Matvey
Matveys Blog
vor 9 Jahren - 26.04.2016
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Lach- und Sachgeschichten aus der biopsychologischen Geruchsforschung

Die Idee zu einem Blog hier auf Parfumo kam mir gerade sehr spontan, als ein anderer Blogbeitrag den Eigengeruch behandelte, den jeder Mensch wie einen Fingerabdruck um sich herum trägt. Ich hatte noch gar nicht daran gedacht, dass man hier ja nicht immer über Düfte im Sinne von Parfums schreiben muss. Zum Thema "Biopsychologie des Geruchssinns" könnte ich dagegen die ein oder andere Anekdote vom Stapel lassen und vielleicht auch manch forschungsaktuellen Kleinkram. Momentan schreibe ich nämlich zufällig an meiner Bachelorarbeit in der Biopsychologie zum Geruchssinn - genauer gesagt über die wechselseitige Beeinflussung von Geruchssinn und psychiatrischen Störungsbildern. Der Zusammenhang wirkt an den Haaren herbeigezogen? Naja, könnte man denken!, aber das Thema hebe ich mir lieber für ein andermal aus (die Abgabe ist sowieso erst im Juni ;))

Wie es sich also für eine wissenschaftlich fundierte Arbeit gehört, lese ich mich seit einem halben Jahr quer durch die Literatur zum Thema Geruchssinn, seiner Erforschung, seinen neurobiologischen Grundlagen und eben zu allem, was irgendwie dazu gehört. Da würden mir jetzt aus dem FF schon eine Reihe von Themen einfallen, die ich wahnsinnig spannend finde! Denken wir nur, wie oben erwähnt, an den menschlichen Eigengeruch - ein starker Einfluss auf unsere Partnerwahl, bei jedem Sozialkontakt präsent, sogar durch Medikamente beeinflussbar, aber dennoch fast gänzlich unbemerkt vom Alltagsbewusstsein.

Nun hätte ich an mich selbst irgendwie den Anspruch, die abenteuerlichen Einblicke in die Erforschung unseres angeblich primitivsten Sinnes mit vieeeelen Quellenangaben zu belegen und die Zeit möchte aktuell lieber in die Bachelorarbeit investiert werden. Falls Interesse besteht, kann ich natürlich trotzdem gern mal ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern und die Belege bei Bedarf nachliefern ;)

Als Appetithappen heute: Ein paar Erfahrungen aus der Geruchsdiagnostik und was die mit mir persönlich gemacht haben.

Um meine Hypothesen zu prüfen, musste ich natürlich erst mal einen ganzen Batzen Leute auf ihren Geruchssinn testen. Dazu habe ich mit meinen netten Kollegen über hundert Probanden durch eine dreiteilige Diagnostikbatterie gejagt, die nach etwa einer Stunde insgesamt drei Geruchsleistungswerte ausspuckt: Ein Test bestimmt in einem mehrgängigen Verfahren die Geruchsschwelle, also die Konzentration, ab der Probanden einen bestimmten Duft wahrnehmen können. Ein zweiter Test beschäftigt sich mit der allgemeinen Fähigkeit, Gerüche zu identifizieren. Und in einem dritten Durchgang durften meine Probanden jeweils drei Duftproben erschnüffeln und mir danach sagen, welche der drei Proben einen anderen Stoff enthält als die beiden anderen (die sogenannte Diskriminationsleistung).

Bevor sich mein Postfach nun mit Anfragen bezüglich dieses Tests füllt, ob ich denn nicht noch ein paar Durchgänge mit Freiwilligen aus dem Forum machen möchte - so spektakulär ist der Test leider auch nicht. Aus methodischen Gründen bin ich davon auch nicht so begeistert, aber das ist ein anderes Thema. Die Tests zu Identifikation und Diskrimination wären wahrscheinlich für die meisten Parfumos hier ein Witz und sind auch eher ausgelegt, klinisch auffällige Beeinträchtigungen des Riechens zu finden.

Wirklich beeindruckt hat mich aber die Messung der Riechschwelle. Dass Menschen unterschiedlich gut riechen können, dürfte jedem klar sein. Aber dass die Unterschiede so gravierend sind?!

