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Matveys Blog
vor 7 Jahren - 20.11.2016
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​Ach, männlich, weiblich - das sind doch bürgerliche Kategorien.

... so ungefähr würde es das Känguru von Mark-Uwe Kling ausdrücken, wenn es sich für Geschlechterstudien interessierte. Ich höre schon viele aufheulen, die ihr Feindbild in jenen gefunden haben, die am bewährten Rollenmodell von Mann und Frau zu rütteln wagen: "Halt doch deine Klappe mit dem Genderwahnsinn!" - Aber so weit soll es nicht kommen, und ich unterstelle der Community hier ohnehin eine relative Offenheit gegenüber grenzüberschreitender Androgynität. "Grenzüberschreitend" hier weniger im Sinne von "übertrieben", sondern positiv gemeint, Grenzen überwindend. Und obwohl ich als Student in einer dicht von ebensolchen bevölkerten Stadt wohne (und mich über Aufkleber freue, auf denen "Sexistische Kackscheiße" steht oder ein Schneewittchen mit Maschinengewehr in der Hand den Spruch "Fight sexism and homophobia!" raushaut), verdanke ich Parfumo eine viel praktischere Einsicht als jeder Geschlechtertheorie.

Auf Parfumo bin ich vor einigen Jahren als Leser gelandet. Da war ich zwar schon Student, aber ich wusste noch nicht allzu viel von Parfum. Was ich wusste: Es gibt da einige Düfte, die Mann gut tragen kann, ja sogar welche, von denen viele Männer in höchsten Tönen als pure Versuchung für das andere Geschlecht schwärmen. Zugegeben hätte ich es niemals, nicht mal mir selbst gegenüber, aber das hat mich beeindruckt. Wie wäre sonst der Dreiklang Bleu de Chanel, Challure Homme extreme und La Nuit de L'Homme in so kurzer Abfolge in meine Sammlung gekommen?

Naja, nach zwei, drei Jahren habe ich dann doch endlich so etwas wie einen eigenen Riecher entwickelt. Empfehlungen von Youtubern interessieren mich mittlerweile herzlich wenig, erst recht, wenn es darum geht, ob ein Duft sexy ist. Während ich in meiner Anfangszeit lange grübelte, welcher Duft meine "Signatur" sein könnte, schreien heutzutage Menschen meinen Namen, sobald in der Luft eine Fährte von Vanille liegt. Dass Parfumo und die tolle Community hier mich zu einem eigenen Geschmack ermutigt haben und ich enorm viel dazulernen konnte, verdiente einen eigenen Blogbeitrag. Dieser Blog soll aber Dank sein für einen weiteren Lernerfolg. Das Stichwort ist schon gefallen: Vanille!

Um genauer zu sein: Düfte wie "Vanille" von Reminiscence oder das legendäre L'Heure Bleue. Mit Vanille hat es einfach angefangen. Als ich festgestellt habe, dass diese Komponente meine Nase in pure Ekstase versetzen kann, führte meine Duftwanderung zwangsläufig zu Düften, die als Damendüfte deklariert sind. Obwohl ich schon davor viel Gefallen an Unisexdüften gefunden hatte, stieß diese Entdeckung für mich die Tür zu einer farbenprächtigeren Welt auf. Zunächst bestärkt von positiver Rückmeldung gab ich bald nicht mehr viel auf die Meinung anderer, was an mir "männlich" oder "weiblich" riecht. Irgendwem gefällt's immer. Im Zweifel nur mir, aber das ist eine Person mehr als keine.

Die Duftsammlungen der Parfumos und Parfumas hier haben mich maßgeblich dazu angeregt, nicht mehr darüber nachzudenken, was irgendein Marketingheini oder sogar der/die ParfumeurIn über das passende Geschlecht für einen Duft zu sagen hat. Das Leben ist zu kurz, um sich durch kleinliche Zwänge einengen zu lassen! Viele Mitglieder dieser bunten Community frönen ihrer Parfumlust schon lange nach diesem Motto, und ich bin froh, selbst die Angst verloren zu haben, "weiblich" zu riechen. Wer bestimmt das schon?

