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Matveys Blog
vor 8 Jahren - 14.08.2016
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Lach- und Sachgeschichten der biopsychologischen Geruchsforschung - Und Wundt sprach: Es werde Duft!

Vor nunmehr einigen Monaten habe ich in einem ersten Blogbeitrag einen Regenbogen an Themen aufgespannt, über die ich gerne aus einer (bio)psychologischen Perspektive schreiben würde. Die Ankündigung war beseelt von der Recherche zu meiner Bachelorarbeit, die ich vor einem Monat dann auch abgeben konnte – nachdem ich noch seitenweise herauskürzen musste, weil mir die Euphorie am Thema dann doch über den Kopf gewachsen war. Jetzt komme ich aus dem Urlaub, darf mich mit dem zweifelhaften Titel „Bachelor-Psychologe“ brüsten (denn der Begriff „Psychologe“ wird mir erst nach dem Masterstudium vergönnt sein) und habe für die restlichen Ferien mit Jean Claude Ellenas Parfumtagebuch „Journal d’un Parfumeur“ angefangen. Derart vom technischen Fachvokabular und dem Endspurtstress wieder in eine intuitivere Beziehung mit der Duftwelt zurückkatapultiert, habe ich mir das Einhalten meiner Ankündigung vorgenommen.

Ich werde einfach mal drauf losschreiben und weiß auch nicht, wie viel ich schreibe und wenn ja, in wie vielen Beiträgen. In der (stiefmütterlich vernachlässigten) qualitativen Forschung würde man sagen: Das Thema ist emergent. Es entwickelt sich aus dem introspektiven Prozess. In diesem Sinn: Lehnt euch zurück, lasst euch überraschen, verzeiht unvorhergesehene Themenwechsel – nennen wir sie stattdessen einfach „emergente Themenwechsel“. Ich will versuchen, euch die psychologische Geruchsforschung ohne zu viel Brimborium an Fachbegriffen nahezubringen. Sollte mir im Eifer des Gefechts doch mal das Fachchinesisch durchschlagen und der Text mehr an Tacitus denn an Peter Lustig erinnern, weist mich gerne darauf hin. Stellt Fragen, ergänzt, kritisiert. Ich freue mich immer über solche Bereicherungen: Der Blick des Forschenden neigt zum Einengen, nur die Interaktion mit anderen, Forschenden wie Interessierten, reißt ihn aus seiner staatlich finanzierten Seifenblase der eigenen ach so tollen Studien.

CAVE: Trotz erstem Abschluss bin ich immer noch ein Student (jetzt eben im Master) und schreibe diesen Blog einfach aus persönlicher Freude und vielleicht einem gewissen missionarischen Eifer, Forschung zu verbreiten. Die Inhalte erheben keinen Anspruch auf wissenschaftliche Präzision, auch wenn ich nach bestem Wissen und Gewissen schreibe und hier und da Quellenangaben beifügen werde. Für einen allgemeinen Einstieg in die wissenschaftliche Literatur empfehle ich das Buch „Geschmack und Geruch“ von Konrad Burdach (1988), das große Standardwerk ist zur Zeit die aktuelle Auflage des „Handbook of Olfaction and Gustation“, herausgegeben von Richard Doty (2015). Außerdem enthalten die meisten Lehrbücher über Biologische Psychologie mehr oder weniger umfangreiche Kapitel zum Geruchssinn, etwa der Klassiker von Birbaumer & Schmidt (aktuelle Auflage von 2010). Weitere Literatur zum Thema findet sich vor allem in einem unübersichtlichen Kuddelmuddel an Einzelstudien, Studienzusammenfassungen und Analysen in Fachzeitschriften, die ich lieber nicht hier einzeln aufführe…