Insgesamt 16 Verdünnungsstufen bietet der Schwellentest an. Der durchschnittliche Proband pendelt sich irgendwo in der Mitte ein, zwischen der 6. und der 9. Stufe. Doch die Varianz ist groß und so hatte ich auf der einen Seite Probanden mit beeindruckend guter Leistung. Ebenso viele Testpersonen nahmen jedoch erst einen Geruch nach intensivem Schnüffeln wahr, den ich persönlich schon als stark und aufdringlich bezeichnet hätte! Das hat mir erst wirklich die Augen geöffnet, warum manche Menschen etwa selten den Eigengeruch anderer Menschen wahrnehmen oder auch ein Parfum. Die 16 Verdünnungsstufen des Schwellentests bilden eine immense Spannweite an Konzentrationen. Schon in den 80er-Jahren fand man heraus, dass die interindividuelle Geruchsschwelle je nach Duftstoff bei normal riechenden Menschen bis zu Faktor 100 variieren kann. Wow! Eine Person A kann einen Duftstoff also bei bis zu hundert mal niedrigerer Konzentration erriechen als eine Person B.

Die Beschäftigung mit der Geruchsleistung von Menschen hat mir in gewisser Weise die Augen geöffnet. Zum Einen ist da die Erkenntnis, dass Menschen mitnichten "Mikrosmatiker", also Lebewesen mit einem verkümmerten Geruchssinn seien. Viel zu groß sind die Einflüsse des Riechens auf unser Leben. Zum Anderen verstehe ich jetzt besser, wieso es mir mit vielen Menschen schwierig fällt, über meine Begeisterung für den Geruchssinn zu plaudern. Oft wird einfach erstaunlich wenig über die Nase wahrgenommen.

So viel als Einblick in meine eigene kleine Geruchsforschung. Ich kann nicht einschätzen, wie interessant das für euch ist oder ob euch solche Ergebnisse schon bekannt waren, also freue ich mich natürlich über Feedback :) Insbesondere hoffe ich, dass das Geschriebene nicht allzu sehr an den abgehackten Journalstil erinnert, in dem ich sonst über das Thema schreiben muss ;)

Übrigens habe ich den Test natürlich auch mal selbst durchlaufen - nur um das Verfahren intensiv zu prüfen, versteht sich…