Neulich hatte ich eine Idee. Und ich hätte sie vielleicht nie in die Tat umgesetzt, wenn ich nicht schon auf einem anderen Feld meine inneren Grenzen überwunden hätte. Nämlich wollte ich schon immer mal richtige Stiefel besitzen, also mit Schaft bis zu den Knien, und zwar nicht als Gummiarbeitsstiefel, sondern eben richtige klassische Lederstiefel. Kniehohe Lederstiefel? Das ist ein klarer Fall für die Damenabteilung, zumindest seit der Herrenstiefel aus den Kriegsschauplätzen und Paraden der Moderne gewichen ist. Und militärisch war noch nie mein Stil. Was es gibt, sind Herrenstiefel in der Ausführung superklobig, die geradezu verschämt daran erinnern, dass ihr Träger ja ach so maskulin sei. Aber die wollte ich nicht. Also bin ich in den Schuhladen gestapft und habe Stiefel aus der Damenabteilung anprobiert, mit Hilfe der Verkäuferinnen, die durchaus angeregt darüber diskutiert haben, welches Modell für einen Mann tragbar sein könnte (ich kommentierte, dass ich nach dem neuen Trend - Girlfriendstyle - suche).

Nach Hause gegangen bin ich am Ende mit einem Paar graubrauner Schaftstiefel aus genarbtem Leder ohne Absatz, die am nächsten Tag in der Uni getragen wurden. Das Reaktionsspektrum reichte von spöttischem Grinsen bis zu zum überraschten Kommentar, dass das echt gut aussehe. Alles dabei. Es kostet jedes Mal wieder ein kleines bisschen Überwindung, diese Schuhe für den Alltag anzuziehen, und ich trage die Dinger nicht, weil ich gerne auffalle: Ich will einfach tragen, worin ich mich wohlfühle. Das gilt für Parfum wie für meine Kleidung. Aber jeden Tag wächst mein Selbstbewusstsein daran, und ich bereue den Kauf nicht im Geringsten.

An der Uni kommt es durchaus öfter vor, dass man einem Studenten begegnet, der ein Kleid, Ohrringe und Nagellack trägt. Oder dass man beim besten Willen nicht entscheiden kann, ob das Gegenüber männlich oder weiblich ist. Nicht jedem gefällt diese Grenzverwischung, auch nicht allen Studierenden. Einfache Kategorien sind bequemer. Ich überlasse es jedermann und jederfrau, selbst zu entscheiden, welche Bedeutung geschlechtertypische Rollenbilder für einen persönlich haben. Doch als Parfum- und neuerdings Stiefelträger möchte ich meinen Beitrag dazu leisten, dass sie nicht nicht die Lebensentfaltung einengen. Ich fühle mich echt nicht unmännlich, wenn ich in Schaftstiefeln und mit Vanilleduft durch die Gegend laufe, und wenn ich morgen entscheiden würde, dass ich Bock auf Nagellack hätte, würde das auch nichts daran ändern. Interessant wird es übrigens, wenn ich auf eine spöttische Reaktion auf mein Schuhwerk fragend erwidere, warum genau das feminin sei. Oft genug endete das Gespräch schon mit einem erstaunten "Oh, eigentlich hast du Recht."

Die meisten Parfumos und Parfumas sind ja schon viel länger als ich Grenzüberwinder. Für mich ist es nur ein konsequenter Schritt, diese Philosophie vom Parfum auf andere Lebensbereiche zu übertragen. Also Leute, probiert doch einfach mal was Neues, wenn ihr Lust drauf habt. Ich danke euch allen für dieses Forum und die Einsichten, die ich hier gewonnen habe.

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