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MissPiggys Blog
vor 11 Jahren - 17.01.2013
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Wundertütenschnüffeln oder wer nicht wagt, der nicht gewinnt !

Ich bin ja nicht nur duft-verrückt , sondern auch Flacon-Sammlerin, Glas-Liebhaberin, verrückt nach Formen, Farben und Design. Nach alten Dingen generell, nach Möbeln, Büchern,Hüten + mehr – und Parfums !! Und das schon seit...äh....über 40 Jahren. Parfums vielleicht erst seit 35 Jahren oder so.

Ein kleiner Exkurs…

Antiquitäten oder auch „nur“ vintage Zeug, seien es nun Möbel, Schmuck, Porzellan oder eben auch Flacons, verkörpern den Geist einer Epoche. Sie zu berühren, lässt eine Verbindung entstehen mit einer Zeit, die vergangen ist, jedoch nicht vergessen.

Denkt nur mal, Ihr steht in einer alten Burgruine , 500 Jahre oder mehr sind vergangen. – nur noch Steinquader auf Quader künden von vergangenen Tagen, als hier das Leben pulsierte. Auf eine Art, die wir uns nur noch in mehr oder weniger schlecht gemachten Filmen vorstellen können, und in ein paar Guten. Ihr berührt einen sonnenwarmen Stein und das Gefühl für Sekundenbruchteile bricht über Euch herein: Hier hat schon damals jemand angefasst, drangepackt, überstrichen, dagegengehauen.

Mich berührt so ein Berühren jedes Mal. Es muss ja auch nicht unbedingt eine Burg sein !

Machen wir mal einen Sprung zu einem kleineren Objekt: Ein antikes Kleid. Ein Oberteil aus brüchiger Seide. Verstärkt mit Bändern und Draht, mit Haken und Ösen. Winzigklein, zierlich. Unterbrochen von handgeklöppelten Spitzenbändern. Tragbar heute nur von einem Kind. Oder einem magersüchtigen US Model  mit Size SubZero. Das feine Teil wurde mal ausgeführt zum Tanz, zusammen mit einem weiten Rock, mit zig Unterröcken.Raschelte im Walzertakt. Mit kleinen Schuhchen, der Mädchenkörper geschnürt in ein Korsett. Die Haare kompliziert geflochten und hochgesteckt…

Dieses Stück textiler Kunst, fragil und empfindlich, war einst ein handgenähter Traum in nilgrün. Noch gar nicht sooo lange her, ca. 1860… Meine Urgrossmutter hätte es tragen können,wäre sie in einer solch wohlhabenden Schicht grossgeworden.

Ebenso ergeht es mir mit vintage oder antiken Flacons. Ihre Form, ihre ehemalige Modernität lässt mich den Zeitgeist spüren. Art Deco oder die 60er Jahre – alle Epochen haben ihre eigene Formensprache, ihr Farbempfinden. Ihr Verständis von Duft/Parfum/.

Der – wenn auch teilweise oxidierter Inhalt hilft mir, mir die Art Frau zu visualisieren, die solch einen Duft hinter ihr Ohr tupfte.

Da zählt es nicht, dass die Kopfnoten säuerlich sind, da werde ich eisern und entwickele Terrierqualitäten, um zur Herznote vorzudringen, die Entwicklung zu erahnen, die Basis dann zu guter Letzt  zu erleben.

Denn eines ist wahr: Die alten Düfte sind meist Extraits und aus guten Zutaten komponiert, die Zeiten überdauert haben und eher noch gereift und geadelt sind. Es war noch keine Massenindustrie. Parfum war kostbar, es wurde mit Achtung verwandt. Es war teuer, rar, nicht für jeden. Nicht alle 3 Monate etwas Neues in den Regalen.

Manches kann dann mit heutigen, neuen „Formeln“ verglichen werden (Chanel No 5), und es überkommt einen ein Schauder: „O tempores, o mores!“ – denn früher WAR manches besser.