19 Antworten
HofnärrinHofnärrin vor 9 Jahren
Vielen Dank für den spannenden Blog!
KleineHexeKleineHexe vor 9 Jahren
Spannendes Thema!
SeeroseSeerose vor 9 Jahren
Das finde ich alles hochspannend. Meinem Mann und mich trennen mindestens "Faktor 100" an Geruchssinn. Was es mir erlaubt, jedes Parfüm zu tragen und alles zuzudieseln, wenn ich mag. Es ist jedoch nicht immer angenehm, weil er sich als Maßstab nimmt und oft nicht verstehen und vor allem nicht glauben kann, was ich alles rieche, natürlich nicht nur Parfüm. Das zu beachten und zu tolerieren ist hier im Parfumo auch wichtig, weil man nicht wirklich wissen kann, was jemand anderes in einem Duft wirklich wahrnimmt, widerlich oder angenehm empfindet. Bitte, schreibe, wenn Du Zeit hast, noch mehr darüber für uns, populärwissenschaftlich sozusagen.
LaurenceLaurence vor 9 Jahren
Sehr intessant und informativ:)) Danke für diesen schönen Beitrag den ich mit viel Interesse gelesen habe.
Ich finde auch, dass der Geruchssinn einen grossen Einfluss auf unser Leben hat.
Emotionen und Geruch haben meiner Meinung nach einen grossen Zusammenhang. Auch die Erinnerungen und Gerüche sind stark miteinander verknüpft.
JupitaJupita vor 9 Jahren
Ein absolut spannendes Thema, ich freue mich schon auf weitere Blogs!
KovexKovex vor 9 Jahren
Klasse Beitrag, den ich sehr interessant fand. Gerne mehr davon!
RoninRonin vor 9 Jahren
Zu den neuronalen Grundlagen des Riechens ist ein kurzer Abriss hier zu finden: http://www.parfumo.de/Benutzer/Adan/Blog/Eintrag/Adaptation_aka_olfactory_fatigue
Anosmie im Sinne von Teilanosmie auf bestimmte einzelne Duftstoffe hat fast jedeR - gerade bei den höhermolekularen Duftstoffen wie Moschus, Ambroxan oder Javanol liegen die Ansomieraten bei ca. 20 %. Oder - wie es Philip Kraft im Parfumobloginterview sagte: "Anosmisch heißt ja auch eigentlich nur so ein etwa 2 Zehnerpotenzen höherer Schwellenwert." Ob und wie stark wir individuell einen Duftstoff wahrnehmen, hängt aber nicht nur von Prozessen im Hirn ab, sondern auch in der Nase, wie T. Hummel et al. herausgefunden haben: http://www.parfumo.de/blog/2012/07/12/forschungszentrum-geruch-in-dresden-interview-mit-prof-hummel/
BeatriceABeatriceA vor 9 Jahren
Den Verdacht hatte ich schon immer. Jetzt gibt es also eine wissenschaftliche Antwort auf die Frage, warum manche Parfumos einen Flakon "Hypnotic Poison" nach dem anderen leeren, ich aber überhaupt nichts leer bekomme ;)
MatveyMatvey vor 9 Jahren
Vielen Dank für all die lieben Kommentare und Anregungen! Man kann das Thema theoretisch unendlich ausbreiten und für die Forschung gibt es glücklicherweise noch viel zu tun. Als motivierter Student bin ich natürlich selbst noch halb Laie und freue mich sehr über jeden Literaturtipp! Wenn Interesse besteht, kann ich auch mal die neuronalen Grundlagen des Riechens in einem Artikel zusammenfassen. Da sitze ich grad eh dran. Die Struktur des Riechhirns erklärt schon viel über den Zusammenhang zwischen Riechen und Emotion (und begründetauch mein Arbeitsthema ;))
MatveyMatvey vor 9 Jahren
Liebe Anosmia, du sprichst einen guten Punkt an. Anosmie ist für Biopsychologen ein hochspannendes Feld, jedenfalls potenziell. Der Geruchssinn wurde in der Psychologie lange vernachlässigt, erst seit zwei Jahrzehnten kommt das Thema langsam auf. Anosmie bietet viele Möglichkeiten, den Einfluss von Gerüchen auf die Psyche zu erforschen. Es gibt da sicher eine große Variabilität und eine angeborene Anosmie hat vermutlich weniger Einfluss als eine erworbene. Zusätzlich müsste man wissen, welche neuronale Struktur für den Ausfall verantwortlich ist. So könnte bspw die Nase tadellps funktionieren, eine bestimmte neuronale Verarbeitungsstufe geschädigt sein. Ähnlich wie beim visuellen Neglect, wo die Augen alles sehen, aber das Gehirn das Signal falsch verarbeitet. Ich weiß leider über Anosmie nicht allzu viel, deshalb lese ich auch deinen Blog mit größtem Interesse :) Soziale Gerüche werden übrigens anders verarbeitet als andere. Ich könnte mir vorstellen, dass auch bei Anosmie diese unbewussten Prozesse funktionieren - ist jetzt aber Spekulation frei aus der Hüfte ;)
