentration einen erstaunlichen Unterschied macht? Und zu guter Letzt: Welche Parfums enthalten noch diese unsterblich geniale Vanille-Rauch-Kombo? :-)

Nachtrag: Ronin weist unten darauf hin, dass Guajakol möglicherweise gar nicht vom gleichen Rezeptor wie Vanillin aufgenommen wird. Die Assoziation von Guajakol zu einem Vanilleduft könnte eher von anderen Komponenten des Duftes natürlicher Vanille stammen. Ich empfehle also, die theoretische Erklärung eher modellhaft und nicht auf das konkrete Beispiel bezogen zu verstehen. Die zugrundeliegenden neuronalen Mechanismen werden zwar in dieser Art und Weise angenommen, ich bin aber beileibe kein Experte im Bereich der Rezeptoren und kann mir da nur Beispiele aus meinem Fachgebiet näherungsweise erschließen. Danke für die Aufklärung!

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