Also. Alles auf Anfang. Psychologie und Geruchssinn – was soll da bitteschön die Verbindung sein? Geht es bei Psychologie nicht darum, Menschen zu analysieren und seelische Störungen zu therapieren? – Das als kurze Einstiegsnotiz, denn in meinem Alltag habe ich oft mit Fragen in dieser Art zu tun. Die Psychologie ist in allergröbster Definition die Wissenschaft, die sich mit dem menschlichen Erleben und Verhalten beschäftigt. Diese Disziplin versteht sich heute als bio-psycho-soziale Forschung, das heißt: Erleben und Verhalten werden im Kontext von biologischen Prozessen (Gehirn, Nervensystem, Organe, …), psychologischen Prozessen (Wahrnehmung, Gedanken, Emotionen, Motivation, Verhalten) und sozialen Prozessen (Interaktionen, Gruppendynamik, Normen) untersucht. Die Psychotherapie ist nur eine Teildisziplin, jedoch in der Praxis von großer Bedeutung, da ein so großer Bedarf an effektiven Therapiemethoden herrscht. Praktisch heißt das auch, dass Forschungsgelder gerne an Projekte mit konkreten Einsatzmöglichkeiten vergeben werden – dafür ist die Psychotherapie natürlich ein Garant. Die Biopsychologie meiner Universität beschäftigt sich ebenfalls mit klinisch relevanten Themen wie Stress und Gesundheit. Und meine Bachelorarbeit hat auch damit zu tun (dazu natürlich... später mehr :-))

Doch für diesen Beitrag erstmal zurück zur Ausgangsfrage. Der Geruchssinn ist natürlich auch ein Teil dieses wundersamen bio-psycho-sozialen Systems, das wir „Mensch“ nennen. Als (ehem… Bachelor-)Psychologe interessiert mich, welche Wechselwirkungen zwischen dem Geruchssinn und dem Erleben und Verhalten bestehen. Derer habe ich im ersten Blog schon einige aufgezählt, die im Grunde jedem Menschen irgendwann mal schon begegnet sind: „Man kann jemanden nicht riechen“, die Bedeutung des Geruchssinns bei der Partnerwahl, den sofortigen Einfluss von Gerüchen auf das Befinden, und und und. Ja, sogar die Enttäuschung, wenn man während einer Erkältung in eine leckeren leckeren Apfel beißt und außer Knackig, Süß und Sauer rein gar nichts mehr wahrnimmt. Die Psychologie hat also auch zum Geruchssinn einiges zu erzählen und aufzuklären.

Ihre Anfänge fand die psychologische Geruchsforschung in der Psychophysik. Schon der erste Superheld der experimentellen Psychologie, Wilhelm Wundt, berichtete im 19. Jahrhundert von diesen frühen Forschungen. Das Interesse der Psychophysik lag daran, die Sinne des Menschen quantitativ – in allgemein gültigen Kennzahlen – zu erfassen, genauer gesagt den Bereich, innerhalb dessen Menschen mit ihren Sinnen etwas wahrnehmen können. Drei klassische Ergebnisse dieses Ansatzes möchte ich hier berichten:

1. Als Absolutschwelle des Geruchssinns wird diejenige Konzentration eines Duftstoffes bezeichnet, ab der ein Geruch überhaupt wahrgenommen wird. Diese ist selbst beim Menschen extrem niedrig. Beispiel: Betreten wir einen Raum, kann schon eine Menge von 100 Millionen Moleküle eines Duftstoffes im gesamten Raum ausreichen, dass wir einen Geruch wahrnehmen. Zum Vergleich: Schon ein Liter Luft enthält rund 270 Trilliarden Moleküle! Noch eindrucksvoller ist das Riechvermögens vieler Tiere. Zum Beispiel der Aal, der umgerechnet einen Mililiter Rosenduftstoff in einer Wassermenge entsprechend des 58-fachen Volumens des Bodensees wahrnehmen kann!

Wir haben es also mit beeindruckenden Zahlen zu tun.

Wer gerne an Parfum schnuppert, kennt aber das Problem: Einen Duft wahrzunehmen, heißt noch nicht, ihn auch zu erkennen. Während das beim deutlich überschwelligen Parfumstoff eher an der Zuordnung einer Wahrnehmung zu einem Begriff liegt, handelt es sich bei den Duftkonzentrationen im Bereich der Absolutschwelle um physiologische Hindernisse: Die Schwelle, ab der wir einen Geruch überhaupt erst erkennen können, liegt mindestens zehn mal höher als die Absolutschwelle. Darunter nehmen wir „irgendeinen Geruch“ war, mehr aber nicht. Kuriose Effekte ergeben sich: Skatol, der Hauptbestandteil des ekelerregenden Kotgeruches, wird in sehr niedrigen Konzentrationen sogar als angenehm empfunden (die emotionale Bewertung von Gerüchen werde ich aber in einem anderen Beitrag behandeln).