Nimm einen Duft der quasi gerade erst vergangenen 70er, als ich ein (man glaubt es kaum noch) wildes, lebensgieriges Mädchen war. Ihn gibt es lange nicht mehr, ich bin noch da, inzwischen selber „vintage“, und einen alten Flacon ergattert zu haben, lässt für mich die Zeit von damals bittersüss wieder aufleben. Flashbacks bis zum Abwinken, eine Träne im Knopfloch, Erinnerungen an lange verflogene Liebe, Glücksmomente, Orte und Zeiten fegen durch meinen Kopf. Erinnerungen, deren Schlüssel ausschliesslich dieser Duft ist. Die ich nur kurz halten kann, dann sind auch sie vergangen.

Da ist es für mich kein Problem, dass der Duft nicht mehr „tiptop“ ist, auch eine schräg verwandelte Mischung enthält noch so viel vom Original, dass es mich umhaut !

Soviel zu Erinnerungsdüften.

Neuentdeckungen ? Grandios bis unsäglich. Klar kann man mal ins Klo packen, wenn man ungeschnüffelt kauft, oder sowieso keine Idee hat, wie das Original mal duftete. Aber in 20 Jahren Ebay und Ankauf sonstwo sind mir vielleicht 3 oder 4 Sauereien untergekommen, wo anstelle vom Duft Cognac drin war, oder Schlimmeres.

Ansonsten verdanke ich meine grössten Dufterlebnisse, meine Nasenabenteuer und Duftreisen (Mein Blog)  dem Entkorken eines bis dato ungeöffneten, alten Flacons. Immer wieder eine Nervenprobe, dass der gläserne Stöpsel nicht ab- und zerbricht, entweicht so wie ein Geist aus der Flasche der erste Hauch seit 50 oder mehr Jahren,und ein winziger, fragmentarischer Tupfer enthüllt einen unglaublichen Reichtum an Aromen. Alte Extraits bergen Überraschungen „tierischer“ Art, wie es heute aus political correctness und wasweissichwas für allergie-vorbeugenden Massnahmen nicht mehr gestattet ist.

Echter Schweinkram wurde da zusammengerührt teilweise, der einen auf Gedanken bringt, abseits von Arbeit und Vorstadt-Wohlanständigkeit. Das Wort Femme Fatale bekommt plötzlich Inhalt, und man ahnt, dass früher MANCHES besser war. Zumindest viele Parfumzutaten.

Ja, kritisch kann der Erwerb von kürzlich noch  „neuen“ Düften sein, zumal wenn sie begehrt und/oder teuer waren. Sensi wird gefälscht, dass die Flasche qualmt, und die Chance ist gut, irgendwas Getürktes in der Flasche zu haben. Been there, done that, paid too much.

Alles, was einen „Namen“ hat, ist in Gefahr.

Gut, oder schlecht – das muss der Jäger dann verschmerzen.

Da lebe ich nach dem Motto der Mischkalkulation – denn ich erwerbe manch’ ungeliebtes Altertümchen, das für mich deutlich mehr wert ist, als ich zahlen musste.

In Betracht ziehen soll man aber auch, dass gerade der Vergleich mit ehemals „besessenen“ Düften, mit damals nicht gekauften Schätzen, mit heutigen Spitzenreitern der offiziellen Verkaufslisten oder der privaten Vorlieben, die Nase schult. Auch bei „umgegangenen“ Düften wird man durch Geduld belohnt, und eine Stunde mit Obstessigdüften verweht zu Nichts, wenn da etwas ruchbar wird, was uns überrascht, erfreut, hibbelig macht nach „mehr“.

Ermutigen möchte ich alle, die es (noch) nicht gewagt haben. Kauft Euch irgendein Restexemplar, nehmt Euch Zeit, geht in Klausur mit Eurem Altertümchen. Zelebriert es ! Versetzt Euch in die Zeit, googelt was, lest was, hört Musik der Zeit, tragt die Stola der  Oma, die Schuhe der 50er. Schnüffelt an Mutters Lavendeltüchlein – und dann: Öffnet das Objekt der Begierde, und erlebt !

Ansonsten: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Bisschen Mut gehört dazu, russisches Roulette für Geldbeutel und Nase – aber der Lohn ! die Erfahrungen ! sind die Mühen wert.

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