PassionezPassionez vor 9 Jahren
Doch das Thema ist sehr spannend! Wissenschaft ist eigentlich nicht so mein Thema, ich bin eher literarisch-kulturell bewandert, allerdings befasse ich mich bei Geruch und Duft doch sehr gerne auch mit wissenschaftlichen Themen. Da du deine Bachelorarbeit über die biopsychologische Geruchsforschung schreibst, hast du auch bestimmt schon von Roland Salesse gehört? Ich habe in Paris mehrerer seiner Semininare besucht und fand trotz einiger fehlender neurobiologischer Grundlagen meinerseits, die Forschungen hoch interessant. Das mit den unterschiedlichen Geruchswahrnehmungen habe ich auch schon des öfteren gelesen und finde die Unterschiede verblüffend. Ich nehme an ihr habt die Testsubjekte erst zu ihrer olfaktorischen Geschichte befragt. Ich meine, ob sie sich schon intensiver mit Gerüchen beschäftigt haben, bevor der Test gemacht worden ist. Denn die Geruchswahrnehmung kann trainiert werden wie Ronin sagt. Ich habe durch eine Weiterbildung vor Jahren gemerkt wie ich meine Nase "erziehen" konnte, Gerüche differenzierter und schneller wahrnehmen zu können. Doch, wie bei dem Lernen einer Fremdsprache, kann dies auch schnell verlernt werden wenn man es nicht regelmässig übt. Was die Wahrnehmungsschwelle und partielle Anosmie angeht, so hat Roland Salesse in einem kleinen Test während eines Seminars die Teilnehmer Andostrenon riechen lassen. Die Hälfte hat den Geruch gar nicht wahrgenommen und die andere Hälfte fand ihn kaum zum aushalten. Egal wie gut diejeweilige Nase sonst ist, gibt es Gerüche die einige von uns gar nicht wahrnehmen weil ihnen das Geruchsgen dazu fehlt.
Auf jeden Fall, würde ich mich sehr freuen mehr über deine Forschungen zu lesen da ich als wissenschaftlicher Laie doch noch sehr viel nachzuholen hab. ;-)
OhdeberlinOhdeberlin vor 9 Jahren
Prima Blog !
GingerGinger vor 9 Jahren
Sehr interessant zu lesen! Freue mich schon auf weitere Blogs von dir :)
Rebirth2014Rebirth2014 vor 9 Jahren
Um ehrlich zu sein, dein Artikel beinhaltet (bis auf die Schilderung des Tests und die zu erwartenden Resultate) nur "Cliffhanger" . Trotzdem bin ich auf dein angekündigtes Thema: "Geruchssinn und psychiatrische Störungsbilder.", sehr gespannt. :-)
AnosmiaAnosmia vor 9 Jahren
ich finds auch interessant, was du dir alles angelesen hast und nach dem thema deiner arbeit würde ich die gern mal lesen... was mich bei den ganzen blogs zu geruch und zuneigung hier gerade mal wieder wunder nimmt: wie ist das dann bei anosmischen leuten oder leuten, die fast nichts riechen? hat der geruchssinn wirklich eine schlüssel-rolle?
MeggiMeggi vor 9 Jahren
Ich finde das sehr interessant!
ZosoZoso vor 9 Jahren
Dass es sooo immense Unterschiede in der Geruchsfähigkeit gibt, hätte ich nicht gedacht. Ist aber faszinierend - wie der Geruchssinn generell. Vielleicht magst du hier in deinem Blog öfter mal was aus dem Nähkästchen/aus der Forschung plaudern? Ich fände das jedenfalls sehr interessant. Danke für deinen spannenden Text.
RoninRonin vor 9 Jahren
Oh ja, schreibe doch etwas, am besten mit Quellenangaben! Übrigens ist Geruchswahrnehmung auch kondtionierbar, s. hier: http://www.parfumo.de/Benutzer/Louce/Blog/Eintrag/Literaturschnipsel_und_fachfremdes_Reinlesen__Geruchwahrnehmungspsychologie bzw. die verlinkte Arbeit hier: http://d-nb.info/978777050/34). Kurz zusammengefasst: wird die Wahrnehmung eines Geruchs mit einer Emotion verknüpft ("Oh, lecker, riech mal!" bzw. "Vorsicht, gleich stinkt es!"), so werden diese Gerüche stärker wahrgenommen. Am stärksten die negativ belegten Gerüche, gefolgt von den positiv belegten, am wenigsten die neutral belegten.
SerafinaSerafina vor 9 Jahren
Ich finde das ausgesprochen spannend! Einige meiner Kolleginnen gehören offenbar zu denjenigen, die schon geringere Duftstoff-Konzentrationen wahrnehmen (und sich dann über mein Parfum beklagen), ich wohl eher nicht. Hat aber auch gewisse Vorteile, z.B. beim Thema "Eigengeruch", der ja nicht immer angenehm ist (auch da hatte ich schon spezielle Kollegen...). Danke für den Blog!