Noch ein paar wichtige Zahlenfakten hinterher: Die Absolutschwelle ist für jeden Duftstoff und für jeden Menschen unterschiedlich und umfasst einen gewaltigen Bereich von mindestens 13 Zehnerpotenzen in der Konzentration (das heißt, ein Duftstoff X kann vielleicht erst in der 10-billionenfach höheren Molekülmenge wahrgenommen werden, ab der ein leichter wahrnehmbarer Stoff Y registriert wird). Hoch ist auch die individuelle Schwankungsbreite: Ein Mensch mit gutem Geruchssinn kann sich von einem Geruch im Extremfall schon belästigt fühlen, während ein anderer Mensch noch gar nichts wahrnimmt.

2. Ebenfalls von Interesse ist die sogenannte Unterschiedsschwelle: Sie zeigt an, ab welchem Konzentrationsunterschied ein Duftstoff als stärker oder schwächer wahrgenommen wird. Sie liegt etwa bei 25%, während sich ein Ton etwa nur 3% verändern muss, um einen Unterschied wahrzunehmen. Klingt so, als ob der Mensch hier einen verkümmerten Geruchssinn aufweist, sollte aber relativiert werden: Die Spannbreite an Konzentrationen ist für den Geruchssinn viel höher als die Spannbreite an Tonhöhen.

3. Schließlich beschäftigt(e) sich die Psychophysik mit dem Verhältnis zwischen der Duftkonzentration und der Empfindungsstärke. Man könnte denken, dass die Empfindungsstärke eines Duftes linear ansteigt, wenn man die Konzentration erhöht. So einfach ist das nicht. Es ergibt sich eine logarithmische Kurve, für die man vereinfachend einen Kennwert angeben kann. Ein Kennwert von 1 bedeutet, dass die Empfindung linear mit dem Reiz ansteigt (Beispiel: je höher die Temperatur, desto höher das Temperaturemfinden). Unter 1 bedeutet, dass die Empfindung bei steigendem Reiz immer weniger stark zunimmt, bei einem Wert über 1 nimmt die wahrgenommene Intensität sogar stärker zu als die tatsächliche Intensität (etwa bei Elektroschocks). Bei Duftstoffen gilt wieder, dass dieser Wert für jeden Stoff unterschiedlich ist, es gibt Werte von 0,1 bis über 1. In der Abbildung unten (geklaut von einer Vorlesung der Uni Heidelberg) sind zwei Beispiele für ein solches Intensitätsverhältnis grafisch abgebildet. Zu sehen sind die typischen Kurven, die sich auch für Düfte ergbeben.

Zwei Beispiele für das Verhältnis zwischen der subjektiven Intensität (Y-Achse) und der tatsächlichen Intensität (X-Achse) eines Reizes (sogenannte Steven'sche Potenzfunktion)

So weit, so gut. Ich merke, dass ich schon zweieinhalb Seiten auf Word runtergeschrieben habe. Hier wäre ein Päuschen sicher angebracht, um einen Kaffee zu trinken, die 400 Aromenstoffe das Kaffees intensiv wahrzunehmen und die großen Zahlen der Psychophysik zu verdauen. Was sollen diese ganzen Werte uns eigentlich sagen? Nun, zum einen sind es sicher schöne Beispiele, mit denen bei der nächsten Fachsimpelei mit Duftbegeisterten angeben kann. Für die Wissenschaft machen diese Ergebnisse aber klar, dass die Erforschung des Geruchssinns eine ziemlich komplizierte Angelegenheit ist. Denn woher kommen die extremen Unterschiede bei der Wahrnehmung verschiedener Duftstoffe? Die Erklärung dazu liegt in unserer Nase und unserem Gehirn – das möchte ich jedoch vorerst als Cliffhanger belassen und auf die nächste Episode der „Lach- und Sachgeschichten aus der biopsychologischen Geruchsforschung“ vertrösten. So auch wie auch die ganzen anderen Themen, die ich noch ansprechen möchte. Aber nur wenn euch diese hier gefallen hat und euch nach mehr davon dürstet…!

Quellen:

Für das Thema Psychophysik habe ich hauptsächlich meine Notizen aus den Büchern "Geschmack und Geruch" von K. Burdach (1988)und "Biologische Psychologie" von Birbaumer und Schmidt (2010) verwendet, sowie hier und da Fetzen aus anderen Artikeln und Büchern, die ich jetzt nicht mühsam zusammensuchen wollte :-)

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